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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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fen ihre Räusche und träumen von neuen Siegen in ritterlichen Bicr-
turnicren. Wie sich doch die Zeiten ändern! Wer 'früher von dem
geistigen Leben einer Provinz sprechen wollte, mußte bei der Univer¬
sität anfangen und aufhören, heute sängt man bei ihr an und hört
bei ihr auf, wenn man den Nachtrab des geistigen Heeres zu schil¬
dern unternimmt. Sie hat nicht einmal Anspruch aus jene Schonung,
mit der man müde, glicdersteife Invaliden behandelt; denn die Siege
sind nicht durch sie, sondern trotz ihr erfochten worden. All die
Waffen, die gegen den Stabilismus gebraucht werden, tragen nicht
das Eichungszeichen der Universttat, sondern sind in den Werkstätten
des Lebens geschmiedet. Wahrend ein Professor, dessen philosophische
Vorträge noch den meisten Zuspruch haben, in hochmüthiger Ueber¬
hebung sich gegen die Interessen des Volks feindselig hält und aus
der schattigen Kühle, in welcher seine Speculation ihr Laubhüttenfest
feiert, auf den erhitzten Kampf der Gegensätze verächtlich herabschaut,
sprechen kleinstädtische Bürger, die vielleicht niemals einen christlich-
germanischen Philosophen von Angesicht zu Angesicht geschaut, für
Oeffentlichkeit und ein freies Communalleben mit einer Einsicht und
Energie, von der man nicht weiß, wo sie mit einem Male hergekom¬
men ist. Das ist die Rache, die das Leben an der Gelehrsamkeit
nimmt. Es muß so weit kommen, daß Bäcker, Schneider und Flei¬
scher mit einem verschimmelten Gelehrten auf einer und derselben
Bierbank zu sitzen verschmähen.) Unserm Censor, dem Herrn v. Schvn-
feld, passirt das schon, obglmh er eben kein Gelehrter ist. Da bin
ich wieder bei der Censur, ohne daß ich es wollte. Doch das schadet
Nichts, ich komme da auf einen ihrer Erecutoren und durch diesen
wieder auf die Universität zurück. -- Während sich die Zahl der äm-
tersuchendcn jungen Männer in Preußen von Tag zu Tag vergrößert,
gibt es Männer, welchen eine solche Last von Verpflichtungen aufge¬
bürdet ist, daß sie mehr als Menschen sein müßten, wollten sie Allem
genügen. Zu diesen gehört Herr Heinke. Er ist Polizeipräsident, Büh¬
nen- und Bezirks-Censor und Regierungsbevollmächtigter an der Uni¬
versität. Man bedenke: das Wohl und Wehe eines großen Theils
des socialen, wissenschaftlichen, Literatur- und Kunstlebens liegt in sei¬
ner Hand; in der Hand eines einzigen Mannes das Schicksal von
beinahe einer ganzen Provinz ! In seinen polizeilichen Functionen soll
er strenge, aber human sein; als Censor ist er für alle nicht polizei¬
lichen Artikel nachsichtig, d. h. was man in Breslau nachsichtig nennt.
Er censirt aber nicht eher, bevor ihm nicht die Namen sämmtlicher
Verfasser in in",^iuv des Censurbogens notirt sind. Daß man die¬
sen polizeilichen Wissensdrang mitunter irre leitet, versteht sich um so
mehr von selbst, als die Redacteure überhaupt hiezu nicht verpflichtet
sind. Die Bühnencensur handhabt er sehr rigoros. Sein "nicht auf¬
zuführen" unter "Zopf und Schwert" bekam durch Sanction des


fen ihre Räusche und träumen von neuen Siegen in ritterlichen Bicr-
turnicren. Wie sich doch die Zeiten ändern! Wer 'früher von dem
geistigen Leben einer Provinz sprechen wollte, mußte bei der Univer¬
sität anfangen und aufhören, heute sängt man bei ihr an und hört
bei ihr auf, wenn man den Nachtrab des geistigen Heeres zu schil¬
dern unternimmt. Sie hat nicht einmal Anspruch aus jene Schonung,
mit der man müde, glicdersteife Invaliden behandelt; denn die Siege
sind nicht durch sie, sondern trotz ihr erfochten worden. All die
Waffen, die gegen den Stabilismus gebraucht werden, tragen nicht
das Eichungszeichen der Universttat, sondern sind in den Werkstätten
des Lebens geschmiedet. Wahrend ein Professor, dessen philosophische
Vorträge noch den meisten Zuspruch haben, in hochmüthiger Ueber¬
hebung sich gegen die Interessen des Volks feindselig hält und aus
der schattigen Kühle, in welcher seine Speculation ihr Laubhüttenfest
feiert, auf den erhitzten Kampf der Gegensätze verächtlich herabschaut,
sprechen kleinstädtische Bürger, die vielleicht niemals einen christlich-
germanischen Philosophen von Angesicht zu Angesicht geschaut, für
Oeffentlichkeit und ein freies Communalleben mit einer Einsicht und
Energie, von der man nicht weiß, wo sie mit einem Male hergekom¬
men ist. Das ist die Rache, die das Leben an der Gelehrsamkeit
nimmt. Es muß so weit kommen, daß Bäcker, Schneider und Flei¬
scher mit einem verschimmelten Gelehrten auf einer und derselben
Bierbank zu sitzen verschmähen.) Unserm Censor, dem Herrn v. Schvn-
feld, passirt das schon, obglmh er eben kein Gelehrter ist. Da bin
ich wieder bei der Censur, ohne daß ich es wollte. Doch das schadet
Nichts, ich komme da auf einen ihrer Erecutoren und durch diesen
wieder auf die Universität zurück. — Während sich die Zahl der äm-
tersuchendcn jungen Männer in Preußen von Tag zu Tag vergrößert,
gibt es Männer, welchen eine solche Last von Verpflichtungen aufge¬
bürdet ist, daß sie mehr als Menschen sein müßten, wollten sie Allem
genügen. Zu diesen gehört Herr Heinke. Er ist Polizeipräsident, Büh¬
nen- und Bezirks-Censor und Regierungsbevollmächtigter an der Uni¬
versität. Man bedenke: das Wohl und Wehe eines großen Theils
des socialen, wissenschaftlichen, Literatur- und Kunstlebens liegt in sei¬
ner Hand; in der Hand eines einzigen Mannes das Schicksal von
beinahe einer ganzen Provinz ! In seinen polizeilichen Functionen soll
er strenge, aber human sein; als Censor ist er für alle nicht polizei¬
lichen Artikel nachsichtig, d. h. was man in Breslau nachsichtig nennt.
