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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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aus der Feine ausgelassen und laut lachend beim Champagner sitzen.
O Fakir, wenn Du hier an meiner Stelle wärest, wenn Du sie sehen
könntest, wie blühend, wie reizend sie ist, wie glücklich und selbstzu¬
frieden sie da sitzt, mit welch kecker Liebenswürdigkeit sie das Cham¬
pagnerglas an den kleinen Mund setzt, wie ihr eleganter Begleiter
sie lachend und entzückt an heilt Herz drückt.' Du edler Menschen¬
freund ! Du würdest Thränen der Freude vergießen, würdest, wie über
die Werke eines Schelling und Liszt, so auch über Dein eigenes
Werk stiller Wohlthätigkeit staunen. Niemand kennt die Thaten Dei¬
nes mitleidigen Herzens, Du verübst sie, unbemerkt und unbeachtet,
in der Stille, Du sprichst nicht von ihnen, verschmähst den Ruhm,
die öffentlichen Danksagungen und Orden. Du hast Dich von Dei¬
nem hohen Standpunkt herab für das Schicksal eines armen Mäd¬
chens interessirt, hast sie ihrer unsauberen Umgebung, hast sie der
Straße und dem Bordell entrissen, nur Du bist die Ursache, daß die
Hausirende Schwefelholzhändlerin zu einer Conditormamsell, und von
der Conditormamsell nun gar die Geliebte eines Legationssecretärö
geworden ist. Und wenn sie nun erst die Frau deS reichen, vorneh¬
men Mannes ist und in glänzender Equipage an Dir vorüberfährt!
O dann erst --

Ich hatte schon länger, als eine Stunde mit meinen Freun¬
den unter der jubelnden Tischgesellschaft gesessen, als wir mit einem
Male an der oberen Ecke des colossalen Gewölbes ein verworrenes
Geschrei vernahmen. Es ist dies hier nichts Auffallendes, und man
sieht sich gewöhnlich gar nicht darnach um. Doch vermehrte sich der
Lärm, und Alles stand auf, nachzusehen. "Raus, Raus mit dem
Hallunken, die Polizei her, Polizei! Polizei!" erscholl es. Auch wir
drängten uns hin und sahen einen jungen Mann, der vergebens An¬
strengungen machte, seine Hände von den Unzähligen, die ihn fest¬
hielten und umringten, zu befreien. Ich erkannte in ihm meinen Stie¬
felputzer, Herrn Alir. Hinter dem Gedränge hörten wir eine weib¬
liche Stimme in abgebrochenen Tönen fürchterlich schreien und jam¬
mern; ich vermuthete richtig, daß dies Emilie sei. So eben erschie¬
nen einige Gensdarmen, Herrn Alir festzunehmen und wegzuführen.
Jetzt wollte ich nur das arme Mädchen retten. Ich drängte mich
hindurch und fand sie am Fußboden, in Krämpfen liegend, an denen
sie, wie mir die Wirthin schon gesagt hatte, sehr häufig litt.


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aus der Feine ausgelassen und laut lachend beim Champagner sitzen.
O Fakir, wenn Du hier an meiner Stelle wärest, wenn Du sie sehen
könntest, wie blühend, wie reizend sie ist, wie glücklich und selbstzu¬
frieden sie da sitzt, mit welch kecker Liebenswürdigkeit sie das Cham¬
pagnerglas an den kleinen Mund setzt, wie ihr eleganter Begleiter
sie lachend und entzückt an heilt Herz drückt.' Du edler Menschen¬
freund ! Du würdest Thränen der Freude vergießen, würdest, wie über
die Werke eines Schelling und Liszt, so auch über Dein eigenes
Werk stiller Wohlthätigkeit staunen. Niemand kennt die Thaten Dei¬
nes mitleidigen Herzens, Du verübst sie, unbemerkt und unbeachtet,
in der Stille, Du sprichst nicht von ihnen, verschmähst den Ruhm,
die öffentlichen Danksagungen und Orden. Du hast Dich von Dei¬
nem hohen Standpunkt herab für das Schicksal eines armen Mäd¬
chens interessirt, hast sie ihrer unsauberen Umgebung, hast sie der
Straße und dem Bordell entrissen, nur Du bist die Ursache, daß die
Hausirende Schwefelholzhändlerin zu einer Conditormamsell, und von
der Conditormamsell nun gar die Geliebte eines Legationssecretärö
geworden ist. Und wenn sie nun erst die Frau deS reichen, vorneh¬
men Mannes ist und in glänzender Equipage an Dir vorüberfährt!
O dann erst —

