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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Daß Eduard Pelz festgesetzt worden ist, haben Sie aus den
Zeitungen erfahren. Als der Polizeirath Duncker hier angekommen
war, um inquisitorisch zu debütiren, gedachte er sogleich seines alten
Universitätsfreundes E. Pelz. Aber er wußte nicht, ob der Commili-
tone auch seiner würdig geblieben, und darum erkundigte er sich unter
der Hand bei den armen Spinnern und Webern nach ihm, ob er sich
auch ihrer Noth gehörig angenommen, und was er zu all ihrem Elende
gesagt habe. Da aber diese dummen Leute gegen die "Herren" ein
absonderliches Mißtrauen besitzen und ihnen nie die Wahrheit sagen,
so soll sich Duncker - ut l-nun t'ort -- als Weber verkleidet und
ganz cordial mit ihnen gethan haben. Erst hierauf besuchte er Pelz
und schwelgte mit ihm in den Erinnerungen vergangener Tage. Nach
einiger Aelt wird letzterer nit terminum nach Schweidnitz citirt und
----festgesetzt. Weshalb? Das weiß man nicht. Bald darauf
brachte man ihn in's Jnquisitoriat nach Breslau und heute ist er
bereits frei gelassen. Pelz wird gewiß nicht schweigen.

Wie sich das Leben an der erclusiven Wissenschaft rächt, so scheint
auch im Leben selbst der niedere Stand an dem höheren Rache neh¬
men zu wollen. Unter der SMl^des neuen Geistes hat der Gäh-
rungsprozeß begonnen: die Hefen brodeln von unten nach oben, und
das Wort "Abschaum" wird Wahrheit werden. Während sich unter
der arbeitenden Classe, den Proletariern, Angstarbeitern, oder wie man
sie nennen will, ein so tüchtiger Fonds von Sittlichkeit und gesunder
Geisteskraft zeigt, bilden sich .die capitalen Goldjungen immer mehr
zu anständigen Taugenichtsen heran. Den Rom! zu spielen, die Cour
zu machen, in den Salons herumzuflattern, die Aelt durch Saufen,
Spielen und nichtsnutzige Lectüre todt zu schlagen, das genügt ihnen
nicht mehr ganz; sie wollen eine Beschäftigung haben, die mehr in
die Augen sticht, nobler, ritterlicher ist. Um diesem Bedürfnisse ab¬
zuhelfen, haben unsere schlesischen Tagediebe den Reitjagdvercin erfun¬
den, zu dem sie bereits im Anfange dieses Jahres die Statuten ent¬
warfen. In der ersten Vereinshitze begingen sie die Thorheit, einige
Paragraphen davon der Oeffentlichkeit zu verrathen, z. B. daß das
Reitjagen ihren Muth stählen und der Verweichlichung, der Folge des
langen Friedens, vorbeugen solle; daß sie die Pferdezucht in Flor zu
bringen gedächten. Als aber unsere Presse ihnen deswegen tüchtig zu
Leibe ging, schwiegen sie mit einem Male still, bis sie endlich wieder
vor einigen Tagen anzeigten, daß es ihnen gelungen, eine Meute zu
erwerben, und daß die verehrten Theilnehmer anzeigen möchten, wie
viele Hunde und Leute sie mitbringen würden. Diese Annonce,
welche nur zu deutlich verrieth, daß sie in den Hundstagen abgefaßt
sei, erregte buchstäblich allgemeinen Unwillen. Sie sollte eine Entgeg¬
nung finden, da unser Censor aber selbst Mitglied des Vereins ist, so
war dies natürlich unmöglich. Wie ich gehört habe, werden sich un-


Daß Eduard Pelz festgesetzt worden ist, haben Sie aus den
Zeitungen erfahren. Als der Polizeirath Duncker hier angekommen
war, um inquisitorisch zu debütiren, gedachte er sogleich seines alten
Universitätsfreundes E. Pelz. Aber er wußte nicht, ob der Commili-
tone auch seiner würdig geblieben, und darum erkundigte er sich unter
der Hand bei den armen Spinnern und Webern nach ihm, ob er sich
auch ihrer Noth gehörig angenommen, und was er zu all ihrem Elende
gesagt habe. Da aber diese dummen Leute gegen die „Herren" ein
absonderliches Mißtrauen besitzen und ihnen nie die Wahrheit sagen,
so soll sich Duncker - ut l-nun t'ort — als Weber verkleidet und
ganz cordial mit ihnen gethan haben. Erst hierauf besuchte er Pelz
und schwelgte mit ihm in den Erinnerungen vergangener Tage. Nach
einiger Aelt wird letzterer nit terminum nach Schweidnitz citirt und
----festgesetzt. Weshalb? Das weiß man nicht. Bald darauf
brachte man ihn in's Jnquisitoriat nach Breslau und heute ist er
bereits frei gelassen. Pelz wird gewiß nicht schweigen.

Wie sich das Leben an der erclusiven Wissenschaft rächt, so scheint
auch im Leben selbst der niedere Stand an dem höheren Rache neh¬
men zu wollen. Unter der SMl^des neuen Geistes hat der Gäh-
rungsprozeß begonnen: die Hefen brodeln von unten nach oben, und
das Wort „Abschaum" wird Wahrheit werden. Während sich unter
der arbeitenden Classe, den Proletariern, Angstarbeitern, oder wie man
sie nennen will, ein so tüchtiger Fonds von Sittlichkeit und gesunder
Geisteskraft zeigt, bilden sich .die capitalen Goldjungen immer mehr
zu anständigen Taugenichtsen heran. Den Rom! zu spielen, die Cour
zu machen, in den Salons herumzuflattern, die Aelt durch Saufen,
Spielen und nichtsnutzige Lectüre todt zu schlagen, das genügt ihnen
nicht mehr ganz; sie wollen eine Beschäftigung haben, die mehr in
die Augen sticht, nobler, ritterlicher ist. Um diesem Bedürfnisse ab¬
zuhelfen, haben unsere schlesischen Tagediebe den Reitjagdvercin erfun¬
den, zu dem sie bereits im Anfange dieses Jahres die Statuten ent¬
warfen. In der ersten Vereinshitze begingen sie die Thorheit, einige
Paragraphen davon der Oeffentlichkeit zu verrathen, z. B. daß das
Reitjagen ihren Muth stählen und der Verweichlichung, der Folge des
langen Friedens, vorbeugen solle; daß sie die Pferdezucht in Flor zu
bringen gedächten. Als aber unsere Presse ihnen deswegen tüchtig zu
Leibe ging, schwiegen sie mit einem Male still, bis sie endlich wieder
vor einigen Tagen anzeigten, daß es ihnen gelungen, eine Meute zu
erwerben, und daß die verehrten Theilnehmer anzeigen möchten, wie
viele Hunde und Leute sie mitbringen würden. Diese Annonce,
welche nur zu deutlich verrieth, daß sie in den Hundstagen abgefaßt
sei, erregte buchstäblich allgemeinen Unwillen. Sie sollte eine Entgeg¬
nung finden, da unser Censor aber selbst Mitglied des Vereins ist, so
war dies natürlich unmöglich. Wie ich gehört habe, werden sich un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/388>, abgerufen am 23.12.2024.