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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Florenz, Fiorenza, heißt, und wohl mit Recht, die Binnenstadt!
aber Blumen entzücken nicht blos die Sinne, sie sind auch be¬
täubend und wirken narkotisch ein, so wie hier ans die feineren Ge¬
fühle der Tugend und Ehre, daß sie noch mehr wie in anderen gro¬
ßen Städten von dem Gift der Verführung allgemach angehaucht
werden und verblassen. Es ist, als schwebte hier etwas in der Lust,
eine Art von feinem moralischem Cholerastoff, ein Seelen-Miasma,
das die festesten Grundsätze, wenn sie auch vorhanden waren, an¬
greift, corrodirt und auflvs't. Und dabei bleibt die äußere Stellung,
wenn auch etwas gebückt, bestehen, insofern nur das nöthige Deco¬
rum beachtet wird; ja man gewinnt am Ende oft noch dabei, der
öffentlichen Controle -- die in der That das Geheimste an'S Licht
zu bringen weiß, -- die Stirn zu bieten und sich interessant zu ma¬
chen. Gerade diejenigen, die viel zu verbergen haben, zeigen sich
am meisten überall, und die oberflächliche Achtung versagt sich ihnen
nicht, falls sie nur irgend ein äußeres Gut, Schönheit, Reichthum
oder Stand in die Waagschale legen können. Daher kommt es denn
auch, daß Florenz der Sammelplatz aller abgeblichenen, anrüchigen
Reputationen ist; eine Menge Glücksritter, Escrocs, falsche Spie¬
ler u. tgi. sammeln sich hier, und unter den Damen, welche aus al¬
len Nationen hier ab- und zuflattern, sind der galanten und zwei¬
deutigen nicht die wenigsten. In der That, es lohnt in Florenz fast
gar nicht der Mühe, tugendhaft zu sein, wenigstens für Andere nicht.
Wer es nicht um seiner selbst willen ist, der braucht hier keinen An¬
lauf dazu zu nehmen, und auch dieser hat mehr als irgend anderswo
in solch verführerischer Atmosphäre darauf zu achten, daß, wenn er
steht, er über kurz oder lang nicht dennoch falle!

Arme Elisa, mit Deinen holden Träumen von Liebe und Treue
und Männerwerth, welche Schmerzen wirst Du noch erdulden müs¬
sen, ehe Du Dich ganz von ihnen losringst! --

Noch spät am Abend, nachdem bereits jeder andere Besuch sich
entfernt, traf Marianna Ricci ein, um sich der ihr so wohlwollenden
Fürstin zu empfehlen und von der geliebten Freundin Abschied zu
nehmen; auch sie sollte in wenigen Tagen, den Beschlüssen ihrer Fa¬
milie zufolge, Florenz verlassen und zu Verwandten nach Rom ge¬
hen. Des Fürsten überall so laut und entschieden allsgesprochene


Florenz, Fiorenza, heißt, und wohl mit Recht, die Binnenstadt!
aber Blumen entzücken nicht blos die Sinne, sie sind auch be¬
täubend und wirken narkotisch ein, so wie hier ans die feineren Ge¬
fühle der Tugend und Ehre, daß sie noch mehr wie in anderen gro¬
ßen Städten von dem Gift der Verführung allgemach angehaucht
werden und verblassen. Es ist, als schwebte hier etwas in der Lust,
eine Art von feinem moralischem Cholerastoff, ein Seelen-Miasma,
das die festesten Grundsätze, wenn sie auch vorhanden waren, an¬
greift, corrodirt und auflvs't. Und dabei bleibt die äußere Stellung,
wenn auch etwas gebückt, bestehen, insofern nur das nöthige Deco¬
rum beachtet wird; ja man gewinnt am Ende oft noch dabei, der
öffentlichen Controle — die in der That das Geheimste an'S Licht
zu bringen weiß, — die Stirn zu bieten und sich interessant zu ma¬
chen. Gerade diejenigen, die viel zu verbergen haben, zeigen sich
am meisten überall, und die oberflächliche Achtung versagt sich ihnen
nicht, falls sie nur irgend ein äußeres Gut, Schönheit, Reichthum
oder Stand in die Waagschale legen können. Daher kommt es denn
auch, daß Florenz der Sammelplatz aller abgeblichenen, anrüchigen
Reputationen ist; eine Menge Glücksritter, Escrocs, falsche Spie¬
ler u. tgi. sammeln sich hier, und unter den Damen, welche aus al¬
len Nationen hier ab- und zuflattern, sind der galanten und zwei¬
deutigen nicht die wenigsten. In der That, es lohnt in Florenz fast
gar nicht der Mühe, tugendhaft zu sein, wenigstens für Andere nicht.
Wer es nicht um seiner selbst willen ist, der braucht hier keinen An¬
lauf dazu zu nehmen, und auch dieser hat mehr als irgend anderswo
in solch verführerischer Atmosphäre darauf zu achten, daß, wenn er
steht, er über kurz oder lang nicht dennoch falle!