Er censirt aber nicht eher, bevor ihm nicht die Namen sämmtlicher
Verfasser in in»,^iuv des Censurbogens notirt sind. Daß man die¬
sen polizeilichen Wissensdrang mitunter irre leitet, versteht sich um so
mehr von selbst, als die Redacteure überhaupt hiezu nicht verpflichtet
sind. Die Bühnencensur handhabt er sehr rigoros. Sein „nicht auf¬
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[0386] fen ihre Räusche und träumen von neuen Siegen in ritterlichen Bicr- turnicren. Wie sich doch die Zeiten ändern! Wer 'früher von dem geistigen Leben einer Provinz sprechen wollte, mußte bei der Univer¬ sität anfangen und aufhören, heute sängt man bei ihr an und hört bei ihr auf, wenn man den Nachtrab des geistigen Heeres zu schil¬ dern unternimmt. Sie hat nicht einmal Anspruch aus jene Schonung, mit der man müde, glicdersteife Invaliden behandelt; denn die Siege sind nicht durch sie, sondern trotz ihr erfochten worden. All die Waffen, die gegen den Stabilismus gebraucht werden, tragen nicht das Eichungszeichen der Universttat, sondern sind in den Werkstätten des Lebens geschmiedet. Wahrend ein Professor, dessen philosophische Vorträge noch den meisten Zuspruch haben, in hochmüthiger Ueber¬ hebung sich gegen die Interessen des Volks feindselig hält und aus der schattigen Kühle, in welcher seine Speculation ihr Laubhüttenfest feiert, auf den erhitzten Kampf der Gegensätze verächtlich herabschaut, sprechen kleinstädtische Bürger, die vielleicht niemals einen christlich- germanischen Philosophen von Angesicht zu Angesicht geschaut, für Oeffentlichkeit und ein freies Communalleben mit einer Einsicht und Energie, von der man nicht weiß, wo sie mit einem Male hergekom¬ men ist. Das ist die Rache, die das Leben an der Gelehrsamkeit nimmt. Es muß so weit kommen, daß Bäcker, Schneider und Flei¬ scher mit einem verschimmelten Gelehrten auf einer und derselben Bierbank zu sitzen verschmähen.) Unserm Censor, dem Herrn v. Schvn- feld, passirt das schon, obglmh er eben kein Gelehrter ist. Da bin ich wieder bei der Censur, ohne daß ich es wollte. Doch das schadet Nichts, ich komme da auf einen ihrer Erecutoren und durch diesen wieder auf die Universität zurück. — Während sich die Zahl der äm- tersuchendcn jungen Männer in Preußen von Tag zu Tag vergrößert, gibt es Männer, welchen eine solche Last von Verpflichtungen aufge¬ bürdet ist, daß sie mehr als Menschen sein müßten, wollten sie Allem genügen. Zu diesen gehört Herr Heinke. Er ist Polizeipräsident, Büh¬ nen- und Bezirks-Censor und Regierungsbevollmächtigter an der Uni¬ versität. Man bedenke: das Wohl und Wehe eines großen Theils des socialen, wissenschaftlichen, Literatur- und Kunstlebens liegt in sei¬ ner Hand; in der Hand eines einzigen Mannes das Schicksal von beinahe einer ganzen Provinz ! In seinen polizeilichen Functionen soll er strenge, aber human sein; als Censor ist er für alle nicht polizei¬ lichen Artikel nachsichtig, d. h. was man in Breslau nachsichtig nennt. Er censirt aber nicht eher, bevor ihm nicht die Namen sämmtlicher Verfasser in in»,^iuv des Censurbogens notirt sind. Daß man die¬ sen polizeilichen Wissensdrang mitunter irre leitet, versteht sich um so mehr von selbst, als die Redacteure überhaupt hiezu nicht verpflichtet sind. Die Bühnencensur handhabt er sehr rigoros. Sein „nicht auf¬ zuführen" unter „Zopf und Schwert" bekam durch Sanction des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/386>, abgerufen am 26.08.2024.