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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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angelegt, dies Küstenland zu germanisiren. Der Herr Regierungs-
rath Halm von Münch-Bellinghausen ist gleichfalls zugegen gewesen,
gleichsam als halbofsizieller Beobachter, welche Resultate diese Germa-
nisationsversuche -- bei welchen seine Stücke in der ersten Reihe
fochten -- hervorbringen würden. Madame Rettich tummelte in kur¬
zer Zeit zwölf oder vierzehn ihrer bekannten Paradepferde mit all der
Energie und der rhetorischen Kraft, die, verbunden mit einer leider
oft manierirten Monotonie, die Charakteristik dieser Schauspielerin bil¬
den. Sie hatte alle Wärme und Leidenschaft, als spielte sie in Wien
vor ihrem Burgtheater-Publicum. Dies zeigte mir, daß die echte
Künstlernatur überall sich treu bleibt, und daß die Rettich nicht zu
denen gehört, die, von Gewinnsucht getrieben, die Kassen kleiner Thea¬
ter auszubeuten reisen, und bei derlei Gastspielen die Farben so hoch¬
roth auftragen, oder so indifferent spielen, daß der besser Unterrichtete
leicht steht, wie nur das Geld das Ziel dieser Darstellungen ist. Selbst
Herr Rettich, mag es sein, daß die Lust, sich so recht auszuspielen,
die ihm in Wien nicht oft zu Theil wird, hier mit neuem Feuer ihn
belebte, oder daß das herrliche Opernhaus seinem Organ günstiger
war; kurz, ich fand ihn besser, freier und deshalb auch wirksamer, als
in Wien. -- Die Ehrenbezeugungen von Seite des Publicums waren
italienisch, oder vielmehr deutsch, oder ungarisch, nämlich Hervorrufun¬
gen ohne Zahl, Blumen, Kränze, Gedichte (letztere von Halm). --
Dagegen siel ein als Intermezzo zwischen zwei deutschen Stücken ge¬
machter Versuch der Madame Rettich: der Bortrag eines Gesanges
aus lliriite's clivin.l comocli^ in italienischer Sprache, entschieden un¬
glücklich aus. Obwohl ich gerne glaube, Madame Rettich, eine Frau
von der umfassendsten Bildung, habe nur aus Verehrung für den
großen Dichter, und in der Meinung, den Italienern damit eine Po-
litesse zu erweisen, dieses Wagstück unternommen, muß ich doch jene
deutschen Freunde tadeln, die mit dazu die nächste Veranlassung wa¬
ren; so wahr und warm verstanden auch der auswendige Vortrag
dieser Verse war, so beleidigte doch gleich in den ersten Zeilen der ganz
und gar nordische Accent selbst unparteiische deutsche Ohren, um wie
viel mehr parteiische italienische, deren Besitzer denn auch in einem Ueber¬
maß von lächerlicher, sich verletzt glaubender Nationalität ihrer Rohheit
den Zügel schießen ließen, zum Bedauern und zur Mißbilligung aller Gebil¬
deten.--Daß Saphir in einer Stadt, wo, wie er selbst privatim sagte, man
Baumwolle denkt und Zucker und Kaffee fühlt, einem Publicum,
das manche, ja man kann sagen, die bessern Gedanken nicht schnell
genug aufzufassen vermag, dennoch sehr gefiel, ist schmeichelhaft für
sein Talent. Besonders fand die erste seiner zwei Vorlesungen, die
freilich auch in eine Woche mit dem Erscheinen des neuen österreichi¬
schen Zolltarifs siel, sehr aufgeregte Zuhörer. Von seinen Gedichten,
denen man ungeachtet vieler schönen Gedanken eine gewisse Form-


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angelegt, dies Küstenland zu germanisiren. Der Herr Regierungs-
rath Halm von Münch-Bellinghausen ist gleichfalls zugegen gewesen,
gleichsam als halbofsizieller Beobachter, welche Resultate diese Germa-
nisationsversuche — bei welchen seine Stücke in der ersten Reihe
fochten — hervorbringen würden. Madame Rettich tummelte in kur¬
zer Zeit zwölf oder vierzehn ihrer bekannten Paradepferde mit all der
Energie und der rhetorischen Kraft, die, verbunden mit einer leider
oft manierirten Monotonie, die Charakteristik dieser Schauspielerin bil¬
den. Sie hatte alle Wärme und Leidenschaft, als spielte sie in Wien
vor ihrem Burgtheater-Publicum. Dies zeigte mir, daß die echte
Künstlernatur überall sich treu bleibt, und daß die Rettich nicht zu
denen gehört, die, von Gewinnsucht getrieben, die Kassen kleiner Thea¬
ter auszubeuten reisen, und bei derlei Gastspielen die Farben so hoch¬
roth auftragen, oder so indifferent spielen, daß der besser Unterrichtete
leicht steht, wie nur das Geld das Ziel dieser Darstellungen ist. Selbst
Herr Rettich, mag es sein, daß die Lust, sich so recht auszuspielen,
die ihm in Wien nicht oft zu Theil wird, hier mit neuem Feuer ihn
belebte, oder daß das herrliche Opernhaus seinem Organ günstiger
war; kurz, ich fand ihn besser, freier und deshalb auch wirksamer, als
in Wien. — Die Ehrenbezeugungen von Seite des Publicums waren
italienisch, oder vielmehr deutsch, oder ungarisch, nämlich Hervorrufun¬
gen ohne Zahl, Blumen, Kränze, Gedichte (letztere von Halm). —
Dagegen siel ein als Intermezzo zwischen zwei deutschen Stücken ge¬
machter Versuch der Madame Rettich: der Bortrag eines Gesanges
aus lliriite's clivin.l comocli^ in italienischer Sprache, entschieden un¬
glücklich aus. Obwohl ich gerne glaube, Madame Rettich, eine Frau
von der umfassendsten Bildung, habe nur aus Verehrung für den
großen Dichter, und in der Meinung, den Italienern damit eine Po-
litesse zu erweisen, dieses Wagstück unternommen, muß ich doch jene
deutschen Freunde tadeln, die mit dazu die nächste Veranlassung wa¬
ren; so wahr und warm verstanden auch der auswendige Vortrag
dieser Verse war, so beleidigte doch gleich in den ersten Zeilen der ganz
und gar nordische Accent selbst unparteiische deutsche Ohren, um wie
viel mehr parteiische italienische, deren Besitzer denn auch in einem Ueber¬
maß von lächerlicher, sich verletzt glaubender Nationalität ihrer Rohheit
den Zügel schießen ließen, zum Bedauern und zur Mißbilligung aller Gebil¬
deten.—Daß Saphir in einer Stadt, wo, wie er selbst privatim sagte, man
Baumwolle denkt und Zucker und Kaffee fühlt, einem Publicum,
das manche, ja man kann sagen, die bessern Gedanken nicht schnell
genug aufzufassen vermag, dennoch sehr gefiel, ist schmeichelhaft für
sein Talent. Besonders fand die erste seiner zwei Vorlesungen, die
freilich auch in eine Woche mit dem Erscheinen des neuen österreichi¬
schen Zolltarifs siel, sehr aufgeregte Zuhörer. Von seinen Gedichten,
denen man ungeachtet vieler schönen Gedanken eine gewisse Form-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/331>, abgerufen am 23.07.2024.