Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.Gott weiß, was er macht, um elf Uhr, da geht er erst aus und Gott weiß, was er macht, um elf Uhr, da geht er erst aus und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180907"/> <p xml:id="ID_834" prev="#ID_833" next="#ID_835"> Gott weiß, was er macht, um elf Uhr, da geht er erst aus und<lb/> kommt manchmal vor zwei Uhr nicht wieder zurück. Ist das nicht<lb/> verdächtig, ist das recht und erhört von solchem alten Mann? Doch<lb/> ich sage gar Nichts. — Und diese naseweisen Kinder erst, von de¬<lb/> nen eins immer anders als das andre aussieht. Pfui über diese<lb/> ganze liederliche Brut! — Und nun ging es los mit Schimpfen und<lb/> Raisonniren auf eine Menge von männlichen und weiblichen Namen,<lb/> die den verschiedenen Hausbewohnern gehörten. Ich horte in stum¬<lb/> mem Erstaunen diesem sonderbaren Geschöpf zu, als sie aber endlich<lb/> Miene machte, zärtlich zu werden, wies ich ihr, mit der Drohung, daß<lb/> ich Lärm machen würde, die Thüre. Dies wirkte, sie ging sogleich.<lb/> Als sie noch auf dem Flur und ich eben damit beschäftigt war, meine<lb/> Thür recht fest zu verschließen, wurde die Hausthür geöffnet, und ein<lb/> kleiner alter Mann mit lang herabhängenden glänzend weißen Haaren<lb/> erschien. Ich kannte diesen Mann schon, denn ich hatte ihn früher<lb/> manchmal noch Abends spät in einer kleinen Konditorei in der Fried¬<lb/> richsstraße getroffen. Der finstre Blick seines Auges, die wehmüthi¬<lb/> gen Züge seines blassen, eingefallnen Gesichts, aus denen die<lb/> Geschichte eines schicksalsvollen Lebens sprach, dazu der kleine Hut,<lb/> den er immer beim Eintreten geschwind abnahm und sogleich hinter<lb/> sich stellte, der glattgebürstete, aber sehr fadenscheinige Rock und das<lb/> glänzendweiße, in zierlichem Knoten gebundene Halstuch hatten mich<lb/> längst auf eine interessante Persönlichkeit schließen lassen und auf<lb/> seine nähere Bekanntschaft begierig gemacht. Er saß aber immer<lb/> ernst und stumm, die Zeitung in der Hand, da, sprach nur höch¬<lb/> stens ein Paar kurze Worte mit dem Conditor, der ihn von lange her<lb/> zu kennen und besonders zu respectiren schien, bezahlte dann schwei¬<lb/> gend und ging. Dieser Mann war also jetzt mein Hausgenosse, und<lb/> ich benutzte die zufällige Gelegenheit, ihn anzureden: Können Sie<lb/> mir nicht sagen, mein Herr, wer die sonderbare Person ist, die Sie<lb/> so eben aus meinem Zimmer kommen sahen?—Hat sie Ihnen auch<lb/> schon einen Besuch abgestattet? erwiederte er lächelnd. Das ist in<lb/> der That ein sonderbares Weib. Wenn Sie sie nicht auf dem Halse<lb/> haben wollen, so seien Sie ja nicht freundlich mit ihr. Sie ist eine<lb/> pensionirte Professorswittwe, wohnt hier parterre auf dem Hofe und<lb/> ist durch den Trunk etwas verrückt geworden. Dabei hat sie einen<lb/> Dragonerunteroffizier zum Liebhaber, der sich immer Abends gütlich</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0348]
Gott weiß, was er macht, um elf Uhr, da geht er erst aus und
kommt manchmal vor zwei Uhr nicht wieder zurück. Ist das nicht
verdächtig, ist das recht und erhört von solchem alten Mann? Doch
ich sage gar Nichts. — Und diese naseweisen Kinder erst, von de¬
nen eins immer anders als das andre aussieht. Pfui über diese
ganze liederliche Brut! — Und nun ging es los mit Schimpfen und
Raisonniren auf eine Menge von männlichen und weiblichen Namen,
die den verschiedenen Hausbewohnern gehörten. Ich horte in stum¬
mem Erstaunen diesem sonderbaren Geschöpf zu, als sie aber endlich
Miene machte, zärtlich zu werden, wies ich ihr, mit der Drohung, daß
ich Lärm machen würde, die Thüre. Dies wirkte, sie ging sogleich.
Als sie noch auf dem Flur und ich eben damit beschäftigt war, meine
Thür recht fest zu verschließen, wurde die Hausthür geöffnet, und ein
kleiner alter Mann mit lang herabhängenden glänzend weißen Haaren
erschien. Ich kannte diesen Mann schon, denn ich hatte ihn früher
manchmal noch Abends spät in einer kleinen Konditorei in der Fried¬
richsstraße getroffen. Der finstre Blick seines Auges, die wehmüthi¬
gen Züge seines blassen, eingefallnen Gesichts, aus denen die
Geschichte eines schicksalsvollen Lebens sprach, dazu der kleine Hut,
den er immer beim Eintreten geschwind abnahm und sogleich hinter
sich stellte, der glattgebürstete, aber sehr fadenscheinige Rock und das
glänzendweiße, in zierlichem Knoten gebundene Halstuch hatten mich
längst auf eine interessante Persönlichkeit schließen lassen und auf
seine nähere Bekanntschaft begierig gemacht. Er saß aber immer
ernst und stumm, die Zeitung in der Hand, da, sprach nur höch¬
stens ein Paar kurze Worte mit dem Conditor, der ihn von lange her
zu kennen und besonders zu respectiren schien, bezahlte dann schwei¬
gend und ging. Dieser Mann war also jetzt mein Hausgenosse, und
ich benutzte die zufällige Gelegenheit, ihn anzureden: Können Sie
mir nicht sagen, mein Herr, wer die sonderbare Person ist, die Sie
so eben aus meinem Zimmer kommen sahen?—Hat sie Ihnen auch
schon einen Besuch abgestattet? erwiederte er lächelnd. Das ist in
der That ein sonderbares Weib. Wenn Sie sie nicht auf dem Halse
haben wollen, so seien Sie ja nicht freundlich mit ihr. Sie ist eine
pensionirte Professorswittwe, wohnt hier parterre auf dem Hofe und
ist durch den Trunk etwas verrückt geworden. Dabei hat sie einen
Dragonerunteroffizier zum Liebhaber, der sich immer Abends gütlich
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