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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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schaft, die von den großen Männern heutzutage so sehr verachtet wird,
und bei den großen Männern von ehedem sich regelmäßig findet --
Geschmack.

Sollen wir die ganze Masse der Productionen der Reihe nach
aufzählen, die aus der unerschöpflichen Feder Dumas' geflossen sind?
Soll ich von dem schrecklichen Melodrama, dem l'our <le Nesle
sprechen? Von CattMne Howard, diesem Wunderding von Absur¬
dität und UnWahrscheinlichkeit? Von Napoleon, Melodrama für den
eirque ol^api<iue in zwanzig Tableaur? von Don Juan de Ma-
rana, phantastischem Melodrama; von Caligula, römischem Melodrama;
von Lorenzino, dem letzten, schwächsten und mattesten aller Erzeugnisse
des Dramatikers? Aber Alexander Dumas hat nicht allein Dramen
und Melodramen gemacht; er hat auch Komödien geschrieben, deren
eine, Alcillemliisell"? cle Kölle Ist", wenn auch auf eine physiologi¬
sche Unmöglichkeit gegründet, sehr geistreich ist; er hat Dramas-Vau-
devilles geschrieben, wie Kean; komische Opern, wie Piquillo;
Romane und Feuilletons zu Hunderten; in dem einzigen Jahre
1840 hat Dumas zwei und! zwanzig Octav-Bände veröffentlicht.
Dann hat er noch Imin-s88lo"s "lo vo^"F<z geschrieben, wo Alles zu
finden ist, Drama, Elegien, Eklogen, Idyllen, Politik, Gastronomie,
Statistik, Geographie, Geschichte und endlich Esprit; Alles, nur keine
Wahrheit. Noch nie hat ein Schriftsteller das Publicum so an der
Nase herumgeführt, und noch nie hat sich ein Publicum das gedul¬
diger gefallen lassen. Doch hat Dumas der Leichtgläubigkeit dieses
Publicums so viel zugemuthet, daß es jetzt anfängt, gegen die Ent¬
deckungen des Reisenden mißtrauisch zu werden.

Dumas ist seit zwei Jahren mit einer ehemaligen Schauspiele¬
rin der Porte-Saint-Martin, Jda Ferners, verheirathet und hat
mehrere Kinder. Wenn er nicht auf Reisen ist, was selten vorfällt,
hält er sich gewöhnlich in Florenz auf, von wo aus er dann und
wann eine Reise nach Paris macht. Von Florenz aus entsendet oder
bestellt er die unzähligen Ladungen literarischer Erzeugnisse, deren Ver¬
kauf nicht immer gut ist, denn mit dem Artikel Dumas sind die
Märkte überhäuft. Von der beklagenswerthen Pest des Jndustrialis-
mus angesteckt, scheint Dumas sich mit Leib und Seele der Anbetung
des goldenen Kalbes hinzugeben. In welchem Theater, sei es noch
so unbedeutend, in welchem Buchladen, in welchem Unternehmen


schaft, die von den großen Männern heutzutage so sehr verachtet wird,
und bei den großen Männern von ehedem sich regelmäßig findet —
Geschmack.

Sollen wir die ganze Masse der Productionen der Reihe nach
aufzählen, die aus der unerschöpflichen Feder Dumas' geflossen sind?
Soll ich von dem schrecklichen Melodrama, dem l'our <le Nesle
sprechen? Von CattMne Howard, diesem Wunderding von Absur¬
dität und UnWahrscheinlichkeit? Von Napoleon, Melodrama für den
eirque ol^api<iue in zwanzig Tableaur? von Don Juan de Ma-
rana, phantastischem Melodrama; von Caligula, römischem Melodrama;
von Lorenzino, dem letzten, schwächsten und mattesten aller Erzeugnisse
des Dramatikers? Aber Alexander Dumas hat nicht allein Dramen
und Melodramen gemacht; er hat auch Komödien geschrieben, deren
eine, Alcillemliisell«? cle Kölle Ist«, wenn auch auf eine physiologi¬
sche Unmöglichkeit gegründet, sehr geistreich ist; er hat Dramas-Vau-
devilles geschrieben, wie Kean; komische Opern, wie Piquillo;
Romane und Feuilletons zu Hunderten; in dem einzigen Jahre
1840 hat Dumas zwei und! zwanzig Octav-Bände veröffentlicht.
Dann hat er noch Imin-s88lo»s «lo vo^»F<z geschrieben, wo Alles zu
finden ist, Drama, Elegien, Eklogen, Idyllen, Politik, Gastronomie,
Statistik, Geographie, Geschichte und endlich Esprit; Alles, nur keine
Wahrheit. Noch nie hat ein Schriftsteller das Publicum so an der
Nase herumgeführt, und noch nie hat sich ein Publicum das gedul¬
diger gefallen lassen. Doch hat Dumas der Leichtgläubigkeit dieses
Publicums so viel zugemuthet, daß es jetzt anfängt, gegen die Ent¬
deckungen des Reisenden mißtrauisch zu werden.

