Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

es nicht gerathen sein, allen Zollausschern, Feldherrn, Nachtwandlern,
Criminalrichtern :c. zu befehlen, daß sie sich wenigstens auf einem
Auge den Adlerblick verschaffen, den sie in ihrem Berufe nöthig ha¬
ben? Ueberhaupt könnten Menschen, die zu viel Aehnlichkeit mit dem
Schaf besitzen, ihrer Geisteskraft durch eine solche Operation zu Hilfe
kommen. Von allerhöchsten Personen reden wir natürlich nicht, da
diese ohnedies nicht anders, als mit dem königlichen Adlerblick, gebo¬
ren werden.

-- In einem russischen Grenzorte wurden unlängst fünf Ueber¬
läufer, jeder mit fünfzehnhundert Hieben, bestraft; fast Keiner über¬
lebte den tausendsten Hieb. Die Angehörigen der zu Tode Gemar¬
terten waren genöthigt, dieser öffentlichen Erecucion vom Anfang bis
zum Ende beizuwohnen. -- So wird der "Kölnischen Zeitung" aus
Königsberg berichtet; der Correspondent hat die Nachricht aus dem
Munde eines achtbaren preußischen Beamten, der anderthalb Stunden
von der Grenze stationirt ist. -- Das eigentlich Russische liegt dabei
in folgendem Nebenumstand, den Mer Correspondent erzählt: "Das
Fleisch hing in blutigen Fetzen von dem entblößten Gerippe herab.
Der Tod der Sträflinge hinderte aber die Henker
nicht, den Leichnamen die zugemessene Zahl Hiebe
pflichtmäßigst bis auf den letzten zu ertheilen." ^
Wie romantisch! Wie vortrefflich würde diese Scene in ein
Hoffmann'sches Nachtphantasiestück passen. Ware ich Cornelius,
ich würde stracks an die Grenze reisen und dergleichen "Bilder aus
Rußland" malen, um sie theils dem hochherzigen Nikolaus, dem
Liebling aller edlen deutschen Frauenseelen, theils dem König von
Preußen zu widmen, der wohl nur aus Rücksicht für die Roman¬
tik des Grenzerlebcns sich zur Abschließung des Cartels vermögen
ließ.

-- Man hat gefunden, daß bei der jüngsten Pariser Julifeier
eben so viele Menschen (durch Erdrücken) umgekommen sind, wie
bei dem ersten Aufruhr der schlesischen Fabrikarbeiter bei Reichenbach.
Eine deutsche Revolte macht so viel Lärm, wie ein kleines Pariser Volks¬
vergnügen. Freilich scheint auf den Julitagen ein eigenthümlicher
Fluch zu ruhen; der Geist der Revolution, den man hintergangen,
will von Zeit zu Zeit ein Sühnopfer haben.




Wcrlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

es nicht gerathen sein, allen Zollausschern, Feldherrn, Nachtwandlern,
Criminalrichtern :c. zu befehlen, daß sie sich wenigstens auf einem
Auge den Adlerblick verschaffen, den sie in ihrem Berufe nöthig ha¬
ben? Ueberhaupt könnten Menschen, die zu viel Aehnlichkeit mit dem
Schaf besitzen, ihrer Geisteskraft durch eine solche Operation zu Hilfe
kommen. Von allerhöchsten Personen reden wir natürlich nicht, da
diese ohnedies nicht anders, als mit dem königlichen Adlerblick, gebo¬
ren werden.

