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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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erfindet welche, wo es keine gibt. Für des Landes Schönheiten aber
hat sie weder Auge noch Sinn; sie bespricht dieselben absichtlich nicht,
und ihre Schrift soll, gleich der Nicolai'schen, eine Warnungsstimme
sein, um alle Reisenden zurückzuschrecken. Die gute Frau sagt aus¬
drücklich: "Man fängt sehr an, ein Neiseintercsse für den Norden zu
gewinnen, denn bei der allgemein grassirenden Neisewuth, von der
auch ich als ein echtes Kind unserer Zeit und unserer Welt behaf¬
tet bin, reicht der Süden nicht mehr aus. Aber man kennt den Nor¬
den so wenig -- ich meines Theils habe ihn nur aus Dachl's poe-
tischen Gemälden gekannt -- daß man unwillkürlich Lust hat. ihn
mit den Farben des Südens zu schmücken, weil der Süden schön ist
und weil ja auch der Norden schön sein soll. Da verfällt man dem:
gleich vom Hanse aus in den heftigsten Irrthum, und ich denke mir,
eS wird recht dankenswert!) sein für Alle, die mir nachfolgen, wenn
ich aufrichtig sage, wie ich'ö gefunden habe."

Also vollkommen Gustav II. Aber man würde Nicolai belei¬
digen, wollte man annehmen, sein Buch sei ganz so fade und abge¬
schmackt, als das der Gräfin Jda Hahn-Hahn. Er glaubte doch
nur, in Italien gebe es niemals Regen und die Apfelsinen wüchsen
dort wild, wie bei uns die Schlehen. Das war kindisch, und man
mußte darüber lachen. Wenn seine Nachahmerin jedoch fortwährend
klagt und jammert, weil sie oben am Mälar, unter dem neunund-
fünfzigsten Grad, keinen heißen Süden gefunden hat, so ist es mehr
als kindisch und man muß sie bedauern. Die Gräfin traf just einen
kühlen, regnerischen Monat -- doch nein! sie war keinen vollen Mo¬
nat in Skandinavien -- nun geberdet sie sich, wie besessen, und
verachtet Land und Volk.

Schon bei der Ueberfahrt beginnt ihre Noth; sie friert und ist
"unzertrennlich von ihrem kleinen violetten Pelz." Ich mache noch
besonders auf das Beiwort "violett" aufmerksam, damit nicht nach
Jahrhunderten einmal behauptet werde, Jda Hahn<Hahn'ö Pelz sei
grün gewesen. Wenige Seiten später aber sagt sie noch viel bedeu¬
tender: "Ich muß über mich lachen, daß ich in Berlin nach verschie¬
denen eingezogenen Erkundigungen geschwind einen weißen Mousselin-
cmzug in meinen Koffer legen ließ; den werde ich unangetastet nach
Haus bringen -- das glaubt mir nur. Ich bin unzertrennlich


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erfindet welche, wo es keine gibt. Für des Landes Schönheiten aber
hat sie weder Auge noch Sinn; sie bespricht dieselben absichtlich nicht,
und ihre Schrift soll, gleich der Nicolai'schen, eine Warnungsstimme
sein, um alle Reisenden zurückzuschrecken. Die gute Frau sagt aus¬
drücklich: „Man fängt sehr an, ein Neiseintercsse für den Norden zu
gewinnen, denn bei der allgemein grassirenden Neisewuth, von der
auch ich als ein echtes Kind unserer Zeit und unserer Welt behaf¬
tet bin, reicht der Süden nicht mehr aus. Aber man kennt den Nor¬
den so wenig — ich meines Theils habe ihn nur aus Dachl's poe-
tischen Gemälden gekannt — daß man unwillkürlich Lust hat. ihn
mit den Farben des Südens zu schmücken, weil der Süden schön ist
und weil ja auch der Norden schön sein soll. Da verfällt man dem:
gleich vom Hanse aus in den heftigsten Irrthum, und ich denke mir,
eS wird recht dankenswert!) sein für Alle, die mir nachfolgen, wenn
ich aufrichtig sage, wie ich'ö gefunden habe."

Also vollkommen Gustav II. Aber man würde Nicolai belei¬
digen, wollte man annehmen, sein Buch sei ganz so fade und abge¬
schmackt, als das der Gräfin Jda Hahn-Hahn. Er glaubte doch
nur, in Italien gebe es niemals Regen und die Apfelsinen wüchsen
dort wild, wie bei uns die Schlehen. Das war kindisch, und man
mußte darüber lachen. Wenn seine Nachahmerin jedoch fortwährend
klagt und jammert, weil sie oben am Mälar, unter dem neunund-
fünfzigsten Grad, keinen heißen Süden gefunden hat, so ist es mehr
als kindisch und man muß sie bedauern. Die Gräfin traf just einen
kühlen, regnerischen Monat — doch nein! sie war keinen vollen Mo¬
nat in Skandinavien — nun geberdet sie sich, wie besessen, und
verachtet Land und Volk.

Schon bei der Ueberfahrt beginnt ihre Noth; sie friert und ist
„unzertrennlich von ihrem kleinen violetten Pelz." Ich mache noch
besonders auf das Beiwort „violett" aufmerksam, damit nicht nach
Jahrhunderten einmal behauptet werde, Jda Hahn<Hahn'ö Pelz sei
grün gewesen. Wenige Seiten später aber sagt sie noch viel bedeu¬
tender: „Ich muß über mich lachen, daß ich in Berlin nach verschie¬
denen eingezogenen Erkundigungen geschwind einen weißen Mousselin-
cmzug in meinen Koffer legen ließ; den werde ich unangetastet nach
Haus bringen — das glaubt mir nur. Ich bin unzertrennlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/315>, abgerufen am 23.07.2024.