Dumas ist seit zwei Jahren mit einer ehemaligen Schauspiele¬
rin der Porte-Saint-Martin, Jda Ferners, verheirathet und hat
mehrere Kinder. Wenn er nicht auf Reisen ist, was selten vorfällt,
hält er sich gewöhnlich in Florenz auf, von wo aus er dann und
wann eine Reise nach Paris macht. Von Florenz aus entsendet oder
bestellt er die unzähligen Ladungen literarischer Erzeugnisse, deren Ver¬
kauf nicht immer gut ist, denn mit dem Artikel Dumas sind die
Märkte überhäuft. Von der beklagenswerthen Pest des Jndustrialis-
mus angesteckt, scheint Dumas sich mit Leib und Seele der Anbetung
des goldenen Kalbes hinzugeben. In welchem Theater, sei es noch
so unbedeutend, in welchem Buchladen, in welchem Unternehmen


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[0285] schaft, die von den großen Männern heutzutage so sehr verachtet wird, und bei den großen Männern von ehedem sich regelmäßig findet — Geschmack. Sollen wir die ganze Masse der Productionen der Reihe nach aufzählen, die aus der unerschöpflichen Feder Dumas' geflossen sind? Soll ich von dem schrecklichen Melodrama, dem l'our <le Nesle sprechen? Von CattMne Howard, diesem Wunderding von Absur¬ dität und UnWahrscheinlichkeit? Von Napoleon, Melodrama für den eirque ol^api<iue in zwanzig Tableaur? von Don Juan de Ma- rana, phantastischem Melodrama; von Caligula, römischem Melodrama; von Lorenzino, dem letzten, schwächsten und mattesten aller Erzeugnisse des Dramatikers? Aber Alexander Dumas hat nicht allein Dramen und Melodramen gemacht; er hat auch Komödien geschrieben, deren eine, Alcillemliisell«? cle Kölle Ist«, wenn auch auf eine physiologi¬ sche Unmöglichkeit gegründet, sehr geistreich ist; er hat Dramas-Vau- devilles geschrieben, wie Kean; komische Opern, wie Piquillo; Romane und Feuilletons zu Hunderten; in dem einzigen Jahre 1840 hat Dumas zwei und! zwanzig Octav-Bände veröffentlicht. Dann hat er noch Imin-s88lo»s «lo vo^»F<z geschrieben, wo Alles zu finden ist, Drama, Elegien, Eklogen, Idyllen, Politik, Gastronomie, Statistik, Geographie, Geschichte und endlich Esprit; Alles, nur keine Wahrheit. Noch nie hat ein Schriftsteller das Publicum so an der Nase herumgeführt, und noch nie hat sich ein Publicum das gedul¬ diger gefallen lassen. Doch hat Dumas der Leichtgläubigkeit dieses Publicums so viel zugemuthet, daß es jetzt anfängt, gegen die Ent¬ deckungen des Reisenden mißtrauisch zu werden. Dumas ist seit zwei Jahren mit einer ehemaligen Schauspiele¬ rin der Porte-Saint-Martin, Jda Ferners, verheirathet und hat mehrere Kinder. Wenn er nicht auf Reisen ist, was selten vorfällt, hält er sich gewöhnlich in Florenz auf, von wo aus er dann und wann eine Reise nach Paris macht. Von Florenz aus entsendet oder bestellt er die unzähligen Ladungen literarischer Erzeugnisse, deren Ver¬ kauf nicht immer gut ist, denn mit dem Artikel Dumas sind die Märkte überhäuft. Von der beklagenswerthen Pest des Jndustrialis- mus angesteckt, scheint Dumas sich mit Leib und Seele der Anbetung des goldenen Kalbes hinzugeben. In welchem Theater, sei es noch so unbedeutend, in welchem Buchladen, in welchem Unternehmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/285>, abgerufen am 23.07.2024.