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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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kannte sie genauer durch die Correspondenz ihres Vaters. Doch bald
wußte ich das Gespräch wieder auf ihren Vater hinzulenken und war
ganz Ohr, da sie uns von ihm erzählte. Sie hob einige interessante
Momente seines Lebens hervor. Er sei von seinem Vater, einem
Landpredigcr in Smaland, anfangs für den Priesterstand bestimmt
gewesen, da die Mutter das Gelübde gethan, ihn nichts Anderes als
Priester werden zu lassen. Die Verlegenheit sei groß gewesen, als
der junge Linnv gar keine Neigung zum Prediger gezeigt und sich
mit entschiedener Energie auf die Naturwissenschaften gelegt. Die
Frauen aber wissen überall und immer Rath. Die Mutter habe auch
Rath gewußt, ihr Gelübde mit der Neigung des Sohnes in Einklang
zu bringen, und zum Gatten gesagt: Ja, Karl soll Priester werden,
aber ein Priester der Natur! -- Später habe er eine Reise nach
Grönland unter den größten Mühen und Gefahren gemacht und auf
derselben nur fünfzig Nthlr. gebraucht, die er vom Staat als Reisegeld
für achthundert Meilen erhalten. Ganz allein sei er gereist, eine le¬
derne Kapsel mit Papier und Feder und ein kleiner Mamelsack mit
Wäsche war Alles, was er mitnahm. Dann sprach sie von seinen
Reisen in Holland, von seiner Freundschaft mit dem berühmten Phi¬
lologen Gronow, und ging hernach auf seine glückliche Häuslichkeit
und auf die letzten Augenblicke seines Lebens über.

Eine sanfte Thräne kindlicher Pietät rollte ihre Wangen herab.
-- Wen könnte das Andenken an große Männer, zumal wenn es
von der Kindesliebe so treu und lebhaft vor die Seele geführt wird,
ungerührt lassen? --

Fräulein Linne hatte gerade nahe Verwandte bei sich zum Be¬
such, drei junge, blühende Mädchen, wenn auch nicht blendend schön,
so doch sehr liebenswürdig im Wesen und Benehmen, wie man über¬
haupt bei den Schwedinnen weniger prangende, imposante Schönheit,
als vielmehr ein anziehendes, zartes Aeußere und ungemeine Liebens¬
würdigkeit findet. Wir fühlten uns sehr wohl bei der ungeschminkten
Freundlichkeit und naiven Gemüthlichkeit dieser Damen.

Einige Tassen schwarzen Kaffees wurden uns präsentirt mit
mehreren SmörgaK. Dann schickten wir uns an, Limits Haus und
Garten zu besuchen. Das alte Fräulein entschuldigte sich, nicht mit¬
kommen zu können, gab uns aber die jungen Damen zu Führerin¬
nen mit: sie gehe, sagte sie, am liebsten allein herum in" Heiligthum


kannte sie genauer durch die Correspondenz ihres Vaters. Doch bald
wußte ich das Gespräch wieder auf ihren Vater hinzulenken und war
ganz Ohr, da sie uns von ihm erzählte. Sie hob einige interessante
Momente seines Lebens hervor. Er sei von seinem Vater, einem
Landpredigcr in Smaland, anfangs für den Priesterstand bestimmt
gewesen, da die Mutter das Gelübde gethan, ihn nichts Anderes als
Priester werden zu lassen. Die Verlegenheit sei groß gewesen, als
der junge Linnv gar keine Neigung zum Prediger gezeigt und sich
mit entschiedener Energie auf die Naturwissenschaften gelegt. Die
Frauen aber wissen überall und immer Rath. Die Mutter habe auch
Rath gewußt, ihr Gelübde mit der Neigung des Sohnes in Einklang
zu bringen, und zum Gatten gesagt: Ja, Karl soll Priester werden,
aber ein Priester der Natur! — Später habe er eine Reise nach
Grönland unter den größten Mühen und Gefahren gemacht und auf
derselben nur fünfzig Nthlr. gebraucht, die er vom Staat als Reisegeld
für achthundert Meilen erhalten. Ganz allein sei er gereist, eine le¬
derne Kapsel mit Papier und Feder und ein kleiner Mamelsack mit
Wäsche war Alles, was er mitnahm. Dann sprach sie von seinen
Reisen in Holland, von seiner Freundschaft mit dem berühmten Phi¬
lologen Gronow, und ging hernach auf seine glückliche Häuslichkeit
und auf die letzten Augenblicke seines Lebens über.

