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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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und besonders hatte Wonnig einen tiefen Respect vor seiner Klug¬
heit. Die Gespräche, die ich hier durch die hölzerne Wand horte,
ließen mich einen recht tiefen Blick in das Innere solcher Berliner
Familienverhältnisse thun. Ein gutes Geschäft, ein eigenes Haus
und dieses ganz mit Miethern besetzt, die schlechteste, ökonomischste
Lebensweise, und doch dabei Schulden, ewige Prozesse und Geldver¬
legenheiten, täglich Furcht vor der Erecution, dadurch Streit, Zank
und immerwährender Unfriede. Es ereignete sich einmal wirklich, daß
ich eines Morgens von einem Erecutor mit der Frage aus dem
Schlafe geweckt wurde: ob die Möbel im Zimmer mir gehörten?
Als ich nachher aufstand, fand ich alle meine Schränke und Tische
versiegelt.


5

Ueber den kleinen Conditorladen in der Friedrichsstraße schien
plötzlich der Segen des Herrn gekommen zu sein, seitdem Mathilde
hinter dem Ladentisch präsidirte. Denn das schöne Conditormädchen
hatte bald die Aufmerksamkeit der nobeln Herrn auf sich gezogen,
und Felir wäre wahrlich stolz gewesen auf sein Werk, wenn er
gesehen hätte, wie die schönsten Schnurrbärte, die elegantesten Westen
und Fracks, die Berlin nur aufzuweisen hat, sich massenweise um
sie bemühten und mit einander wetteiferten, ihr ihre Huldigungen darzu¬
bringen. Mathilde, die stolze, schöne Göttin des Conditorladens, war
der Gegenstand unzähliger heißer Wünsche geworden, man fand sie
reizend, man betete sie an und der Conditor machte seinen Schnitt.
Denn der kleine Raum war setzt von Morgen bis Abend mit Gä¬
sten belagert und Mathilde verstand es, sie mit all ihrer Liebenswür¬
digkeit zu fesseln und immer noch andere und neue herbeizuziehen.
Doch sagte sie mir, daß sie für all das Gute, das sie in ihrer neuen
Stellung erhalten, ihre Freiheit verkauft habe; sie könne nicht mehr
ausgehen, wenn sie wolle, und dies allein mache sie unzufrieden.

Auch der unermüdliche Schreiber trank jetzt täglich seinen Kaffee
bei ihr und schien nur zufrieden zu sein, daß sie nicht mehr unartig
gegen ihn sein durfte. Der alte Herr aber war durch die vielen
Gäste von seinem sonst so stillen Erholungsort fast vertrieben, er kam
jetzt sehr spät, und nicht ohne sich vorher durch das Fenster von der
schon herrschenden Ruhe überzeugt zu haben. Es war in einer tat-


und besonders hatte Wonnig einen tiefen Respect vor seiner Klug¬
heit. Die Gespräche, die ich hier durch die hölzerne Wand horte,
ließen mich einen recht tiefen Blick in das Innere solcher Berliner
Familienverhältnisse thun. Ein gutes Geschäft, ein eigenes Haus
und dieses ganz mit Miethern besetzt, die schlechteste, ökonomischste
Lebensweise, und doch dabei Schulden, ewige Prozesse und Geldver¬
legenheiten, täglich Furcht vor der Erecution, dadurch Streit, Zank
und immerwährender Unfriede. Es ereignete sich einmal wirklich, daß
ich eines Morgens von einem Erecutor mit der Frage aus dem
Schlafe geweckt wurde: ob die Möbel im Zimmer mir gehörten?
Als ich nachher aufstand, fand ich alle meine Schränke und Tische
versiegelt.


