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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Freuden dieses Lebens den Himmel zu verkaufet. Der einzige Weg,
der einzuschlagen wäre, diesen Classen zu helfen, sei der, ihr trotziges,
weltsüchtiges Gemüth zur Demuth zu bändigen; die höchste Wohlthat,
die man ihnen erzeigen könne, die, daß man ihnen das himmlische
Gnadengeschenk des Glaubens, die Stütze der Kleinen und Armen
brächte; sie seien eben nur verlorene Lämmer der Heerde, die zu ih¬
rem Herrn und Meister zurückzubringen wären. Ich muß gestehen,
daran hatte ich noch nicht gedacht, die frommen Worte des Geistli¬
chen ließen mich merken, daß alle meine bisherige Mildthätigkeit Nichts
gewesen; ich beschloß, den wahren Weg einzuschlagen, irr Berlin um-
herzusuchen und vom Verderben zu retten, was zu retten sei. Oft
wenn ich des Abends ganz begeistert aus den reizendsten Gesellschaf¬
ten kam, ging ich noch an die Stätten des Jammers; mit einem wahr¬
haft christlichen Eifer unternahm ich mein Werk. Doch stieß ich mei¬
stens auf verstockte Sünder, sogar auf Einige, die frech genug wa¬
ren, sich ihrer Irreligiosität gar nicht zu schämen, und mir rund her¬
aus sagten, daß sie nicht mehr so läppische Narren, wie ihre Voreltern
wären, die sich unter Hunger und Qualen mit der Hoffnung auf
den Himmel getröstet hätten. Besonders interessirten mich anfangs
die Bordelle, jene Straßen und Orte, wo das Laster von Berlin sich
so massenhaft bewegt. Wie dauerten mich anfangs diese oft so schö¬
nen, unglücklichen Mädchen. Ich suchte mit einigen, die mir zart
und gefühlvoll schienen und die sich gut zu unterhalten wußten, nä¬
her bekannt zu werden. Wie wendeten sie mir aber den Rücken, wie
fühlten sie sich gekränkt und beleidigt, als ich endlich von ihrem sünd¬
lichen Lebenswandel zu sprechen anfing, wie verlachten sie mich, wie
waren sie empört, als ich gar ihren Mangel an Religion und Glau¬
ben erwähnte und ihnen das nicht ausbleibende Strafgericht Gottes
schilderte; ja, als ich einmal solch einem Wirth die Schändlichkeit sei¬
nes Gewerbes in lebhaften Farben vorhielt, da nahm er mich ruhig
beim Kragen und warf mich zur lauten Belustigung der ganzen Ge¬
sellschaft zur Thüre hinaus. Ich sah wohl ein, daß hier Nichts an¬
zufangen sei, und war eben, da mir die Sache ohnedies nutzlos viel
Geld gekostet harte, mehrere Tage ganz untröstlich über meine ver¬
unglückten. Versuche, als mir plötzlich die Bestimmung ein Wesen ent¬
gegenführte, das mir werth schien, ihm mein ganzes Mitgefühl zu
weihen.


Freuden dieses Lebens den Himmel zu verkaufet. Der einzige Weg,
der einzuschlagen wäre, diesen Classen zu helfen, sei der, ihr trotziges,
weltsüchtiges Gemüth zur Demuth zu bändigen; die höchste Wohlthat,
die man ihnen erzeigen könne, die, daß man ihnen das himmlische
Gnadengeschenk des Glaubens, die Stütze der Kleinen und Armen
brächte; sie seien eben nur verlorene Lämmer der Heerde, die zu ih¬
rem Herrn und Meister zurückzubringen wären. Ich muß gestehen,
daran hatte ich noch nicht gedacht, die frommen Worte des Geistli¬
chen ließen mich merken, daß alle meine bisherige Mildthätigkeit Nichts
gewesen; ich beschloß, den wahren Weg einzuschlagen, irr Berlin um-
herzusuchen und vom Verderben zu retten, was zu retten sei. Oft
wenn ich des Abends ganz begeistert aus den reizendsten Gesellschaf¬
ten kam, ging ich noch an die Stätten des Jammers; mit einem wahr¬
haft christlichen Eifer unternahm ich mein Werk. Doch stieß ich mei¬
stens auf verstockte Sünder, sogar auf Einige, die frech genug wa¬
ren, sich ihrer Irreligiosität gar nicht zu schämen, und mir rund her¬
aus sagten, daß sie nicht mehr so läppische Narren, wie ihre Voreltern
wären, die sich unter Hunger und Qualen mit der Hoffnung auf
