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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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wesentlich negativ; in den Schmelztiegel irgend eines Prinzips ge¬
bracht, verflüchtigen sie sich augenblicklich. Wenn man die mannig¬
faltigen Erzeugnisse seiner Feder anders als aus dem Gesichtspunkte
der Kunst betrachtet, wenn man etwas Anderes sucht, als ein mehr
oder weniger reizendes Gemälde, so findet man nichts Greifbares, Blei¬
bendes, als eine Art von Skeptizismus, der bald raffinirt, bald ge¬
mein, bald unruhig und bitter ist, und der zugleich an Voltaire, an
Paul de Kock und an Byron erinnert.

Den Liebhabern persönlicher Schilderungen muß ich sagen, daß
Balzac in seinem Aeußeren Nichts von den obengenannten Banditen
hat, die er geschaffen hat; in der düstersten Zeit seines Kampfes ge¬
gen Armuth und Ruhmlosigkeit, unter der Restauration war sein Aus¬
sehen viel poetischer. Er war noch hager, sehr hager, hatte ein blei¬
ches Gesicht, ein funkelndes Auge, sprach feurig und gesticulirte hef¬
tig; seine Unterhaltung war voll Luftschlösser. Er war ein Mensch
der Projecte. Außer in diesem letzten Punkte, der, sagt man, noch
ganz so sein soll, hat sich Vieles verändert. Indem Balzac an Ruhm
gewann, hat er Napoleon nachgeahmt; er hat auch an Dicke gewonnen.
Man denke sich einen kleinen, dicken, untersetzten, breitschulterigen
Mann, gewöhnlich mit großer Nachlässigkeit gekleidet, mit langen, schwar¬
zen, schlecht gekämmren Haaren, einem runden, rothen, jovialen Mönchs-
gesicht, einem großen und lachenden Mund unter einem Schnurrbart
-- Züge, die in ihrem Ensemble etwas Gemeines hätten, wenn nicht
das kleine Auge mit geistreicher Lebendigkeit blitzte. Er soll für Frauen
sehr verführerisch sein; ich weiß nicht, ob er dies der magnetischen
Kraft verdankt, mit der er das Auge seiner Holden ausstattet, ich
möchte es lieber dem Reiz seiner Unterhaltung zuschreiben, die durch
Geist und Grazie Bewunderung erregt.




wesentlich negativ; in den Schmelztiegel irgend eines Prinzips ge¬
bracht, verflüchtigen sie sich augenblicklich. Wenn man die mannig¬
faltigen Erzeugnisse seiner Feder anders als aus dem Gesichtspunkte
der Kunst betrachtet, wenn man etwas Anderes sucht, als ein mehr
oder weniger reizendes Gemälde, so findet man nichts Greifbares, Blei¬
bendes, als eine Art von Skeptizismus, der bald raffinirt, bald ge¬
mein, bald unruhig und bitter ist, und der zugleich an Voltaire, an
Paul de Kock und an Byron erinnert.

Den Liebhabern persönlicher Schilderungen muß ich sagen, daß
Balzac in seinem Aeußeren Nichts von den obengenannten Banditen
hat, die er geschaffen hat; in der düstersten Zeit seines Kampfes ge¬
gen Armuth und Ruhmlosigkeit, unter der Restauration war sein Aus¬
sehen viel poetischer. Er war noch hager, sehr hager, hatte ein blei¬
ches Gesicht, ein funkelndes Auge, sprach feurig und gesticulirte hef¬
tig; seine Unterhaltung war voll Luftschlösser. Er war ein Mensch
der Projecte. Außer in diesem letzten Punkte, der, sagt man, noch
ganz so sein soll, hat sich Vieles verändert. Indem Balzac an Ruhm
gewann, hat er Napoleon nachgeahmt; er hat auch an Dicke gewonnen.
Man denke sich einen kleinen, dicken, untersetzten, breitschulterigen
Mann, gewöhnlich mit großer Nachlässigkeit gekleidet, mit langen, schwar¬
zen, schlecht gekämmren Haaren, einem runden, rothen, jovialen Mönchs-
gesicht, einem großen und lachenden Mund unter einem Schnurrbart
— Züge, die in ihrem Ensemble etwas Gemeines hätten, wenn nicht
das kleine Auge mit geistreicher Lebendigkeit blitzte. Er soll für Frauen
sehr verführerisch sein; ich weiß nicht, ob er dies der magnetischen
Kraft verdankt, mit der er das Auge seiner Holden ausstattet, ich
möchte es lieber dem Reiz seiner Unterhaltung zuschreiben, die durch
Geist und Grazie Bewunderung erregt.




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[0039] wesentlich negativ; in den Schmelztiegel irgend eines Prinzips ge¬ bracht, verflüchtigen sie sich augenblicklich. Wenn man die mannig¬ faltigen Erzeugnisse seiner Feder anders als aus dem Gesichtspunkte der Kunst betrachtet, wenn man etwas Anderes sucht, als ein mehr oder weniger reizendes Gemälde, so findet man nichts Greifbares, Blei¬ bendes, als eine Art von Skeptizismus, der bald raffinirt, bald ge¬ mein, bald unruhig und bitter ist, und der zugleich an Voltaire, an Paul de Kock und an Byron erinnert. Den Liebhabern persönlicher Schilderungen muß ich sagen, daß Balzac in seinem Aeußeren Nichts von den obengenannten Banditen hat, die er geschaffen hat; in der düstersten Zeit seines Kampfes ge¬ gen Armuth und Ruhmlosigkeit, unter der Restauration war sein Aus¬ sehen viel poetischer. Er war noch hager, sehr hager, hatte ein blei¬ ches Gesicht, ein funkelndes Auge, sprach feurig und gesticulirte hef¬ tig; seine Unterhaltung war voll Luftschlösser. Er war ein Mensch der Projecte. Außer in diesem letzten Punkte, der, sagt man, noch ganz so sein soll, hat sich Vieles verändert. Indem Balzac an Ruhm gewann, hat er Napoleon nachgeahmt; er hat auch an Dicke gewonnen. Man denke sich einen kleinen, dicken, untersetzten, breitschulterigen Mann, gewöhnlich mit großer Nachlässigkeit gekleidet, mit langen, schwar¬ zen, schlecht gekämmren Haaren, einem runden, rothen, jovialen Mönchs- gesicht, einem großen und lachenden Mund unter einem Schnurrbart — Züge, die in ihrem Ensemble etwas Gemeines hätten, wenn nicht das kleine Auge mit geistreicher Lebendigkeit blitzte. Er soll für Frauen sehr verführerisch sein; ich weiß nicht, ob er dies der magnetischen Kraft verdankt, mit der er das Auge seiner Holden ausstattet, ich möchte es lieber dem Reiz seiner Unterhaltung zuschreiben, die durch Geist und Grazie Bewunderung erregt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/39>, abgerufen am 23.12.2024.