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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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geringem Vorbehalt -- auch in der Geschichte. Wollte ich all das
Gekeif und Gesprudel hier wiedergeben, so müßte ich fast das ganze
Buch abschreiben, und das hielte ich nicht aus. Einige Beispiele, die
recht charakteristisch für das Machwerk sind, darf ich dem Leser je¬
doch nicht ersparen.

Jda Hahn-Hahn geht durch den Park von^Haga: "Da fanden
wir denn auch drei junge Männer; sie saßen auf einer Bank, stumm
und schweigend." Sie schwatzt nun ein Breites über das geheimniß-
volle Waldgrün deö Ortes, der unwiderstehlich zur Meditation auf¬
fordert, allein als treue Schülerin Nicolai's muß ihr selbst dies un¬
bedeutende Ereigniß Stoff bieten, um einen Schatten auf die Ge¬
müthsart der Schweden zu werfen. "Doch fiel es uns recht auf" --
sagt sie -- "drei junge Menschen ganz stumm bei einander sitzend zu
finden, die Sonntags zu ihrem Vergnügen ausgegangen waren. Es
scheint, als habe man hier gar nicht das Bedürfniß der Zerstreuung,
der Belustigung." Die Bewohner Stockholms sind nun bekanntlich
gerade die größten Freunde von Geselligkeit und Zerstreuungen, und
oftmals wird ihnen sogar der unhäuöliche Sinn zum Vorwurf go
macht. Aber Jda Hahn-Hahn erzielt bei ihren logischen Versuchen
auch solche Resultate, wie: daß Häringe den Durst löschen. Nämlich:
auf gesalzene Speisen muß man trinken; Häringe sind eine gesalzene
Speise; Trinken löscht den Durst, folglich -- löschen Häringe den
Durst. -- Nicht wahr, das ist richtig? Aber, Frau Grä¬
fin, wenn die drei jungen Männer verliebt, wenn sie unglücklich
waren? Leute mit vollen, feurigen Seelen begehen Lust und Schmerz
in einer stillen, schweigenden Feier, und eine beredte Thräne bricht
aus dem Auge hervor. Nur leere,' fade Menschen, Frau Gräfin,
haben unter allen Lebensverhältnissen breites Geschwätz!

Wie treffend unsere Nicolai-Hahn den schwedischen National¬
charakter aus geringen Einzelnheiten darzustellen weiß, wird diese
Probe gezeigt haben. Zwar erfährt man über Schweden in dem
Buche eigentlich Nichts, sondern hört dagegen die abgestandenen Re¬
flexionen der Gräfin. Mitunter gibt sie aber wirklich überraschende
Notizen. "Die rauhe Luft, Regen und Sonne machen das blonde
Haar -- der schwedischen Frauen -- aus dem strohfarbenen in's
Grüne spielend." Das muß ja ein ganz absonderliches Colorit sein,
und die Schwedinnen könnten sich damit recht gut als Naturmerk-


geringem Vorbehalt — auch in der Geschichte. Wollte ich all das
Gekeif und Gesprudel hier wiedergeben, so müßte ich fast das ganze
Buch abschreiben, und das hielte ich nicht aus. Einige Beispiele, die
recht charakteristisch für das Machwerk sind, darf ich dem Leser je¬
doch nicht ersparen.

Jda Hahn-Hahn geht durch den Park von^Haga: „Da fanden
wir denn auch drei junge Männer; sie saßen auf einer Bank, stumm
und schweigend." Sie schwatzt nun ein Breites über das geheimniß-
volle Waldgrün deö Ortes, der unwiderstehlich zur Meditation auf¬
fordert, allein als treue Schülerin Nicolai's muß ihr selbst dies un¬
bedeutende Ereigniß Stoff bieten, um einen Schatten auf die Ge¬
müthsart der Schweden zu werfen. „Doch fiel es uns recht auf" —
sagt sie — „drei junge Menschen ganz stumm bei einander sitzend zu
finden, die Sonntags zu ihrem Vergnügen ausgegangen waren. Es
scheint, als habe man hier gar nicht das Bedürfniß der Zerstreuung,
der Belustigung." Die Bewohner Stockholms sind nun bekanntlich
gerade die größten Freunde von Geselligkeit und Zerstreuungen, und
oftmals wird ihnen sogar der unhäuöliche Sinn zum Vorwurf go
macht. Aber Jda Hahn-Hahn erzielt bei ihren logischen Versuchen
auch solche Resultate, wie: daß Häringe den Durst löschen. Nämlich:
auf gesalzene Speisen muß man trinken; Häringe sind eine gesalzene
Speise; Trinken löscht den Durst, folglich — löschen Häringe den
Durst. — Nicht wahr, das ist richtig? Aber, Frau Grä¬
fin, wenn die drei jungen Männer verliebt, wenn sie unglücklich
waren? Leute mit vollen, feurigen Seelen begehen Lust und Schmerz
in einer stillen, schweigenden Feier, und eine beredte Thräne bricht
aus dem Auge hervor. Nur leere,' fade Menschen, Frau Gräfin,
haben unter allen Lebensverhältnissen breites Geschwätz!

