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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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das Rauschen der Musik, das ganze Getöse der tanzenden, sich tum¬
melnden, jubelnden Menge, das aus den oberen Sälen hier dumpf
herabtönte! Es war, als wenn ein großes Heer von Verrückten dem
Tollhause entsprungen wäre und hier in dem dunklen Bewußtsein,
morgen doch wieder in die Jammerenstenz zurückkehren zu müssen,
sich auf Augenblicke der Lustigkeit hingäbe! Mit so leidenschaftlicher,
unnatürlicher Hast schlürften sie Alle die kurze Freude, als wäre es
das letzte Mal, daß sie lustig sein konnten; als wollten sie sich dem
ewigen Schlafe in die Arme jubeln. Ich hatte mich von meinen
Freunden losgemacht, stieg wieder die Treppe hinauf und lehnte
mich an die Thüre des großen Saals, dem Tanze zuzusehen. Wie
sie rasen und toben, wie sie sich drehen und jubeln, dachte ich. An
welchen Plätzen und Orten findet die Meisten der Morgen? Ich
mochte wohl hier eine halbe Stunde gestanden haben und war eben
damit beschäftigt, die vor mir aufgepflanzten Tänzer zu beobachten,
die, noch ganz erhitzt und kochend, auf den Augenblick warteten, wo
die Reihe an sie kam, sich wieder in den Tanz zu stürzen, als ich
in ihrer Mitte eine Dame im blauen Domino sich von ihrem höchst
eleganten Tänzer losreißen und gerade auf mich zuschreiten sah. Sie
stellte sich vor mir hin, betrachtete mich von allen Seiten, hob end¬
lich den schwarzen Flor vor meiner Maske in die Höhe und schrieb
mir darauf meinen Namen in die Hand. -- Sie kennen mich wohl
durchaus nicht, hob sie an, nachdem ich vergebens hin- und herge¬
sonnen hatte. Nun hörte ich erst an der Stimme, daß es Mathilde
war. Auch sie war vom Wein und Tanz erhitzt, zog mich einige
Schritte mit sich fort, um mit mir zu tanzen, gewahrte aber in dem¬
selben Augenblick ihren Begleiter und hielt inne. Sie erzählte mir
noch, daß sie nun bald ihr Glück machen werde; sie sei seit einer
Woche nicht mehr in dem Conditorladen, ein Gesandtschaftssecretär
habe sich in sie verliebt, von dort weggenommen und wolle sie hei-
rathen. Er habe ihr schon eine prächtige Wohnung gemiethet, werde
aber in einigen Monaten mit ihr nach Paris gehen, wo sie Hoch¬
zeit machen wollten. Sie lebe übrigens schon jetzt fidel und vergnügt,
wie Gott in Frankreich. Als sie noch so sprach, hüpfte durch die
Thüre ein Maskenpaar in sauberer Tyrolertracht an uns vorüber,
sogleich dem Tanze zu. Die kommen spät, sagte Mathilde. Und
wissen Sie auch, wer sie sind? Ich habe sie gleich erkannt, das ist


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das Rauschen der Musik, das ganze Getöse der tanzenden, sich tum¬
melnden, jubelnden Menge, das aus den oberen Sälen hier dumpf
herabtönte! Es war, als wenn ein großes Heer von Verrückten dem
Tollhause entsprungen wäre und hier in dem dunklen Bewußtsein,
morgen doch wieder in die Jammerenstenz zurückkehren zu müssen,
sich auf Augenblicke der Lustigkeit hingäbe! Mit so leidenschaftlicher,
unnatürlicher Hast schlürften sie Alle die kurze Freude, als wäre es
das letzte Mal, daß sie lustig sein konnten; als wollten sie sich dem
ewigen Schlafe in die Arme jubeln. Ich hatte mich von meinen
Freunden losgemacht, stieg wieder die Treppe hinauf und lehnte
mich an die Thüre des großen Saals, dem Tanze zuzusehen. Wie
sie rasen und toben, wie sie sich drehen und jubeln, dachte ich. An
welchen Plätzen und Orten findet die Meisten der Morgen? Ich
mochte wohl hier eine halbe Stunde gestanden haben und war eben
damit beschäftigt, die vor mir aufgepflanzten Tänzer zu beobachten,
die, noch ganz erhitzt und kochend, auf den Augenblick warteten, wo
die Reihe an sie kam, sich wieder in den Tanz zu stürzen, als ich
in ihrer Mitte eine Dame im blauen Domino sich von ihrem höchst
