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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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dem Sopha liegen und in aller Seelenruhe seine Cigarre rauchen
sah. Er stand auf und dankte mir kurz für die Freundlichkeit, die
ich seiner "Braut" bewiesen hätte. Diese lag im Bett und sah so
bleich und krank aus, daß ich kaum die rothwangige lustige Dirne
vom gestrigen Abend wieder in ihr erkannte. Die Mutter, die Nachts
außer dem Hause gewaschen hatte und oben am Fenster mit Stopfen
beschäftigt war, schien sehr gleichgiltig dagegen, ja sie warf mir so¬
gar einen verdrießlichen Blick zu, als ich sagte, daß ihre Tochter
jetzt mehrere Abende wohl nicht werde ausgehen dürfen. -- Sie
glaubten mich schon recht fest zu haben, sagte Herr Alir, ich bin ih¬
nen aber in dem Gedräng so geschickt entwischt, daß sie gewiß jetzt
noch ganz verwundert dastehen. Obwohl ich Nichts gethan habe,
weshalb ich bestraft werden könnte, so ist es doch kein Vergnügen,
da vier Wochen lang in einem drei Ellen langen Loche in Untersu¬
chung zu sitzen. Ich habe das schon einmal mitgemacht, als ich dem
Hund von Fabrikherrn, da er den Arbeitslohn so herabdrückte, daß
wir unmöglich davon eriitiren konnten, in'ö Gesicht, gespien hatte.
Ich wollte mich eben nach den näheren Beweggründen seines gestri¬
gen Scandals erkundigen, als mir Emilie winkte, meine Hand er¬
griff, sie heftig drückte und sich unter Thränen bei mir bedankte. ES
mochte wohl dem armen Mädchen noch nicht vorgekommen sein, daß
ihr Jemand eine wirkliche Theilnahme bewiesen hatte. Jetzt aber
hatte ich erst Zeit gewonnen, mich ein Mal in dein nur wenig
durch das Tageslicht beleuchteten Zimmer umzusehen. Die Leute
hatten viele Möbel, die wohl zwei Zimmer ausgestattet hätten; hier
mußten sie nothwendig verderben, denn die kahlen Kellerwände wa¬
ren mit Schwamm und einer dicken, grünlichen Feuchtigkeit überzogen,
und die ganze Atmosphäre so dumpf und schwer, daß nicht einmal
das Holz, geschweige der Mensch gesund bleiben konnte. Der Fu߬
boden war mit schwarzer Wäsche bedeckt, auf einem Stuhle lag die
Guitarre, auf einem anderen der Tvroleranzug von gestern Abend,
auf einem dritten etwas Brod und Butter nebst einer hohen Schnaps-
flasche, Alles im bunten Wirrwarr unter einander. Emiliens lautes
Stöhnen störte mich bald aus meinen stillen Beobachtungen. Der
Fieberfrost fing an, sie so tüchtig zu durchschütteln und ihre Zähne
an einander zu schlagen, daß ich hinaufging, einen Arzt rufen zu
lassen.


dem Sopha liegen und in aller Seelenruhe seine Cigarre rauchen
sah. Er stand auf und dankte mir kurz für die Freundlichkeit, die
ich seiner „Braut" bewiesen hätte. Diese lag im Bett und sah so
bleich und krank aus, daß ich kaum die rothwangige lustige Dirne
vom gestrigen Abend wieder in ihr erkannte. Die Mutter, die Nachts
außer dem Hause gewaschen hatte und oben am Fenster mit Stopfen
beschäftigt war, schien sehr gleichgiltig dagegen, ja sie warf mir so¬
gar einen verdrießlichen Blick zu, als ich sagte, daß ihre Tochter
jetzt mehrere Abende wohl nicht werde ausgehen dürfen. — Sie
glaubten mich schon recht fest zu haben, sagte Herr Alir, ich bin ih¬
nen aber in dem Gedräng so geschickt entwischt, daß sie gewiß jetzt
noch ganz verwundert dastehen. Obwohl ich Nichts gethan habe,
weshalb ich bestraft werden könnte, so ist es doch kein Vergnügen,
da vier Wochen lang in einem drei Ellen langen Loche in Untersu¬
chung zu sitzen. Ich habe das schon einmal mitgemacht, als ich dem
Hund von Fabrikherrn, da er den Arbeitslohn so herabdrückte, daß
wir unmöglich davon eriitiren konnten, in'ö Gesicht, gespien hatte.