— In einem russischen Grenzorte wurden unlängst fünf Ueber¬
läufer, jeder mit fünfzehnhundert Hieben, bestraft; fast Keiner über¬
lebte den tausendsten Hieb. Die Angehörigen der zu Tode Gemar¬
terten waren genöthigt, dieser öffentlichen Erecucion vom Anfang bis
zum Ende beizuwohnen. — So wird der „Kölnischen Zeitung" aus
Königsberg berichtet; der Correspondent hat die Nachricht aus dem
Munde eines achtbaren preußischen Beamten, der anderthalb Stunden
von der Grenze stationirt ist. — Das eigentlich Russische liegt dabei
in folgendem Nebenumstand, den Mer Correspondent erzählt: „Das
Fleisch hing in blutigen Fetzen von dem entblößten Gerippe herab.
Der Tod der Sträflinge hinderte aber die Henker
nicht, den Leichnamen die zugemessene Zahl Hiebe
pflichtmäßigst bis auf den letzten zu ertheilen." ^
Wie romantisch! Wie vortrefflich würde diese Scene in ein
Hoffmann'sches Nachtphantasiestück passen. Ware ich Cornelius,
ich würde stracks an die Grenze reisen und dergleichen „Bilder aus
Rußland" malen, um sie theils dem hochherzigen Nikolaus, dem
Liebling aller edlen deutschen Frauenseelen, theils dem König von
Preußen zu widmen, der wohl nur aus Rücksicht für die Roman¬
tik des Grenzerlebcns sich zur Abschließung des Cartels vermögen
ließ.

— Man hat gefunden, daß bei der jüngsten Pariser Julifeier
eben so viele Menschen (durch Erdrücken) umgekommen sind, wie
bei dem ersten Aufruhr der schlesischen Fabrikarbeiter bei Reichenbach.
Eine deutsche Revolte macht so viel Lärm, wie ein kleines Pariser Volks¬
vergnügen. Freilich scheint auf den Julitagen ein eigenthümlicher
Fluch zu ruhen; der Geist der Revolution, den man hintergangen,
will von Zeit zu Zeit ein Sühnopfer haben.




Wcrlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180903"/>
            <p xml:id="ID_828" prev="#ID_827"> es nicht gerathen sein, allen Zollausschern, Feldherrn, Nachtwandlern,<lb/>
Criminalrichtern :c. zu befehlen, daß sie sich wenigstens auf einem<lb/>
Auge den Adlerblick verschaffen, den sie in ihrem Berufe nöthig ha¬<lb/>
ben? Ueberhaupt könnten Menschen, die zu viel Aehnlichkeit mit dem<lb/>
Schaf besitzen, ihrer Geisteskraft durch eine solche Operation zu Hilfe<lb/>
kommen. Von allerhöchsten Personen reden wir natürlich nicht, da<lb/>
diese ohnedies nicht anders, als mit dem königlichen Adlerblick, gebo¬<lb/>
ren werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_829"> &#x2014; In einem russischen Grenzorte wurden unlängst fünf Ueber¬<lb/>
läufer, jeder mit fünfzehnhundert Hieben, bestraft; fast Keiner über¬<lb/>
lebte den tausendsten Hieb. Die Angehörigen der zu Tode Gemar¬<lb/>
terten waren genöthigt, dieser öffentlichen Erecucion vom Anfang bis<lb/>
zum Ende beizuwohnen. &#x2014; So wird der &#x201E;Kölnischen Zeitung" aus<lb/>
Königsberg berichtet; der Correspondent hat die Nachricht aus dem<lb/>
Munde eines achtbaren preußischen Beamten, der anderthalb Stunden<lb/>
von der Grenze stationirt ist. &#x2014; Das eigentlich Russische liegt dabei<lb/>
in folgendem Nebenumstand, den Mer Correspondent erzählt: &#x201E;Das<lb/>
Fleisch hing in blutigen Fetzen von dem entblößten Gerippe herab.<lb/>
Der Tod der Sträflinge hinderte aber die Henker<lb/>
nicht, den Leichnamen die zugemessene Zahl Hiebe<lb/>
pflichtmäßigst bis auf den letzten zu ertheilen." ^<lb/>
Wie romantisch! Wie vortrefflich würde diese Scene in ein<lb/>
Hoffmann'sches Nachtphantasiestück passen. Ware ich Cornelius,<lb/>
ich würde stracks an die Grenze reisen und dergleichen &#x201E;Bilder aus<lb/>
Rußland" malen, um sie theils dem hochherzigen Nikolaus, dem<lb/>
Liebling aller edlen deutschen Frauenseelen, theils dem König von<lb/>
Preußen zu widmen, der wohl nur aus Rücksicht für die Roman¬<lb/>
tik des Grenzerlebcns sich zur Abschließung des Cartels vermögen<lb/>
ließ.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_830"> &#x2014; Man hat gefunden, daß bei der jüngsten Pariser Julifeier<lb/>
eben so viele Menschen (durch Erdrücken) umgekommen sind, wie<lb/>
bei dem ersten Aufruhr der schlesischen Fabrikarbeiter bei Reichenbach.<lb/>
Eine deutsche Revolte macht so viel Lärm, wie ein kleines Pariser Volks¬<lb/>
vergnügen. Freilich scheint auf den Julitagen ein eigenthümlicher<lb/>
Fluch zu ruhen; der Geist der Revolution, den man hintergangen,<lb/>
will von Zeit zu Zeit ein Sühnopfer haben.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <note type="byline"> Wcrlag von Fr. Ludw. Herbig. &#x2014; Redacteur I. Kuranda.<lb/>
Druck von Friedrich Andrä.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] es nicht gerathen sein, allen Zollausschern, Feldherrn, Nachtwandlern, Criminalrichtern :c. zu befehlen, daß sie sich wenigstens auf einem Auge den Adlerblick verschaffen, den sie in ihrem Berufe nöthig ha¬ ben? Ueberhaupt könnten Menschen, die zu viel Aehnlichkeit mit dem Schaf besitzen, ihrer Geisteskraft durch eine solche Operation zu Hilfe kommen. Von allerhöchsten Personen reden wir natürlich nicht, da diese ohnedies nicht anders, als mit dem königlichen Adlerblick, gebo¬ ren werden. — In einem russischen Grenzorte wurden unlängst fünf Ueber¬ läufer, jeder mit fünfzehnhundert Hieben, bestraft; fast Keiner über¬ lebte den tausendsten Hieb. Die Angehörigen der zu Tode Gemar¬ terten waren genöthigt, dieser öffentlichen Erecucion vom Anfang bis zum Ende beizuwohnen. — So wird der „Kölnischen Zeitung" aus Königsberg berichtet; der Correspondent hat die Nachricht aus dem Munde eines achtbaren preußischen Beamten, der anderthalb Stunden von der Grenze stationirt ist. — Das eigentlich Russische liegt dabei in folgendem Nebenumstand, den Mer Correspondent erzählt: „Das Fleisch hing in blutigen Fetzen von dem entblößten Gerippe herab. Der Tod der Sträflinge hinderte aber die Henker nicht, den Leichnamen die zugemessene Zahl Hiebe pflichtmäßigst bis auf den letzten zu ertheilen." ^ Wie romantisch! Wie vortrefflich würde diese Scene in ein Hoffmann'sches Nachtphantasiestück passen. Ware ich Cornelius, ich würde stracks an die Grenze reisen und dergleichen „Bilder aus Rußland" malen, um sie theils dem hochherzigen Nikolaus, dem Liebling aller edlen deutschen Frauenseelen, theils dem König von Preußen zu widmen, der wohl nur aus Rücksicht für die Roman¬ tik des Grenzerlebcns sich zur Abschließung des Cartels vermögen ließ. — Man hat gefunden, daß bei der jüngsten Pariser Julifeier eben so viele Menschen (durch Erdrücken) umgekommen sind, wie bei dem ersten Aufruhr der schlesischen Fabrikarbeiter bei Reichenbach. Eine deutsche Revolte macht so viel Lärm, wie ein kleines Pariser Volks¬ vergnügen. Freilich scheint auf den Julitagen ein eigenthümlicher Fluch zu ruhen; der Geist der Revolution, den man hintergangen, will von Zeit zu Zeit ein Sühnopfer haben. Wcrlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrä.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/344>, abgerufen am 23.07.2024.