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Ueber den kleinen Conditorladen in der Friedrichsstraße schien
plötzlich der Segen des Herrn gekommen zu sein, seitdem Mathilde
hinter dem Ladentisch präsidirte. Denn das schöne Conditormädchen
hatte bald die Aufmerksamkeit der nobeln Herrn auf sich gezogen,
und Felir wäre wahrlich stolz gewesen auf sein Werk, wenn er
gesehen hätte, wie die schönsten Schnurrbärte, die elegantesten Westen
und Fracks, die Berlin nur aufzuweisen hat, sich massenweise um
sie bemühten und mit einander wetteiferten, ihr ihre Huldigungen darzu¬
bringen. Mathilde, die stolze, schöne Göttin des Conditorladens, war
der Gegenstand unzähliger heißer Wünsche geworden, man fand sie
reizend, man betete sie an und der Conditor machte seinen Schnitt.
Denn der kleine Raum war setzt von Morgen bis Abend mit Gä¬
sten belagert und Mathilde verstand es, sie mit all ihrer Liebenswür¬
digkeit zu fesseln und immer noch andere und neue herbeizuziehen.
Doch sagte sie mir, daß sie für all das Gute, das sie in ihrer neuen
Stellung erhalten, ihre Freiheit verkauft habe; sie könne nicht mehr
ausgehen, wenn sie wolle, und dies allein mache sie unzufrieden.

Auch der unermüdliche Schreiber trank jetzt täglich seinen Kaffee
bei ihr und schien nur zufrieden zu sein, daß sie nicht mehr unartig
gegen ihn sein durfte. Der alte Herr aber war durch die vielen
Gäste von seinem sonst so stillen Erholungsort fast vertrieben, er kam
jetzt sehr spät, und nicht ohne sich vorher durch das Fenster von der
schon herrschenden Ruhe überzeugt zu haben. Es war in einer tat-


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[0364] und besonders hatte Wonnig einen tiefen Respect vor seiner Klug¬ heit. Die Gespräche, die ich hier durch die hölzerne Wand horte, ließen mich einen recht tiefen Blick in das Innere solcher Berliner Familienverhältnisse thun. Ein gutes Geschäft, ein eigenes Haus und dieses ganz mit Miethern besetzt, die schlechteste, ökonomischste Lebensweise, und doch dabei Schulden, ewige Prozesse und Geldver¬ legenheiten, täglich Furcht vor der Erecution, dadurch Streit, Zank und immerwährender Unfriede. Es ereignete sich einmal wirklich, daß ich eines Morgens von einem Erecutor mit der Frage aus dem Schlafe geweckt wurde: ob die Möbel im Zimmer mir gehörten? Als ich nachher aufstand, fand ich alle meine Schränke und Tische versiegelt. 5 Ueber den kleinen Conditorladen in der Friedrichsstraße schien plötzlich der Segen des Herrn gekommen zu sein, seitdem Mathilde hinter dem Ladentisch präsidirte. Denn das schöne Conditormädchen hatte bald die Aufmerksamkeit der nobeln Herrn auf sich gezogen, und Felir wäre wahrlich stolz gewesen auf sein Werk, wenn er gesehen hätte, wie die schönsten Schnurrbärte, die elegantesten Westen und Fracks, die Berlin nur aufzuweisen hat, sich massenweise um sie bemühten und mit einander wetteiferten, ihr ihre Huldigungen darzu¬ bringen. Mathilde, die stolze, schöne Göttin des Conditorladens, war der Gegenstand unzähliger heißer Wünsche geworden, man fand sie reizend, man betete sie an und der Conditor machte seinen Schnitt. Denn der kleine Raum war setzt von Morgen bis Abend mit Gä¬ sten belagert und Mathilde verstand es, sie mit all ihrer Liebenswür¬ digkeit zu fesseln und immer noch andere und neue herbeizuziehen. Doch sagte sie mir, daß sie für all das Gute, das sie in ihrer neuen Stellung erhalten, ihre Freiheit verkauft habe; sie könne nicht mehr ausgehen, wenn sie wolle, und dies allein mache sie unzufrieden. Auch der unermüdliche Schreiber trank jetzt täglich seinen Kaffee bei ihr und schien nur zufrieden zu sein, daß sie nicht mehr unartig gegen ihn sein durfte. Der alte Herr aber war durch die vielen Gäste von seinem sonst so stillen Erholungsort fast vertrieben, er kam jetzt sehr spät, und nicht ohne sich vorher durch das Fenster von der schon herrschenden Ruhe überzeugt zu haben. Es war in einer tat-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/364>, abgerufen am 22.12.2024.