Ich wollte mich eben nach den näheren Beweggründen seines gestri¬
gen Scandals erkundigen, als mir Emilie winkte, meine Hand er¬
griff, sie heftig drückte und sich unter Thränen bei mir bedankte. ES
mochte wohl dem armen Mädchen noch nicht vorgekommen sein, daß
ihr Jemand eine wirkliche Theilnahme bewiesen hatte. Jetzt aber
hatte ich erst Zeit gewonnen, mich ein Mal in dein nur wenig
durch das Tageslicht beleuchteten Zimmer umzusehen. Die Leute
hatten viele Möbel, die wohl zwei Zimmer ausgestattet hätten; hier
mußten sie nothwendig verderben, denn die kahlen Kellerwände wa¬
ren mit Schwamm und einer dicken, grünlichen Feuchtigkeit überzogen,
und die ganze Atmosphäre so dumpf und schwer, daß nicht einmal
das Holz, geschweige der Mensch gesund bleiben konnte. Der Fu߬
boden war mit schwarzer Wäsche bedeckt, auf einem Stuhle lag die
Guitarre, auf einem anderen der Tvroleranzug von gestern Abend,
auf einem dritten etwas Brod und Butter nebst einer hohen Schnaps-
flasche, Alles im bunten Wirrwarr unter einander. Emiliens lautes
Stöhnen störte mich bald aus meinen stillen Beobachtungen. Der
Fieberfrost fing an, sie so tüchtig zu durchschütteln und ihre Zähne
an einander zu schlagen, daß ich hinaufging, einen Arzt rufen zu
lassen.


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[0405] dem Sopha liegen und in aller Seelenruhe seine Cigarre rauchen sah. Er stand auf und dankte mir kurz für die Freundlichkeit, die ich seiner „Braut" bewiesen hätte. Diese lag im Bett und sah so bleich und krank aus, daß ich kaum die rothwangige lustige Dirne vom gestrigen Abend wieder in ihr erkannte. Die Mutter, die Nachts außer dem Hause gewaschen hatte und oben am Fenster mit Stopfen beschäftigt war, schien sehr gleichgiltig dagegen, ja sie warf mir so¬ gar einen verdrießlichen Blick zu, als ich sagte, daß ihre Tochter jetzt mehrere Abende wohl nicht werde ausgehen dürfen. — Sie glaubten mich schon recht fest zu haben, sagte Herr Alir, ich bin ih¬ nen aber in dem Gedräng so geschickt entwischt, daß sie gewiß jetzt noch ganz verwundert dastehen. Obwohl ich Nichts gethan habe, weshalb ich bestraft werden könnte, so ist es doch kein Vergnügen, da vier Wochen lang in einem drei Ellen langen Loche in Untersu¬ chung zu sitzen. Ich habe das schon einmal mitgemacht, als ich dem Hund von Fabrikherrn, da er den Arbeitslohn so herabdrückte, daß wir unmöglich davon eriitiren konnten, in'ö Gesicht, gespien hatte. Ich wollte mich eben nach den näheren Beweggründen seines gestri¬ gen Scandals erkundigen, als mir Emilie winkte, meine Hand er¬ griff, sie heftig drückte und sich unter Thränen bei mir bedankte. ES mochte wohl dem armen Mädchen noch nicht vorgekommen sein, daß ihr Jemand eine wirkliche Theilnahme bewiesen hatte. Jetzt aber hatte ich erst Zeit gewonnen, mich ein Mal in dein nur wenig durch das Tageslicht beleuchteten Zimmer umzusehen. Die Leute hatten viele Möbel, die wohl zwei Zimmer ausgestattet hätten; hier mußten sie nothwendig verderben, denn die kahlen Kellerwände wa¬ ren mit Schwamm und einer dicken, grünlichen Feuchtigkeit überzogen, und die ganze Atmosphäre so dumpf und schwer, daß nicht einmal das Holz, geschweige der Mensch gesund bleiben konnte. Der Fu߬ boden war mit schwarzer Wäsche bedeckt, auf einem Stuhle lag die Guitarre, auf einem anderen der Tvroleranzug von gestern Abend, auf einem dritten etwas Brod und Butter nebst einer hohen Schnaps- flasche, Alles im bunten Wirrwarr unter einander. Emiliens lautes Stöhnen störte mich bald aus meinen stillen Beobachtungen. Der Fieberfrost fing an, sie so tüchtig zu durchschütteln und ihre Zähne an einander zu schlagen, daß ich hinaufging, einen Arzt rufen zu lassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/405>, abgerufen am 23.12.2024.