Arme Elisa, mit Deinen holden Träumen von Liebe und Treue
und Männerwerth, welche Schmerzen wirst Du noch erdulden müs¬
sen, ehe Du Dich ganz von ihnen losringst! —

Noch spät am Abend, nachdem bereits jeder andere Besuch sich
entfernt, traf Marianna Ricci ein, um sich der ihr so wohlwollenden
Fürstin zu empfehlen und von der geliebten Freundin Abschied zu
nehmen; auch sie sollte in wenigen Tagen, den Beschlüssen ihrer Fa¬
milie zufolge, Florenz verlassen und zu Verwandten nach Rom ge¬
hen. Des Fürsten überall so laut und entschieden allsgesprochene


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[0310] Florenz, Fiorenza, heißt, und wohl mit Recht, die Binnenstadt! aber Blumen entzücken nicht blos die Sinne, sie sind auch be¬ täubend und wirken narkotisch ein, so wie hier ans die feineren Ge¬ fühle der Tugend und Ehre, daß sie noch mehr wie in anderen gro¬ ßen Städten von dem Gift der Verführung allgemach angehaucht werden und verblassen. Es ist, als schwebte hier etwas in der Lust, eine Art von feinem moralischem Cholerastoff, ein Seelen-Miasma, das die festesten Grundsätze, wenn sie auch vorhanden waren, an¬ greift, corrodirt und auflvs't. Und dabei bleibt die äußere Stellung, wenn auch etwas gebückt, bestehen, insofern nur das nöthige Deco¬ rum beachtet wird; ja man gewinnt am Ende oft noch dabei, der öffentlichen Controle — die in der That das Geheimste an'S Licht zu bringen weiß, — die Stirn zu bieten und sich interessant zu ma¬ chen. Gerade diejenigen, die viel zu verbergen haben, zeigen sich am meisten überall, und die oberflächliche Achtung versagt sich ihnen nicht, falls sie nur irgend ein äußeres Gut, Schönheit, Reichthum oder Stand in die Waagschale legen können. Daher kommt es denn auch, daß Florenz der Sammelplatz aller abgeblichenen, anrüchigen Reputationen ist; eine Menge Glücksritter, Escrocs, falsche Spie¬ ler u. tgi. sammeln sich hier, und unter den Damen, welche aus al¬ len Nationen hier ab- und zuflattern, sind der galanten und zwei¬ deutigen nicht die wenigsten. In der That, es lohnt in Florenz fast gar nicht der Mühe, tugendhaft zu sein, wenigstens für Andere nicht. Wer es nicht um seiner selbst willen ist, der braucht hier keinen An¬ lauf dazu zu nehmen, und auch dieser hat mehr als irgend anderswo in solch verführerischer Atmosphäre darauf zu achten, daß, wenn er steht, er über kurz oder lang nicht dennoch falle! Arme Elisa, mit Deinen holden Träumen von Liebe und Treue und Männerwerth, welche Schmerzen wirst Du noch erdulden müs¬ sen, ehe Du Dich ganz von ihnen losringst! — Noch spät am Abend, nachdem bereits jeder andere Besuch sich entfernt, traf Marianna Ricci ein, um sich der ihr so wohlwollenden Fürstin zu empfehlen und von der geliebten Freundin Abschied zu nehmen; auch sie sollte in wenigen Tagen, den Beschlüssen ihrer Fa¬ milie zufolge, Florenz verlassen und zu Verwandten nach Rom ge¬ hen. Des Fürsten überall so laut und entschieden allsgesprochene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/310>, abgerufen am 23.12.2024.