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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Herzloser möchten gern, daß die Regierung gleich mit Kartätschen un¬
ter die Menge schießen ließe, und gehen so weit, das milde Verfah¬
ren, welches der Erzherzog Stephan gegen die Kattundrucker einschlug,,
zu tadeln. Was ist ihnen das Volk, wenn es sich um ihr" Geld¬
kiste handelt! Möge die Regierung sich nicht beirren lassen in
dem Wege der Mäßigung, den sie eingeschlagen. Oesterreich muß in
neuerer Aelt die öffentliche Meinung mehr berücksichtigen, als es frü¬
her gethan. Möge es in der schweren Prüfung, die es in Böhmen
in diesem Augenblick zu bestehen hat, und die vielleicht so bald nicht
durchgemacht sein wird, die Aufgabe und die Erfahrungen einer zeit¬
gemäßen Politik nicht außer Acht lassen. Welche Art von Traditio¬
nen früherer Politik noch bei unseren alten Herren eristirt, davon
hatte ich dieser Tage selbst ein Beispiel An dem Tage, wo das At¬
tentat gegen den König von Preußen hier bekannt wurde, begegnete
ich dem alten Fürsten einem Greise, der vor fünfzig Jahren
eine wichtige Rolle im österreichischen Staatswesen gespielt hat. Ha¬
ben Ew. Durchlaucht auch schon die Nachricht von dem Ereigniß in
Berlin gehört? -- Freilich, antwortete der alte Herr, lauter Lügen.
Man muß solche Dinge nicht glauben. -- Haben Ew. Durchlaucht
keine Briefe aus Böhmen? Sind keine neuen Unruhen vor¬
gefallen? -- Unruhen? siel mir der Fürst in die Rede, ich
weiß von keinen Unruhen. Glauben Sie doch dem Zeitungsge¬
schwätze nicht. Es ist nichts Unruhiges vorgefallen.---Erst diese

zweite Antwort erläuterte mir die erste. Vor fünfzig Jahren ist es
staatsmännische Methode gewesen, derlei Ereignisse kurzweg abzuläug-
nen. Damals allerdings hatte noch nicht jedes Zeitungsblatt und
namentlich jedes Handlungshaus überall seinen sichern Korresponden¬
ten. Damals waren derlei Dinge Geheimnisse. Wer die Wendung
der Zeit nicht verschlafen, sondern die Augen offen hat, ver wird
wissen, daß derlei Methode heute zu Nichts als zu Mißtrauen und
Erbitterung führt. Das Verhältniß der Regierung zu den Regier¬
ten ist ein anderes geworden. Dies möge man in Böhmen nicht
vergessen.


II.
Aus Berlin.

Die Verheerungen der Weichsel in der Provinz Preußen. -- Königsberger
Universitätsjubiläum. -- Professor Jacoby. -- Alexander von Humboldt. --
Dove über das Wetter. -- Erman's hygrometrische Beobachtungen. -- Die
Rosscbändigcr oder Fortschritt und Rückschritt.

Recht betrübend sind die Nachrichten, die im Lause dieser Woche
aus der Provinz Preußen über die Verheerungen eingegangen sind,
welche die Fluchen der Weichsel und der Nogat dort angerichtet haben.


Herzloser möchten gern, daß die Regierung gleich mit Kartätschen un¬
ter die Menge schießen ließe, und gehen so weit, das milde Verfah¬
ren, welches der Erzherzog Stephan gegen die Kattundrucker einschlug,,
zu tadeln. Was ist ihnen das Volk, wenn es sich um ihr« Geld¬
kiste handelt! Möge die Regierung sich nicht beirren lassen in
dem Wege der Mäßigung, den sie eingeschlagen. Oesterreich muß in
neuerer Aelt die öffentliche Meinung mehr berücksichtigen, als es frü¬
her gethan. Möge es in der schweren Prüfung, die es in Böhmen
in diesem Augenblick zu bestehen hat, und die vielleicht so bald nicht
durchgemacht sein wird, die Aufgabe und die Erfahrungen einer zeit¬
gemäßen Politik nicht außer Acht lassen. Welche Art von Traditio¬
nen früherer Politik noch bei unseren alten Herren eristirt, davon
hatte ich dieser Tage selbst ein Beispiel An dem Tage, wo das At¬
tentat gegen den König von Preußen hier bekannt wurde, begegnete
ich dem alten Fürsten einem Greise, der vor fünfzig Jahren
eine wichtige Rolle im österreichischen Staatswesen gespielt hat. Ha¬
ben Ew. Durchlaucht auch schon die Nachricht von dem Ereigniß in
Berlin gehört? — Freilich, antwortete der alte Herr, lauter Lügen.
Man muß solche Dinge nicht glauben. — Haben Ew. Durchlaucht
keine Briefe aus Böhmen? Sind keine neuen Unruhen vor¬
gefallen? — Unruhen? siel mir der Fürst in die Rede, ich
weiß von keinen Unruhen. Glauben Sie doch dem Zeitungsge¬
schwätze nicht. Es ist nichts Unruhiges vorgefallen.---Erst diese

