Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.ner Einsamkeit zu erquicken. Zur Gesellschaft bedarf ich der Menschen Der Alte war vorausgegangen und kam mir auf der dritten ner Einsamkeit zu erquicken. Zur Gesellschaft bedarf ich der Menschen Der Alte war vorausgegangen und kam mir auf der dritten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180925"/> <p xml:id="ID_865" prev="#ID_864"> ner Einsamkeit zu erquicken. Zur Gesellschaft bedarf ich der Menschen<lb/> nicht mehr, und meine übrigen Bedürfnisse sind so gering, daß ich<lb/> von dem Wenigen, was mir meine früheren besseren Umstände übrig<lb/> ließen, bequem leben kann. Ich würde mich schämen, Jemandem<lb/> meine Lebensweise zu erzählen, und doch bin ich zufrieden damit.<lb/> Die Arbeit, der ich vor meinem Tode noch die letzten Kräfte weihe,<lb/> ist die Aufzeichnung meiner merkwürdigen Lebensgeschichte. Wenn ich<lb/> damit fertig bin, werde ich wohl auf ewig schlafen gehen. — Theilen<lb/> Sie denn aber Niemandem von Ihren Werken etwas mit? — O ja,<lb/> ich that dies zuweilen, als ich noch vertraute Freunde hatte. Sie<lb/> sind aber längst alle begraben. Er schwieg wieder und schien sich<lb/> zu besinnen. Endlich hob er etwas schüchtern an: Ich muß geste¬<lb/> hen, ich fühle jetzt das Bedürfniß, mich noch einmal Jemandem mit¬<lb/> zutheilen. Doch würde ich wohl schwerlich Einen finden, der mich<lb/> noch versteht. Nach einer Pause sagte er endlich: Besuchen Sie<lb/> mich doch einmal, Ihnen würde ich gern etwas vorlesen. Meine<lb/> Freude über den schnellen Fortschritt in dem Vertrauen des sonderlich<lb/> stolzen Mannes war übergroß, ich drückte ihm die Hand und bat<lb/> ihn, mich doch heute Nacht noch mit sich zu nehmen. Er gewährte<lb/> auch dies, und nachdem ich aus einer Weinhandlung noch eine Flasche<lb/> guten herben Ungar geholt hatte, gingen wir, da es ohnedies zu<lb/> schneien anfing, in schnellen Schritten nach Hause.</p><lb/> <p xml:id="ID_866" next="#ID_867"> Der Alte war vorausgegangen und kam mir auf der dritten<lb/> Treppe schon mit der Lampe entgegen. Das Zimmer, in das ich trat,<lb/> war kaum ein solches zu nennen. Es war nicht so groß, daß vier<lb/> Menschen darin Platz gefunden hätten, noch daß ein Bett darin<lb/> hätte stehen können. Die Stelle desselben vertrat ein kleines Sopha.<lb/> Eine Glasthür, die auf das platte Dach des Hintergebäudes führte,<lb/> das zum Wäschetrocknen benutzt wurde, machte zugleich das Fenster<lb/> aus. Als ich es näher betrachten wollte, pfiff mir aber der Wind<lb/> den Schnee so heftig in die Augen, daß ich mich umwenden mußte.<lb/> Sie werden es hier wahrscheinlich sehr kalt finden, sagte der alte<lb/> Mann kurz, ich heize aber fast niemals ein. Ich nahm, ohne<lb/> darauf zu antworten, die zwei Gläser vom Gesims, setzte mich und<lb/> fing an einzuschenken. Der alte Mann mochte wohl recht lange kei¬<lb/> nen Wein getrunken haben, denn sein mattes Auge fing zu funkeln<lb/> an, seine Glieder wurden lebendig, die eisgrauen, verwitterten Züge</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0366]
ner Einsamkeit zu erquicken. Zur Gesellschaft bedarf ich der Menschen
nicht mehr, und meine übrigen Bedürfnisse sind so gering, daß ich
von dem Wenigen, was mir meine früheren besseren Umstände übrig
ließen, bequem leben kann. Ich würde mich schämen, Jemandem
meine Lebensweise zu erzählen, und doch bin ich zufrieden damit.
Die Arbeit, der ich vor meinem Tode noch die letzten Kräfte weihe,
ist die Aufzeichnung meiner merkwürdigen Lebensgeschichte. Wenn ich
damit fertig bin, werde ich wohl auf ewig schlafen gehen. — Theilen
Sie denn aber Niemandem von Ihren Werken etwas mit? — O ja,
ich that dies zuweilen, als ich noch vertraute Freunde hatte. Sie
sind aber längst alle begraben. Er schwieg wieder und schien sich
zu besinnen. Endlich hob er etwas schüchtern an: Ich muß geste¬
hen, ich fühle jetzt das Bedürfniß, mich noch einmal Jemandem mit¬
zutheilen. Doch würde ich wohl schwerlich Einen finden, der mich
noch versteht. Nach einer Pause sagte er endlich: Besuchen Sie
mich doch einmal, Ihnen würde ich gern etwas vorlesen. Meine
Freude über den schnellen Fortschritt in dem Vertrauen des sonderlich
stolzen Mannes war übergroß, ich drückte ihm die Hand und bat
ihn, mich doch heute Nacht noch mit sich zu nehmen. Er gewährte
auch dies, und nachdem ich aus einer Weinhandlung noch eine Flasche
guten herben Ungar geholt hatte, gingen wir, da es ohnedies zu
schneien anfing, in schnellen Schritten nach Hause.
Der Alte war vorausgegangen und kam mir auf der dritten
Treppe schon mit der Lampe entgegen. Das Zimmer, in das ich trat,
war kaum ein solches zu nennen. Es war nicht so groß, daß vier
Menschen darin Platz gefunden hätten, noch daß ein Bett darin
hätte stehen können. Die Stelle desselben vertrat ein kleines Sopha.
Eine Glasthür, die auf das platte Dach des Hintergebäudes führte,
das zum Wäschetrocknen benutzt wurde, machte zugleich das Fenster
aus. Als ich es näher betrachten wollte, pfiff mir aber der Wind
den Schnee so heftig in die Augen, daß ich mich umwenden mußte.
Sie werden es hier wahrscheinlich sehr kalt finden, sagte der alte
Mann kurz, ich heize aber fast niemals ein. Ich nahm, ohne
darauf zu antworten, die zwei Gläser vom Gesims, setzte mich und
fing an einzuschenken. Der alte Mann mochte wohl recht lange kei¬
nen Wein getrunken haben, denn sein mattes Auge fing zu funkeln
an, seine Glieder wurden lebendig, die eisgrauen, verwitterten Züge
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