Ich hatte schon länger, als eine Stunde mit meinen Freun¬
den unter der jubelnden Tischgesellschaft gesessen, als wir mit einem
Male an der oberen Ecke des colossalen Gewölbes ein verworrenes
Geschrei vernahmen. Es ist dies hier nichts Auffallendes, und man
sieht sich gewöhnlich gar nicht darnach um. Doch vermehrte sich der
Lärm, und Alles stand auf, nachzusehen. „Raus, Raus mit dem
Hallunken, die Polizei her, Polizei! Polizei!" erscholl es. Auch wir
drängten uns hin und sahen einen jungen Mann, der vergebens An¬
strengungen machte, seine Hände von den Unzähligen, die ihn fest¬
hielten und umringten, zu befreien. Ich erkannte in ihm meinen Stie¬
felputzer, Herrn Alir. Hinter dem Gedränge hörten wir eine weib¬
liche Stimme in abgebrochenen Tönen fürchterlich schreien und jam¬
mern; ich vermuthete richtig, daß dies Emilie sei. So eben erschie¬
nen einige Gensdarmen, Herrn Alir festzunehmen und wegzuführen.
Jetzt wollte ich nur das arme Mädchen retten. Ich drängte mich
hindurch und fand sie am Fußboden, in Krämpfen liegend, an denen
sie, wie mir die Wirthin schon gesagt hatte, sehr häufig litt.


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[0403] aus der Feine ausgelassen und laut lachend beim Champagner sitzen. O Fakir, wenn Du hier an meiner Stelle wärest, wenn Du sie sehen könntest, wie blühend, wie reizend sie ist, wie glücklich und selbstzu¬ frieden sie da sitzt, mit welch kecker Liebenswürdigkeit sie das Cham¬ pagnerglas an den kleinen Mund setzt, wie ihr eleganter Begleiter sie lachend und entzückt an heilt Herz drückt.' Du edler Menschen¬ freund ! Du würdest Thränen der Freude vergießen, würdest, wie über die Werke eines Schelling und Liszt, so auch über Dein eigenes Werk stiller Wohlthätigkeit staunen. Niemand kennt die Thaten Dei¬ nes mitleidigen Herzens, Du verübst sie, unbemerkt und unbeachtet, in der Stille, Du sprichst nicht von ihnen, verschmähst den Ruhm, die öffentlichen Danksagungen und Orden. Du hast Dich von Dei¬ nem hohen Standpunkt herab für das Schicksal eines armen Mäd¬ chens interessirt, hast sie ihrer unsauberen Umgebung, hast sie der Straße und dem Bordell entrissen, nur Du bist die Ursache, daß die Hausirende Schwefelholzhändlerin zu einer Conditormamsell, und von der Conditormamsell nun gar die Geliebte eines Legationssecretärö geworden ist. Und wenn sie nun erst die Frau deS reichen, vorneh¬ men Mannes ist und in glänzender Equipage an Dir vorüberfährt! O dann erst — Ich hatte schon länger, als eine Stunde mit meinen Freun¬ den unter der jubelnden Tischgesellschaft gesessen, als wir mit einem Male an der oberen Ecke des colossalen Gewölbes ein verworrenes Geschrei vernahmen. Es ist dies hier nichts Auffallendes, und man sieht sich gewöhnlich gar nicht darnach um. Doch vermehrte sich der Lärm, und Alles stand auf, nachzusehen. „Raus, Raus mit dem Hallunken, die Polizei her, Polizei! Polizei!" erscholl es. Auch wir drängten uns hin und sahen einen jungen Mann, der vergebens An¬ strengungen machte, seine Hände von den Unzähligen, die ihn fest¬ hielten und umringten, zu befreien. Ich erkannte in ihm meinen Stie¬ felputzer, Herrn Alir. Hinter dem Gedränge hörten wir eine weib¬ liche Stimme in abgebrochenen Tönen fürchterlich schreien und jam¬ mern; ich vermuthete richtig, daß dies Emilie sei. So eben erschie¬ nen einige Gensdarmen, Herrn Alir festzunehmen und wegzuführen. Jetzt wollte ich nur das arme Mädchen retten. Ich drängte mich hindurch und fand sie am Fußboden, in Krämpfen liegend, an denen sie, wie mir die Wirthin schon gesagt hatte, sehr häufig litt. 50 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/403>, abgerufen am 23.07.2024.