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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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straft mit Tod und Untergang, mit Elend und mit Thränen. Und
die Thränen der Armuth, welche unsere Zeit weinen muß, und der
Tod des Verbrechers, den sie beklagen muß, kommt er vielleicht auch
von etwas, das ungefähr wie Sünde aussehen muß? Ja, wahrlich!
so gewiß jene Thränen und jener Tod eine Geißel und Strafe für
unsere Zeit sind und nur für ihre "Philosophen" nicht sind.

Die Quelle der Uebel, an denen unsere Zeit leidet, muß ver¬
stopft werden, darüber ist Alles einig; die bösen Wasser müssen ab¬
gedämmt werden, die guten fließen von selber aus dem ewigen Spring¬
quell der gottgeschaffenen Menschenbrust. Wer soll der Brunnenmei¬
ster sein? Der Philosoph, der dem Dichter das Auge ausschlägt,
womit er in die Tiefen der Gottheit und in die Geheimnisse der
Weltzusammenhänge, in die Räthsel von Tod und Leben zu schauen
vermag? Der wahre Dichter hat den Gott in seiner Brust, den Gott
des Lebens und der Wahrheit, und läßt sich von keiner noch so
grundgescheidten Weisheit den todten Lügengötzen dafür auf den Al¬
tar der Sünde und des Verderbens pflanzen. Der wahre Dichter
ist ein Priester, der nur die Sünde opfert und nur ihre Schuld
auf dem Brautaltare verzehren läßt, damit die so von Sünde und
Schuld gereinigte Seele nun als nieverlöschender Stern am Himmel
glänze. Was mithin "nicht fleckenloser Charakter" ist, muß unter
dem Opferbeil der Dichtung sterben, damit es auferstehe zu verklär¬
tem Geistesleben. Aber die Kinder der Welt und ihrer Weisheit von
gestern sind klüger, als die Kinder des Lichts: nicht sterben sollen
ihre Helden, um zu leben, sondern leben sollen sie, um zu sterben:
lebendig todt müssen sie sein.

Der Dichter zeigt: sterben muß, was nicht ganz rein zu leben
wußte, und mit todeömuthiger Hand zerschlägt er das edle Gesäß um
des einen Fleckens willen, um es in dem beißen Todes- und Trüb-
salötiegel dem ungetrübten Himmelsglanze entgegenzuschmelzen, -- da
kommt der Philosoph und zeigt: Der Flecken ist wohl da, aber es ist
kein Flecken, und das "nicht fleckenlose" Gemächte bricht der grillen¬
hafte Schöpfer nur zusammen um an dem Glanz des umgegossenen,
neugeschmolzenen Götterwerkes zu zeigen, daß dasselbe trotz des Flek-
kens ein fleckenloses war. Wundervolle Dialektik, die jeden blauen
Nebel weiß zu machen weiß!

Was wird solche Dialektik zu den blutigen Köpfen und den


straft mit Tod und Untergang, mit Elend und mit Thränen. Und
die Thränen der Armuth, welche unsere Zeit weinen muß, und der
Tod des Verbrechers, den sie beklagen muß, kommt er vielleicht auch
von etwas, das ungefähr wie Sünde aussehen muß? Ja, wahrlich!
so gewiß jene Thränen und jener Tod eine Geißel und Strafe für
unsere Zeit sind und nur für ihre „Philosophen" nicht sind.

Die Quelle der Uebel, an denen unsere Zeit leidet, muß ver¬
stopft werden, darüber ist Alles einig; die bösen Wasser müssen ab¬
gedämmt werden, die guten fließen von selber aus dem ewigen Spring¬
quell der gottgeschaffenen Menschenbrust. Wer soll der Brunnenmei¬
ster sein? Der Philosoph, der dem Dichter das Auge ausschlägt,
womit er in die Tiefen der Gottheit und in die Geheimnisse der
Weltzusammenhänge, in die Räthsel von Tod und Leben zu schauen
vermag? Der wahre Dichter hat den Gott in seiner Brust, den Gott
des Lebens und der Wahrheit, und läßt sich von keiner noch so
grundgescheidten Weisheit den todten Lügengötzen dafür auf den Al¬
tar der Sünde und des Verderbens pflanzen. Der wahre Dichter
ist ein Priester, der nur die Sünde opfert und nur ihre Schuld
auf dem Brautaltare verzehren läßt, damit die so von Sünde und
Schuld gereinigte Seele nun als nieverlöschender Stern am Himmel
glänze. Was mithin „nicht fleckenloser Charakter" ist, muß unter
dem Opferbeil der Dichtung sterben, damit es auferstehe zu verklär¬
tem Geistesleben. Aber die Kinder der Welt und ihrer Weisheit von
gestern sind klüger, als die Kinder des Lichts: nicht sterben sollen
ihre Helden, um zu leben, sondern leben sollen sie, um zu sterben:
lebendig todt müssen sie sein.