den Himmel getröstet hätten. Besonders interessirten mich anfangs
die Bordelle, jene Straßen und Orte, wo das Laster von Berlin sich
so massenhaft bewegt. Wie dauerten mich anfangs diese oft so schö¬
nen, unglücklichen Mädchen. Ich suchte mit einigen, die mir zart
und gefühlvoll schienen und die sich gut zu unterhalten wußten, nä¬
her bekannt zu werden. Wie wendeten sie mir aber den Rücken, wie
fühlten sie sich gekränkt und beleidigt, als ich endlich von ihrem sünd¬
lichen Lebenswandel zu sprechen anfing, wie verlachten sie mich, wie
waren sie empört, als ich gar ihren Mangel an Religion und Glau¬
ben erwähnte und ihnen das nicht ausbleibende Strafgericht Gottes
schilderte; ja, als ich einmal solch einem Wirth die Schändlichkeit sei¬
nes Gewerbes in lebhaften Farben vorhielt, da nahm er mich ruhig
beim Kragen und warf mich zur lauten Belustigung der ganzen Ge¬
sellschaft zur Thüre hinaus. Ich sah wohl ein, daß hier Nichts an¬
zufangen sei, und war eben, da mir die Sache ohnedies nutzlos viel
Geld gekostet harte, mehrere Tage ganz untröstlich über meine ver¬
unglückten. Versuche, als mir plötzlich die Bestimmung ein Wesen ent¬
gegenführte, das mir werth schien, ihm mein ganzes Mitgefühl zu
weihen.


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[0358] Freuden dieses Lebens den Himmel zu verkaufet. Der einzige Weg, der einzuschlagen wäre, diesen Classen zu helfen, sei der, ihr trotziges, weltsüchtiges Gemüth zur Demuth zu bändigen; die höchste Wohlthat, die man ihnen erzeigen könne, die, daß man ihnen das himmlische Gnadengeschenk des Glaubens, die Stütze der Kleinen und Armen brächte; sie seien eben nur verlorene Lämmer der Heerde, die zu ih¬ rem Herrn und Meister zurückzubringen wären. Ich muß gestehen, daran hatte ich noch nicht gedacht, die frommen Worte des Geistli¬ chen ließen mich merken, daß alle meine bisherige Mildthätigkeit Nichts gewesen; ich beschloß, den wahren Weg einzuschlagen, irr Berlin um- herzusuchen und vom Verderben zu retten, was zu retten sei. Oft wenn ich des Abends ganz begeistert aus den reizendsten Gesellschaf¬ ten kam, ging ich noch an die Stätten des Jammers; mit einem wahr¬ haft christlichen Eifer unternahm ich mein Werk. Doch stieß ich mei¬ stens auf verstockte Sünder, sogar auf Einige, die frech genug wa¬ ren, sich ihrer Irreligiosität gar nicht zu schämen, und mir rund her¬ aus sagten, daß sie nicht mehr so läppische Narren, wie ihre Voreltern wären, die sich unter Hunger und Qualen mit der Hoffnung auf den Himmel getröstet hätten. Besonders interessirten mich anfangs die Bordelle, jene Straßen und Orte, wo das Laster von Berlin sich so massenhaft bewegt. Wie dauerten mich anfangs diese oft so schö¬ nen, unglücklichen Mädchen. Ich suchte mit einigen, die mir zart und gefühlvoll schienen und die sich gut zu unterhalten wußten, nä¬ her bekannt zu werden. Wie wendeten sie mir aber den Rücken, wie fühlten sie sich gekränkt und beleidigt, als ich endlich von ihrem sünd¬ lichen Lebenswandel zu sprechen anfing, wie verlachten sie mich, wie waren sie empört, als ich gar ihren Mangel an Religion und Glau¬ ben erwähnte und ihnen das nicht ausbleibende Strafgericht Gottes schilderte; ja, als ich einmal solch einem Wirth die Schändlichkeit sei¬ nes Gewerbes in lebhaften Farben vorhielt, da nahm er mich ruhig beim Kragen und warf mich zur lauten Belustigung der ganzen Ge¬ sellschaft zur Thüre hinaus. Ich sah wohl ein, daß hier Nichts an¬ zufangen sei, und war eben, da mir die Sache ohnedies nutzlos viel Geld gekostet harte, mehrere Tage ganz untröstlich über meine ver¬ unglückten. Versuche, als mir plötzlich die Bestimmung ein Wesen ent¬ gegenführte, das mir werth schien, ihm mein ganzes Mitgefühl zu weihen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/358>, abgerufen am 23.12.2024.