Wie treffend unsere Nicolai-Hahn den schwedischen National¬
charakter aus geringen Einzelnheiten darzustellen weiß, wird diese
Probe gezeigt haben. Zwar erfährt man über Schweden in dem
Buche eigentlich Nichts, sondern hört dagegen die abgestandenen Re¬
flexionen der Gräfin. Mitunter gibt sie aber wirklich überraschende
Notizen. „Die rauhe Luft, Regen und Sonne machen das blonde
Haar — der schwedischen Frauen — aus dem strohfarbenen in's
Grüne spielend." Das muß ja ein ganz absonderliches Colorit sein,
und die Schwedinnen könnten sich damit recht gut als Naturmerk-


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[0317] geringem Vorbehalt — auch in der Geschichte. Wollte ich all das Gekeif und Gesprudel hier wiedergeben, so müßte ich fast das ganze Buch abschreiben, und das hielte ich nicht aus. Einige Beispiele, die recht charakteristisch für das Machwerk sind, darf ich dem Leser je¬ doch nicht ersparen. Jda Hahn-Hahn geht durch den Park von^Haga: „Da fanden wir denn auch drei junge Männer; sie saßen auf einer Bank, stumm und schweigend." Sie schwatzt nun ein Breites über das geheimniß- volle Waldgrün deö Ortes, der unwiderstehlich zur Meditation auf¬ fordert, allein als treue Schülerin Nicolai's muß ihr selbst dies un¬ bedeutende Ereigniß Stoff bieten, um einen Schatten auf die Ge¬ müthsart der Schweden zu werfen. „Doch fiel es uns recht auf" — sagt sie — „drei junge Menschen ganz stumm bei einander sitzend zu finden, die Sonntags zu ihrem Vergnügen ausgegangen waren. Es scheint, als habe man hier gar nicht das Bedürfniß der Zerstreuung, der Belustigung." Die Bewohner Stockholms sind nun bekanntlich gerade die größten Freunde von Geselligkeit und Zerstreuungen, und oftmals wird ihnen sogar der unhäuöliche Sinn zum Vorwurf go macht. Aber Jda Hahn-Hahn erzielt bei ihren logischen Versuchen auch solche Resultate, wie: daß Häringe den Durst löschen. Nämlich: auf gesalzene Speisen muß man trinken; Häringe sind eine gesalzene Speise; Trinken löscht den Durst, folglich — löschen Häringe den Durst. — Nicht wahr, das ist richtig? Aber, Frau Grä¬ fin, wenn die drei jungen Männer verliebt, wenn sie unglücklich waren? Leute mit vollen, feurigen Seelen begehen Lust und Schmerz in einer stillen, schweigenden Feier, und eine beredte Thräne bricht aus dem Auge hervor. Nur leere,' fade Menschen, Frau Gräfin, haben unter allen Lebensverhältnissen breites Geschwätz! Wie treffend unsere Nicolai-Hahn den schwedischen National¬ charakter aus geringen Einzelnheiten darzustellen weiß, wird diese Probe gezeigt haben. Zwar erfährt man über Schweden in dem Buche eigentlich Nichts, sondern hört dagegen die abgestandenen Re¬ flexionen der Gräfin. Mitunter gibt sie aber wirklich überraschende Notizen. „Die rauhe Luft, Regen und Sonne machen das blonde Haar — der schwedischen Frauen — aus dem strohfarbenen in's Grüne spielend." Das muß ja ein ganz absonderliches Colorit sein, und die Schwedinnen könnten sich damit recht gut als Naturmerk-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/317>, abgerufen am 23.12.2024.