Eine sanfte Thräne kindlicher Pietät rollte ihre Wangen herab.
— Wen könnte das Andenken an große Männer, zumal wenn es
von der Kindesliebe so treu und lebhaft vor die Seele geführt wird,
ungerührt lassen? —

Fräulein Linne hatte gerade nahe Verwandte bei sich zum Be¬
such, drei junge, blühende Mädchen, wenn auch nicht blendend schön,
so doch sehr liebenswürdig im Wesen und Benehmen, wie man über¬
haupt bei den Schwedinnen weniger prangende, imposante Schönheit,
als vielmehr ein anziehendes, zartes Aeußere und ungemeine Liebens¬
würdigkeit findet. Wir fühlten uns sehr wohl bei der ungeschminkten
Freundlichkeit und naiven Gemüthlichkeit dieser Damen.

Einige Tassen schwarzen Kaffees wurden uns präsentirt mit
mehreren SmörgaK. Dann schickten wir uns an, Limits Haus und
Garten zu besuchen. Das alte Fräulein entschuldigte sich, nicht mit¬
kommen zu können, gab uns aber die jungen Damen zu Führerin¬
nen mit: sie gehe, sagte sie, am liebsten allein herum in« Heiligthum


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[0374] kannte sie genauer durch die Correspondenz ihres Vaters. Doch bald wußte ich das Gespräch wieder auf ihren Vater hinzulenken und war ganz Ohr, da sie uns von ihm erzählte. Sie hob einige interessante Momente seines Lebens hervor. Er sei von seinem Vater, einem Landpredigcr in Smaland, anfangs für den Priesterstand bestimmt gewesen, da die Mutter das Gelübde gethan, ihn nichts Anderes als Priester werden zu lassen. Die Verlegenheit sei groß gewesen, als der junge Linnv gar keine Neigung zum Prediger gezeigt und sich mit entschiedener Energie auf die Naturwissenschaften gelegt. Die Frauen aber wissen überall und immer Rath. Die Mutter habe auch Rath gewußt, ihr Gelübde mit der Neigung des Sohnes in Einklang zu bringen, und zum Gatten gesagt: Ja, Karl soll Priester werden, aber ein Priester der Natur! — Später habe er eine Reise nach Grönland unter den größten Mühen und Gefahren gemacht und auf derselben nur fünfzig Nthlr. gebraucht, die er vom Staat als Reisegeld für achthundert Meilen erhalten. Ganz allein sei er gereist, eine le¬ derne Kapsel mit Papier und Feder und ein kleiner Mamelsack mit Wäsche war Alles, was er mitnahm. Dann sprach sie von seinen Reisen in Holland, von seiner Freundschaft mit dem berühmten Phi¬ lologen Gronow, und ging hernach auf seine glückliche Häuslichkeit und auf die letzten Augenblicke seines Lebens über. Eine sanfte Thräne kindlicher Pietät rollte ihre Wangen herab. — Wen könnte das Andenken an große Männer, zumal wenn es von der Kindesliebe so treu und lebhaft vor die Seele geführt wird, ungerührt lassen? — Fräulein Linne hatte gerade nahe Verwandte bei sich zum Be¬ such, drei junge, blühende Mädchen, wenn auch nicht blendend schön, so doch sehr liebenswürdig im Wesen und Benehmen, wie man über¬ haupt bei den Schwedinnen weniger prangende, imposante Schönheit, als vielmehr ein anziehendes, zartes Aeußere und ungemeine Liebens¬ würdigkeit findet. Wir fühlten uns sehr wohl bei der ungeschminkten Freundlichkeit und naiven Gemüthlichkeit dieser Damen. Einige Tassen schwarzen Kaffees wurden uns präsentirt mit mehreren SmörgaK. Dann schickten wir uns an, Limits Haus und Garten zu besuchen. Das alte Fräulein entschuldigte sich, nicht mit¬ kommen zu können, gab uns aber die jungen Damen zu Führerin¬ nen mit: sie gehe, sagte sie, am liebsten allein herum in« Heiligthum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/374>, abgerufen am 23.07.2024.