Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nes ruhigen Nachdenkens gar stolz herabsah. Wenn es nun aber
einmal Throne gibt und dieselben, wie behauptet wird, zum Wohle
der Menschheit durchaus nothwendig sind, so ist es immer besser, sie
von einer mannhaften selbstständigen Persönlichkeit, als von einem
charakterlosen Kinde oder einem schwachen Weibe besessen zu finden.
Und die absolute Idee war ein solch schwaches Weib, das bald mit
diesem, bald mit jenem ihrer Diener buhlte und bald diesem, bald je¬
nem in den widersprechendsten Dingen nachgab. Da brach denn
das Unglück einer in sich gespaltenen und zerrissenen Vielherrschaft
aus. Man hat sich zwar Mühe gegeben, dies als innere Noth¬
wendigkeit der Sache selbst hinzustellen, man hat darin den unendli¬
chen Reichthum des "Gedankens" sogar bestätigt gefunden; aber dein
unbefangenen Blicke wird es erlaubt sein, in jener vorgeschützten
Nothwendigkeit der Sache nur eine Nothwendigkeit, insoweit sie in
den Personen begründet ist, zu erblicken. Wer nur unbefangen die
totalen Meinungsverschiedenheiten, jene völligen Gegensätze durchmu¬
stert hat, voir denen sich jeder als die einzig wahre und letzte Cor^
Sequenz ,,des sich selbst denkenden Denkens" hinstellte und ganz mit
derselben Befugniß, als seine Concurrenten um diese einzige Berech¬
tigung und echte Abstammung aus dem Ichor des Gedankens, der
kann gar nicht in Zweifel darüber sein, daß die Hegelsche Methode
dies elastische Kleid ist, das sich jeder Ansicht, jedem Wahne und
selbst jeder Tollheit gleich gefällig anschmiegt. Man hat von ei¬
nem Systeme gesprochen: ein solches ist doch wohl aber mehr als
ein loses Gefüge einer Menge einzelner Steine, von denen man be¬
liebige wegnehmen kann, ohne dadurch das Ganze irgend wie zu al-
teriren. Ein System ist doch wohl nichts Andres, als der wissen¬
schaftlich angeordnete Ausdruck Einer Weltanschauung: also ein
Ganzes und Untheilbares. Die Hegelsche Philosophie hat aber zur
Beschönigung unendlich vieler herhalten müssen und herhalten --
können. Die Wahrheit zu sagen, brachte jede durch dieses Schal¬
loch redende Persönlichkeit ihr eigen System in die Floskulatur der
Dialektik mit. Und es konnte dann wohl auch nicht anders sein.
Das Denken soll aus sich selbst einen Inhalt erzeugen. Das ist
eine platte Unmöglichkeit. Es wird die Anforderung gestellt zu den¬
ken, aber die Frage ist, was gedacht werden soll. El, das Denken
soll sich selbst denken. Nun denn, so kommen wir auch nicht wer-


nes ruhigen Nachdenkens gar stolz herabsah. Wenn es nun aber
einmal Throne gibt und dieselben, wie behauptet wird, zum Wohle
der Menschheit durchaus nothwendig sind, so ist es immer besser, sie
von einer mannhaften selbstständigen Persönlichkeit, als von einem
charakterlosen Kinde oder einem schwachen Weibe besessen zu finden.