zweite Antwort erläuterte mir die erste. Vor fünfzig Jahren ist es
staatsmännische Methode gewesen, derlei Ereignisse kurzweg abzuläug-
nen. Damals allerdings hatte noch nicht jedes Zeitungsblatt und
namentlich jedes Handlungshaus überall seinen sichern Korresponden¬
ten. Damals waren derlei Dinge Geheimnisse. Wer die Wendung
der Zeit nicht verschlafen, sondern die Augen offen hat, ver wird
wissen, daß derlei Methode heute zu Nichts als zu Mißtrauen und
Erbitterung führt. Das Verhältniß der Regierung zu den Regier¬
ten ist ein anderes geworden. Dies möge man in Böhmen nicht
vergessen.


II.
Aus Berlin.

Die Verheerungen der Weichsel in der Provinz Preußen. — Königsberger
Universitätsjubiläum. — Professor Jacoby. — Alexander von Humboldt. —
Dove über das Wetter. — Erman's hygrometrische Beobachtungen. — Die
Rosscbändigcr oder Fortschritt und Rückschritt.

Recht betrübend sind die Nachrichten, die im Lause dieser Woche
aus der Provinz Preußen über die Verheerungen eingegangen sind,
welche die Fluchen der Weichsel und der Nogat dort angerichtet haben.


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[0383] Herzloser möchten gern, daß die Regierung gleich mit Kartätschen un¬ ter die Menge schießen ließe, und gehen so weit, das milde Verfah¬ ren, welches der Erzherzog Stephan gegen die Kattundrucker einschlug,, zu tadeln. Was ist ihnen das Volk, wenn es sich um ihr« Geld¬ kiste handelt! Möge die Regierung sich nicht beirren lassen in dem Wege der Mäßigung, den sie eingeschlagen. Oesterreich muß in neuerer Aelt die öffentliche Meinung mehr berücksichtigen, als es frü¬ her gethan. Möge es in der schweren Prüfung, die es in Böhmen in diesem Augenblick zu bestehen hat, und die vielleicht so bald nicht durchgemacht sein wird, die Aufgabe und die Erfahrungen einer zeit¬ gemäßen Politik nicht außer Acht lassen. Welche Art von Traditio¬ nen früherer Politik noch bei unseren alten Herren eristirt, davon hatte ich dieser Tage selbst ein Beispiel An dem Tage, wo das At¬ tentat gegen den König von Preußen hier bekannt wurde, begegnete ich dem alten Fürsten einem Greise, der vor fünfzig Jahren eine wichtige Rolle im österreichischen Staatswesen gespielt hat. Ha¬ ben Ew. Durchlaucht auch schon die Nachricht von dem Ereigniß in Berlin gehört? — Freilich, antwortete der alte Herr, lauter Lügen. Man muß solche Dinge nicht glauben. — Haben Ew. Durchlaucht keine Briefe aus Böhmen? Sind keine neuen Unruhen vor¬ gefallen? — Unruhen? siel mir der Fürst in die Rede, ich weiß von keinen Unruhen. Glauben Sie doch dem Zeitungsge¬ schwätze nicht. Es ist nichts Unruhiges vorgefallen.---Erst diese zweite Antwort erläuterte mir die erste. Vor fünfzig Jahren ist es staatsmännische Methode gewesen, derlei Ereignisse kurzweg abzuläug- nen. Damals allerdings hatte noch nicht jedes Zeitungsblatt und namentlich jedes Handlungshaus überall seinen sichern Korresponden¬ ten. Damals waren derlei Dinge Geheimnisse. Wer die Wendung der Zeit nicht verschlafen, sondern die Augen offen hat, ver wird wissen, daß derlei Methode heute zu Nichts als zu Mißtrauen und Erbitterung führt. Das Verhältniß der Regierung zu den Regier¬ ten ist ein anderes geworden. Dies möge man in Böhmen nicht vergessen. II. Aus Berlin. Die Verheerungen der Weichsel in der Provinz Preußen. — Königsberger Universitätsjubiläum. — Professor Jacoby. — Alexander von Humboldt. — Dove über das Wetter. — Erman's hygrometrische Beobachtungen. — Die Rosscbändigcr oder Fortschritt und Rückschritt. Recht betrübend sind die Nachrichten, die im Lause dieser Woche aus der Provinz Preußen über die Verheerungen eingegangen sind, welche die Fluchen der Weichsel und der Nogat dort angerichtet haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/383>, abgerufen am 22.12.2024.