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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Allianz gekommen ist, bedarf nun einer geschickten Hand, um geflickt
zu werden, und die Ankunft des Königs von Preußen erhalt somit
ihre Deutung.

Ischl wird in diesem Sommer die Rolle übernehmen, die früher
Karlsbad und Töplitz spielten. Ob wir vielleicht neue Karlsbader Be¬
schlüsse zu erwarten haben? -- In Begleitung des Fürsten Metter-
nich, der sich vollständig von seinem Unwohlsein erholt hat, befindet
sich der größte Theil der wichtigsten Personen der Staatskanzlei in
Zschl (Baron Werner, Baron Hügel :c.). Der Erzherzog Ludwig,
so wie der Erzherzog Franz Karl begeben sich gleichfalls dahin, und
der König von Preußen wird sich somit von den bedeutendsten Leitern
der österreichischen Politik umgeben sehen. Wahrend somit unsere
auswärtige Politik in Zschl sich concentrirt, ist unsere innere durch
die böhmischen Unruhen In nicht geringem Maße in Athem gebracht.
Die Vorfalle in Prag sind ernsthafter geworden, als man Anfangs
fürchtete. Aufgemuntert durch den nicht unglücklichen Erfolg, den die
Drucker in den Fabriken erlangten, haben sich nicht blos die Eisen-
bahnarbeiter in der Nahe von Prag, sondern auch ein großer Theil
anderer Arbeiter auf dem Lande zusammengerottet und Excesse began¬
nen, die alle Ordnung aufzulösen streben. Daß die Zeitungscorrespon-
denten, die Alles dies auf die Juden zurückführen wollten, dabei perfide
zu Werke gingen, hat man aus den Berichtigungen in der Augsburger
Allgemeinen ersehen, in welcher der Aufstand der Eisenbahnarbeiter
zuerst als gegen den jüdischen Pachter Klein gerichtet gemeldet wor¬
den, wahrend die Gebrüder Klein spater als gute Christen von altem,
urkatholischem Stamm erklärt wurden. Daß man die Judenstadt
plündern will, ist eine natürliche Geschmackssache des Pöbelhaufens,
der überall zuerst da Beute sucht, wo sie am gefahrlosesten sich dar¬
bietet. Diese Phase der Unruhen ist jedoch bereits vorüber, dagegen
ist die zweite ernsthaftere die des aufrührerischen Geistes aller Arten
von Arbeitern gegen ihre Brodherren. ES circuliren hier in Wien
jeden Tag neue Briefe, die betrübsame Auftritte melden und von einer
dumpfen Gährung sprechen, die an vielen Orten Böhmens herrschen
soll. Der Mangel an Oeffentlichkeit, das Schweigen aller Journale
macht es möglich, daß diese Gerüchte in offenbare Uebertreibung aus¬
arten. Einige Correspondenten, namentlich die der Weser-Zeitung,
beuten dieses Thema vollständig in Novcllenform aus und wir er¬
fahren auf dem kleinen Umweg über Leipzig, Bremen und Köln erst,
was in dem benachbarten Böhmen vorgefallen ist oder vorgefallen sein
soll. Ich hoffe Ihnen künftige Woche einen detaillirten Bericht über
die Hauptvorsälle in Böhmen mittheilen zu können. Ich möchte heute
nicht gerne durch Verbreitung von Gerüchten den allgemeinen Uebel¬
stand der Presse (dessen Nothwendigkeit ich übrigens wohl einsehe)
durch meine eigenen Berichte vermehren.


Allianz gekommen ist, bedarf nun einer geschickten Hand, um geflickt
zu werden, und die Ankunft des Königs von Preußen erhalt somit
ihre Deutung.

Ischl wird in diesem Sommer die Rolle übernehmen, die früher
Karlsbad und Töplitz spielten. Ob wir vielleicht neue Karlsbader Be¬
schlüsse zu erwarten haben? — In Begleitung des Fürsten Metter-
nich, der sich vollständig von seinem Unwohlsein erholt hat, befindet
sich der größte Theil der wichtigsten Personen der Staatskanzlei in
Zschl (Baron Werner, Baron Hügel :c.). Der Erzherzog Ludwig,
so wie der Erzherzog Franz Karl begeben sich gleichfalls dahin, und
der König von Preußen wird sich somit von den bedeutendsten Leitern
der österreichischen Politik umgeben sehen. Wahrend somit unsere
auswärtige Politik in Zschl sich concentrirt, ist unsere innere durch
die böhmischen Unruhen In nicht geringem Maße in Athem gebracht.
Die Vorfalle in Prag sind ernsthafter geworden, als man Anfangs
fürchtete. Aufgemuntert durch den nicht unglücklichen Erfolg, den die
Drucker in den Fabriken erlangten, haben sich nicht blos die Eisen-
bahnarbeiter in der Nahe von Prag, sondern auch ein großer Theil
anderer Arbeiter auf dem Lande zusammengerottet und Excesse began¬
nen, die alle Ordnung aufzulösen streben. Daß die Zeitungscorrespon-
denten, die Alles dies auf die Juden zurückführen wollten, dabei perfide
zu Werke gingen, hat man aus den Berichtigungen in der Augsburger
Allgemeinen ersehen, in welcher der Aufstand der Eisenbahnarbeiter
zuerst als gegen den jüdischen Pachter Klein gerichtet gemeldet wor¬
den, wahrend die Gebrüder Klein spater als gute Christen von altem,
urkatholischem Stamm erklärt wurden. Daß man die Judenstadt
plündern will, ist eine natürliche Geschmackssache des Pöbelhaufens,
der überall zuerst da Beute sucht, wo sie am gefahrlosesten sich dar¬
bietet. Diese Phase der Unruhen ist jedoch bereits vorüber, dagegen
ist die zweite ernsthaftere die des aufrührerischen Geistes aller Arten
von Arbeitern gegen ihre Brodherren. ES circuliren hier in Wien
jeden Tag neue Briefe, die betrübsame Auftritte melden und von einer
dumpfen Gährung sprechen, die an vielen Orten Böhmens herrschen
soll. Der Mangel an Oeffentlichkeit, das Schweigen aller Journale
macht es möglich, daß diese Gerüchte in offenbare Uebertreibung aus¬
arten. Einige Correspondenten, namentlich die der Weser-Zeitung,
beuten dieses Thema vollständig in Novcllenform aus und wir er¬
fahren auf dem kleinen Umweg über Leipzig, Bremen und Köln erst,
was in dem benachbarten Böhmen vorgefallen ist oder vorgefallen sein
soll. Ich hoffe Ihnen künftige Woche einen detaillirten Bericht über
die Hauptvorsälle in Böhmen mittheilen zu können. Ich möchte heute
nicht gerne durch Verbreitung von Gerüchten den allgemeinen Uebel¬
stand der Presse (dessen Nothwendigkeit ich übrigens wohl einsehe)
durch meine eigenen Berichte vermehren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/334>, abgerufen am 03.07.2024.