Und die absolute Idee war ein solch schwaches Weib, das bald mit
diesem, bald mit jenem ihrer Diener buhlte und bald diesem, bald je¬
nem in den widersprechendsten Dingen nachgab. Da brach denn
das Unglück einer in sich gespaltenen und zerrissenen Vielherrschaft
aus. Man hat sich zwar Mühe gegeben, dies als innere Noth¬
wendigkeit der Sache selbst hinzustellen, man hat darin den unendli¬
chen Reichthum des „Gedankens" sogar bestätigt gefunden; aber dein
unbefangenen Blicke wird es erlaubt sein, in jener vorgeschützten
Nothwendigkeit der Sache nur eine Nothwendigkeit, insoweit sie in
den Personen begründet ist, zu erblicken. Wer nur unbefangen die
totalen Meinungsverschiedenheiten, jene völligen Gegensätze durchmu¬
stert hat, voir denen sich jeder als die einzig wahre und letzte Cor^
Sequenz ,,des sich selbst denkenden Denkens" hinstellte und ganz mit
derselben Befugniß, als seine Concurrenten um diese einzige Berech¬
tigung und echte Abstammung aus dem Ichor des Gedankens, der
kann gar nicht in Zweifel darüber sein, daß die Hegelsche Methode
dies elastische Kleid ist, das sich jeder Ansicht, jedem Wahne und
selbst jeder Tollheit gleich gefällig anschmiegt. Man hat von ei¬
nem Systeme gesprochen: ein solches ist doch wohl aber mehr als
ein loses Gefüge einer Menge einzelner Steine, von denen man be¬
liebige wegnehmen kann, ohne dadurch das Ganze irgend wie zu al-
teriren. Ein System ist doch wohl nichts Andres, als der wissen¬
schaftlich angeordnete Ausdruck Einer Weltanschauung: also ein
Ganzes und Untheilbares. Die Hegelsche Philosophie hat aber zur
Beschönigung unendlich vieler herhalten müssen und herhalten —
können. Die Wahrheit zu sagen, brachte jede durch dieses Schal¬
loch redende Persönlichkeit ihr eigen System in die Floskulatur der
Dialektik mit. Und es konnte dann wohl auch nicht anders sein.
Das Denken soll aus sich selbst einen Inhalt erzeugen. Das ist
eine platte Unmöglichkeit. Es wird die Anforderung gestellt zu den¬
ken, aber die Frage ist, was gedacht werden soll. El, das Denken
soll sich selbst denken. Nun denn, so kommen wir auch nicht wer-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180601"/>
            <p xml:id="ID_69" prev="#ID_68" next="#ID_70"> nes ruhigen Nachdenkens gar stolz herabsah. Wenn es nun aber<lb/>
einmal Throne gibt und dieselben, wie behauptet wird, zum Wohle<lb/>
der Menschheit durchaus nothwendig sind, so ist es immer besser, sie<lb/>
von einer mannhaften selbstständigen Persönlichkeit, als von einem<lb/>
charakterlosen Kinde oder einem schwachen Weibe besessen zu finden.<lb/>
Und die absolute Idee war ein solch schwaches Weib, das bald mit<lb/>
diesem, bald mit jenem ihrer Diener buhlte und bald diesem, bald je¬<lb/>
nem in den widersprechendsten Dingen nachgab. Da brach denn<lb/>
das Unglück einer in sich gespaltenen und zerrissenen Vielherrschaft<lb/>
aus. Man hat sich zwar Mühe gegeben, dies als innere Noth¬<lb/>
wendigkeit der Sache selbst hinzustellen, man hat darin den unendli¬<lb/>
chen Reichthum des &#x201E;Gedankens" sogar bestätigt gefunden; aber dein<lb/>
unbefangenen Blicke wird es erlaubt sein, in jener vorgeschützten<lb/>
Nothwendigkeit der Sache nur eine Nothwendigkeit, insoweit sie in<lb/>
den Personen begründet ist, zu erblicken. Wer nur unbefangen die<lb/>
totalen Meinungsverschiedenheiten, jene völligen Gegensätze durchmu¬<lb/>
stert hat, voir denen sich jeder als die einzig wahre und letzte Cor^<lb/>
Sequenz ,,des sich selbst denkenden Denkens" hinstellte und ganz mit<lb/>
derselben Befugniß, als seine Concurrenten um diese einzige Berech¬<lb/>
tigung und echte Abstammung aus dem Ichor des Gedankens, der<lb/>
kann gar nicht in Zweifel darüber sein, daß die Hegelsche Methode<lb/>
