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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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transportirt. Der junge Dichter kann sich darüber trösten; wenn die Muse
vom Polizeiknecht mißhandelt wird, so fällt das gehässige Licht nicht auf
sie, sondern auf den, der die Polizei gegen sie gehetzt hat. Wir
zweifeln sehr, ob man höhern Orts sich über das skandalöse Einfan¬
gen des jungen Poeten freuen wird; wir wollen sogar hoffen, daß'man ihn unverzüglich auf freien Fuß stellt. Solche Auftritte dienen
nur dazu, in Deutschland die unschmeichelhaftesten Vorstellungen über
Oesterreich hervorzurufen; einen andern Nutzen haben sie nicht, denn,
daß trotz aller Paß- und Polizeichicanen der geistige Verkehr zwischen
hüben und drüben nicht ewig gehemmt werden kann, hat sich -- weder
zum Schaden, noch zur Unehre der österreichischen Bildung und Ge¬
sinnung -- seit einigen Jahren erwiesen. Die Schuld liegt daran, daß
den Unterbeamten zu viel Macht eingeräumt wird. Soll ein Polizei-
actuar oder Dorsbürgermeister, der oft nicht einmal vollkommen Deutsch
versteht, darüber entscheiden, ob ein gebildeter junger Mann, ein
Schriftsteller, eine Spazierfahrt nach Dresden machen kann, und sich
dabei noch auf allerhöchste Meinungen und Prinzipien berufen dür¬
fen? Man sollte endlich einsehen, wozu dieses kleinliche und lächer¬
liche Bcaufstchtigungssystem führen muß.

-- Von nun an wird man nicht nur künstliche Zahne einsetzen,
und nicht nur künstliche Augen aus Glas, sondern wirkliche sehende
Thieraugen, wie folgender Vorfall zeigt, den unter andern politischen
Blattern auch die Kölnische Zeitung mittheilt. Ein Alpenjäger in der
Schweiz geriech in Kampf mit einem Adler, der ihm mit dem Schna¬
bel das rechte Auge aushackte. Der Jäger ermannte sich indeß und
schoß den König der Lüfte nieder. Ein junger Arzt, von speculativer
Kühnheit, erbot sich, ihm ein neues Auge einzusetzen und zwar eines
aus dem Kopf des erschossenen Raubthieres; siehe da, das Auge wuchs,
wider Erwarten, an den Sehnerven an, sog daraus neue Lebenskraft
und funkelte und blitzte bald, wie einst, als es hoch im Aether über
Meer und Gletscher in der Augenhöhle des erlegten Jupitervogels
blitzte oder in die feurige Sonne sah. Der Jäger hat nun freilich
dadurch auf dem rechten Auge einen sonderbaren Blick bekommen, al>
kein dafür steht er so scharf, daß er vom höchsten Berggipfel dieselben
Leute im tiefsten Thal, die er mit dem linken Auge gar nicht bemerkt,
mit dem rechten deutlich sieht und nicht nur ihr Gesicht und ihre
Kleider erkennt, sondern daß er, wenn sie die Taschenuhr ziehen, sehen
kann, wie spät es sei. Der junge Arzt verfolgt nun sein Experiment weiter
und hat einem Jagdhund ein Paar Adleraugen, einem Pferde aber ein Paar
Uhuaugen eingesetzt, damit es in der Nacht nicht scheu werde. - Und die
politischen Zeitungen theilen diese neueErsindung wie einen gewöhnlichen
Pussmit,ohne an die politische Wichtigkeitderselbenzudenken! Sollte


transportirt. Der junge Dichter kann sich darüber trösten; wenn die Muse
vom Polizeiknecht mißhandelt wird, so fällt das gehässige Licht nicht auf
sie, sondern auf den, der die Polizei gegen sie gehetzt hat. Wir
zweifeln sehr, ob man höhern Orts sich über das skandalöse Einfan¬
gen des jungen Poeten freuen wird; wir wollen sogar hoffen, daß'man ihn unverzüglich auf freien Fuß stellt. Solche Auftritte dienen
nur dazu, in Deutschland die unschmeichelhaftesten Vorstellungen über
Oesterreich hervorzurufen; einen andern Nutzen haben sie nicht, denn,
daß trotz aller Paß- und Polizeichicanen der geistige Verkehr zwischen
hüben und drüben nicht ewig gehemmt werden kann, hat sich — weder
zum Schaden, noch zur Unehre der österreichischen Bildung und Ge¬
sinnung — seit einigen Jahren erwiesen. Die Schuld liegt daran, daß
den Unterbeamten zu viel Macht eingeräumt wird. Soll ein Polizei-
actuar oder Dorsbürgermeister, der oft nicht einmal vollkommen Deutsch
versteht, darüber entscheiden, ob ein gebildeter junger Mann, ein
Schriftsteller, eine Spazierfahrt nach Dresden machen kann, und sich
dabei noch auf allerhöchste Meinungen und Prinzipien berufen dür¬
fen? Man sollte endlich einsehen, wozu dieses kleinliche und lächer¬
liche Bcaufstchtigungssystem führen muß.

— Von nun an wird man nicht nur künstliche Zahne einsetzen,
und nicht nur künstliche Augen aus Glas, sondern wirkliche sehende
Thieraugen, wie folgender Vorfall zeigt, den unter andern politischen
Blattern auch die Kölnische Zeitung mittheilt. Ein Alpenjäger in der
Schweiz geriech in Kampf mit einem Adler, der ihm mit dem Schna¬
bel das rechte Auge aushackte. Der Jäger ermannte sich indeß und
schoß den König der Lüfte nieder. Ein junger Arzt, von speculativer
Kühnheit, erbot sich, ihm ein neues Auge einzusetzen und zwar eines
aus dem Kopf des erschossenen Raubthieres; siehe da, das Auge wuchs,
wider Erwarten, an den Sehnerven an, sog daraus neue Lebenskraft
und funkelte und blitzte bald, wie einst, als es hoch im Aether über
Meer und Gletscher in der Augenhöhle des erlegten Jupitervogels
blitzte oder in die feurige Sonne sah. Der Jäger hat nun freilich
dadurch auf dem rechten Auge einen sonderbaren Blick bekommen, al>
kein dafür steht er so scharf, daß er vom höchsten Berggipfel dieselben
Leute im tiefsten Thal, die er mit dem linken Auge gar nicht bemerkt,
mit dem rechten deutlich sieht und nicht nur ihr Gesicht und ihre
Kleider erkennt, sondern daß er, wenn sie die Taschenuhr ziehen, sehen
kann, wie spät es sei. Der junge Arzt verfolgt nun sein Experiment weiter
und hat einem Jagdhund ein Paar Adleraugen, einem Pferde aber ein Paar
Uhuaugen eingesetzt, damit es in der Nacht nicht scheu werde. - Und die
politischen Zeitungen theilen diese neueErsindung wie einen gewöhnlichen
Pussmit,ohne an die politische Wichtigkeitderselbenzudenken! Sollte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/343>, abgerufen am 26.08.2024.