Der Dichter zeigt: sterben muß, was nicht ganz rein zu leben
wußte, und mit todeömuthiger Hand zerschlägt er das edle Gesäß um
des einen Fleckens willen, um es in dem beißen Todes- und Trüb-
salötiegel dem ungetrübten Himmelsglanze entgegenzuschmelzen, — da
kommt der Philosoph und zeigt: Der Flecken ist wohl da, aber es ist
kein Flecken, und das „nicht fleckenlose" Gemächte bricht der grillen¬
hafte Schöpfer nur zusammen um an dem Glanz des umgegossenen,
neugeschmolzenen Götterwerkes zu zeigen, daß dasselbe trotz des Flek-
kens ein fleckenloses war. Wundervolle Dialektik, die jeden blauen
Nebel weiß zu machen weiß!

Was wird solche Dialektik zu den blutigen Köpfen und den


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[0301] straft mit Tod und Untergang, mit Elend und mit Thränen. Und die Thränen der Armuth, welche unsere Zeit weinen muß, und der Tod des Verbrechers, den sie beklagen muß, kommt er vielleicht auch von etwas, das ungefähr wie Sünde aussehen muß? Ja, wahrlich! so gewiß jene Thränen und jener Tod eine Geißel und Strafe für unsere Zeit sind und nur für ihre „Philosophen" nicht sind. Die Quelle der Uebel, an denen unsere Zeit leidet, muß ver¬ stopft werden, darüber ist Alles einig; die bösen Wasser müssen ab¬ gedämmt werden, die guten fließen von selber aus dem ewigen Spring¬ quell der gottgeschaffenen Menschenbrust. Wer soll der Brunnenmei¬ ster sein? Der Philosoph, der dem Dichter das Auge ausschlägt, womit er in die Tiefen der Gottheit und in die Geheimnisse der Weltzusammenhänge, in die Räthsel von Tod und Leben zu schauen vermag? Der wahre Dichter hat den Gott in seiner Brust, den Gott des Lebens und der Wahrheit, und läßt sich von keiner noch so grundgescheidten Weisheit den todten Lügengötzen dafür auf den Al¬ tar der Sünde und des Verderbens pflanzen. Der wahre Dichter ist ein Priester, der nur die Sünde opfert und nur ihre Schuld auf dem Brautaltare verzehren läßt, damit die so von Sünde und Schuld gereinigte Seele nun als nieverlöschender Stern am Himmel glänze. Was mithin „nicht fleckenloser Charakter" ist, muß unter dem Opferbeil der Dichtung sterben, damit es auferstehe zu verklär¬ tem Geistesleben. Aber die Kinder der Welt und ihrer Weisheit von gestern sind klüger, als die Kinder des Lichts: nicht sterben sollen ihre Helden, um zu leben, sondern leben sollen sie, um zu sterben: lebendig todt müssen sie sein. Der Dichter zeigt: sterben muß, was nicht ganz rein zu leben wußte, und mit todeömuthiger Hand zerschlägt er das edle Gesäß um des einen Fleckens willen, um es in dem beißen Todes- und Trüb- salötiegel dem ungetrübten Himmelsglanze entgegenzuschmelzen, — da kommt der Philosoph und zeigt: Der Flecken ist wohl da, aber es ist kein Flecken, und das „nicht fleckenlose" Gemächte bricht der grillen¬ hafte Schöpfer nur zusammen um an dem Glanz des umgegossenen, neugeschmolzenen Götterwerkes zu zeigen, daß dasselbe trotz des Flek- kens ein fleckenloses war. Wundervolle Dialektik, die jeden blauen Nebel weiß zu machen weiß! Was wird solche Dialektik zu den blutigen Köpfen und den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/301>, abgerufen am 23.07.2024.