eleganten Tänzer losreißen und gerade auf mich zuschreiten sah. Sie
stellte sich vor mir hin, betrachtete mich von allen Seiten, hob end¬
lich den schwarzen Flor vor meiner Maske in die Höhe und schrieb
mir darauf meinen Namen in die Hand. — Sie kennen mich wohl
durchaus nicht, hob sie an, nachdem ich vergebens hin- und herge¬
sonnen hatte. Nun hörte ich erst an der Stimme, daß es Mathilde
war. Auch sie war vom Wein und Tanz erhitzt, zog mich einige
Schritte mit sich fort, um mit mir zu tanzen, gewahrte aber in dem¬
selben Augenblick ihren Begleiter und hielt inne. Sie erzählte mir
noch, daß sie nun bald ihr Glück machen werde; sie sei seit einer
Woche nicht mehr in dem Conditorladen, ein Gesandtschaftssecretär
habe sich in sie verliebt, von dort weggenommen und wolle sie hei-
rathen. Er habe ihr schon eine prächtige Wohnung gemiethet, werde
aber in einigen Monaten mit ihr nach Paris gehen, wo sie Hoch¬
zeit machen wollten. Sie lebe übrigens schon jetzt fidel und vergnügt,
wie Gott in Frankreich. Als sie noch so sprach, hüpfte durch die
Thüre ein Maskenpaar in sauberer Tyrolertracht an uns vorüber,
sogleich dem Tanze zu. Die kommen spät, sagte Mathilde. Und
wissen Sie auch, wer sie sind? Ich habe sie gleich erkannt, das ist


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[0401] das Rauschen der Musik, das ganze Getöse der tanzenden, sich tum¬ melnden, jubelnden Menge, das aus den oberen Sälen hier dumpf herabtönte! Es war, als wenn ein großes Heer von Verrückten dem Tollhause entsprungen wäre und hier in dem dunklen Bewußtsein, morgen doch wieder in die Jammerenstenz zurückkehren zu müssen, sich auf Augenblicke der Lustigkeit hingäbe! Mit so leidenschaftlicher, unnatürlicher Hast schlürften sie Alle die kurze Freude, als wäre es das letzte Mal, daß sie lustig sein konnten; als wollten sie sich dem ewigen Schlafe in die Arme jubeln. Ich hatte mich von meinen Freunden losgemacht, stieg wieder die Treppe hinauf und lehnte mich an die Thüre des großen Saals, dem Tanze zuzusehen. Wie sie rasen und toben, wie sie sich drehen und jubeln, dachte ich. An welchen Plätzen und Orten findet die Meisten der Morgen? Ich mochte wohl hier eine halbe Stunde gestanden haben und war eben damit beschäftigt, die vor mir aufgepflanzten Tänzer zu beobachten, die, noch ganz erhitzt und kochend, auf den Augenblick warteten, wo die Reihe an sie kam, sich wieder in den Tanz zu stürzen, als ich in ihrer Mitte eine Dame im blauen Domino sich von ihrem höchst eleganten Tänzer losreißen und gerade auf mich zuschreiten sah. Sie stellte sich vor mir hin, betrachtete mich von allen Seiten, hob end¬ lich den schwarzen Flor vor meiner Maske in die Höhe und schrieb mir darauf meinen Namen in die Hand. — Sie kennen mich wohl durchaus nicht, hob sie an, nachdem ich vergebens hin- und herge¬ sonnen hatte. Nun hörte ich erst an der Stimme, daß es Mathilde war. Auch sie war vom Wein und Tanz erhitzt, zog mich einige Schritte mit sich fort, um mit mir zu tanzen, gewahrte aber in dem¬ selben Augenblick ihren Begleiter und hielt inne. Sie erzählte mir noch, daß sie nun bald ihr Glück machen werde; sie sei seit einer Woche nicht mehr in dem Conditorladen, ein Gesandtschaftssecretär habe sich in sie verliebt, von dort weggenommen und wolle sie hei- rathen. Er habe ihr schon eine prächtige Wohnung gemiethet, werde aber in einigen Monaten mit ihr nach Paris gehen, wo sie Hoch¬ zeit machen wollten. Sie lebe übrigens schon jetzt fidel und vergnügt, wie Gott in Frankreich. Als sie noch so sprach, hüpfte durch die Thüre ein Maskenpaar in sauberer Tyrolertracht an uns vorüber, sogleich dem Tanze zu. Die kommen spät, sagte Mathilde. Und wissen Sie auch, wer sie sind? Ich habe sie gleich erkannt, das ist Grciizbiucn l«44. II. 5l)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/401>, abgerufen am 23.12.2024.