dies elastische Kleid ist, das sich jeder Ansicht, jedem Wahne und<lb/>
selbst jeder Tollheit gleich gefällig anschmiegt. Man hat von ei¬<lb/>
nem Systeme gesprochen: ein solches ist doch wohl aber mehr als<lb/>
ein loses Gefüge einer Menge einzelner Steine, von denen man be¬<lb/>
liebige wegnehmen kann, ohne dadurch das Ganze irgend wie zu al-<lb/>
teriren. Ein System ist doch wohl nichts Andres, als der wissen¬<lb/>
schaftlich angeordnete Ausdruck Einer Weltanschauung: also ein<lb/>
Ganzes und Untheilbares. Die Hegelsche Philosophie hat aber zur<lb/>
Beschönigung unendlich vieler herhalten müssen und herhalten &#x2014;<lb/>
können. Die Wahrheit zu sagen, brachte jede durch dieses Schal¬<lb/>
loch redende Persönlichkeit ihr eigen System in die Floskulatur der<lb/>
Dialektik mit. Und es konnte dann wohl auch nicht anders sein.<lb/>
Das Denken soll aus sich selbst einen Inhalt erzeugen. Das ist<lb/>
eine platte Unmöglichkeit. Es wird die Anforderung gestellt zu den¬<lb/>
ken, aber die Frage ist, was gedacht werden soll. El, das Denken<lb/>
soll sich selbst denken. Nun denn, so kommen wir auch nicht wer-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0042] nes ruhigen Nachdenkens gar stolz herabsah. Wenn es nun aber einmal Throne gibt und dieselben, wie behauptet wird, zum Wohle der Menschheit durchaus nothwendig sind, so ist es immer besser, sie von einer mannhaften selbstständigen Persönlichkeit, als von einem charakterlosen Kinde oder einem schwachen Weibe besessen zu finden. Und die absolute Idee war ein solch schwaches Weib, das bald mit diesem, bald mit jenem ihrer Diener buhlte und bald diesem, bald je¬ nem in den widersprechendsten Dingen nachgab. Da brach denn das Unglück einer in sich gespaltenen und zerrissenen Vielherrschaft aus. Man hat sich zwar Mühe gegeben, dies als innere Noth¬ wendigkeit der Sache selbst hinzustellen, man hat darin den unendli¬ chen Reichthum des „Gedankens" sogar bestätigt gefunden; aber dein unbefangenen Blicke wird es erlaubt sein, in jener vorgeschützten Nothwendigkeit der Sache nur eine Nothwendigkeit, insoweit sie in den Personen begründet ist, zu erblicken. Wer nur unbefangen die totalen Meinungsverschiedenheiten, jene völligen Gegensätze durchmu¬ stert hat, voir denen sich jeder als die einzig wahre und letzte Cor^ Sequenz ,,des sich selbst denkenden Denkens" hinstellte und ganz mit derselben Befugniß, als seine Concurrenten um diese einzige Berech¬ tigung und echte Abstammung aus dem Ichor des Gedankens, der kann gar nicht in Zweifel darüber sein, daß die Hegelsche Methode dies elastische Kleid ist, das sich jeder Ansicht, jedem Wahne und selbst jeder Tollheit gleich gefällig anschmiegt. Man hat von ei¬ nem Systeme gesprochen: ein solches ist doch wohl aber mehr als ein loses Gefüge einer Menge einzelner Steine, von denen man be¬ liebige wegnehmen kann, ohne dadurch das Ganze irgend wie zu al- teriren. Ein System ist doch wohl nichts Andres, als der wissen¬ schaftlich angeordnete Ausdruck Einer Weltanschauung: also ein Ganzes und Untheilbares. Die Hegelsche Philosophie hat aber zur Beschönigung unendlich vieler herhalten müssen und herhalten — können. Die Wahrheit zu sagen, brachte jede durch dieses Schal¬ loch redende Persönlichkeit ihr eigen System in die Floskulatur der Dialektik mit. Und es konnte dann wohl auch nicht anders sein. Das Denken soll aus sich selbst einen Inhalt erzeugen. Das ist eine platte Unmöglichkeit. Es wird die Anforderung gestellt zu den¬ ken, aber die Frage ist, was gedacht werden soll. El, das Denken soll sich selbst denken. Nun denn, so kommen wir auch nicht wer-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/42
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/42>, abgerufen am 23.12.2024.