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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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den Shakspeare sehen. -- Man denke sich einen Blindgeborenen, dem
das Gesicht wiedergegeben wird, der eine ganze Welt entdeckt, von
der er noch keinen Begriff hatte; man denke sich einen Adam, der
nach seiner Erschaffung erwacht ... O, das war es, was ich
suchte . . . Shakspeare. ich danke Dir! --

Wir müssen hier erklären, daß sich Alerander Dumas hier mit
seiner eigenen Geschichte einige poetische Freiheiten nimmt. Dumas
sagt hier, daß er, der noch Nichts producirt hatte, sich plötz¬
lich zu einem Gefühl seines Berufes durch eine Art von Offenba¬
rung, die direct von Shakspeare ausging, ergriffen fühlte; das ist
fast dieselbe Geschichte, wie mit Achilles auf Scyros. Sie ist sehr
poetisch, aber nicht historisch-richtig. Als die englischen Schauspieler
in Paris ankamen und Hamlet spielten, hatte Dumas seine drama¬
tische Laufbahn bereits angetreten. Ehe er sich selbst durch Shak¬
speare offenbar wurde, war Dumas sich selbst schon durch Scribe
offenbar geworden; ehe er Hamlet spielen sah, hatte er Vaudevilles
spielen sehen und Vaudevilles verfaßt, und zwar unter einem falschen
Namen und in Gemeinschaft mit zwei geistreichen Freunden. Das
eine derselben, I^t Noe" "?t 1'Knterrvm";ut hatte einigen Erfolg.
Nachdem er Vaudevilles hatte spielen sehen, sah er auch classische
Tragödien und schrieb auch eine classische Tragödie, Christine, die vom
tun^-us zwar angenommen, aber nicht aufgeführt wurde
und später nach dem Erfolg von Henri III. in ein romantisches
Drama umgeformt wurde.

Daß Dumas sich auf diese Weise als isolirt in der allgemeinen,
ihm vorausgehenden Bewegung literarischer Neuerung darzustellen
sucht, läßt sich begreifen, er wird dadurch größer; die dramatische
Revolution geht in ihm selbst vor und er stammt in gerader Linie
durch eine Art Offenbarung von Shakspeare selbst ab. Man braucht
aber nur das erste Ergebniß dieser Offenbarung, Henri III., mit
dem ersten beste": Drama von Shakspeare zu vergleichen, um ohne
Mühe zu erkennen, daß, wenn der Schöpfer Hamlet's einigen An¬
theil an dem ersten revolurionären Versuch Dumas' hat, der Verfas¬
ser des Cromwell, der Verfasser der Se6ne8 blistoricjues, der Ver¬
fasser der Dramen der Clara Gazul, der Verfasser von Misanthro-
pie und Nepentir, und vor Allem Walter Scott wenigstens schon zum
poetischen Capital dieses jungen Dramatikers beigesteuert hatten? Noch


den Shakspeare sehen. — Man denke sich einen Blindgeborenen, dem
das Gesicht wiedergegeben wird, der eine ganze Welt entdeckt, von
der er noch keinen Begriff hatte; man denke sich einen Adam, der
nach seiner Erschaffung erwacht ... O, das war es, was ich
suchte . . . Shakspeare. ich danke Dir! —

Wir müssen hier erklären, daß sich Alerander Dumas hier mit
seiner eigenen Geschichte einige poetische Freiheiten nimmt. Dumas
sagt hier, daß er, der noch Nichts producirt hatte, sich plötz¬
lich zu einem Gefühl seines Berufes durch eine Art von Offenba¬
rung, die direct von Shakspeare ausging, ergriffen fühlte; das ist
fast dieselbe Geschichte, wie mit Achilles auf Scyros. Sie ist sehr
poetisch, aber nicht historisch-richtig. Als die englischen Schauspieler
in Paris ankamen und Hamlet spielten, hatte Dumas seine drama¬
tische Laufbahn bereits angetreten. Ehe er sich selbst durch Shak¬
speare offenbar wurde, war Dumas sich selbst schon durch Scribe
offenbar geworden; ehe er Hamlet spielen sah, hatte er Vaudevilles
spielen sehen und Vaudevilles verfaßt, und zwar unter einem falschen
Namen und in Gemeinschaft mit zwei geistreichen Freunden. Das
eine derselben, I^t Noe« «?t 1'Knterrvm«;ut hatte einigen Erfolg.
Nachdem er Vaudevilles hatte spielen sehen, sah er auch classische
Tragödien und schrieb auch eine classische Tragödie, Christine, die vom
tun^-us zwar angenommen, aber nicht aufgeführt wurde
und später nach dem Erfolg von Henri III. in ein romantisches
Drama umgeformt wurde.

Daß Dumas sich auf diese Weise als isolirt in der allgemeinen,
ihm vorausgehenden Bewegung literarischer Neuerung darzustellen
sucht, läßt sich begreifen, er wird dadurch größer; die dramatische
Revolution geht in ihm selbst vor und er stammt in gerader Linie
durch eine Art Offenbarung von Shakspeare selbst ab. Man braucht
aber nur das erste Ergebniß dieser Offenbarung, Henri III., mit
dem ersten beste«: Drama von Shakspeare zu vergleichen, um ohne
Mühe zu erkennen, daß, wenn der Schöpfer Hamlet's einigen An¬
theil an dem ersten revolurionären Versuch Dumas' hat, der Verfas¬
ser des Cromwell, der Verfasser der Se6ne8 blistoricjues, der Ver¬
fasser der Dramen der Clara Gazul, der Verfasser von Misanthro-
pie und Nepentir, und vor Allem Walter Scott wenigstens schon zum
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[0279] den Shakspeare sehen. — Man denke sich einen Blindgeborenen, dem das Gesicht wiedergegeben wird, der eine ganze Welt entdeckt, von der er noch keinen Begriff hatte; man denke sich einen Adam, der nach seiner Erschaffung erwacht ... O, das war es, was ich suchte . . . Shakspeare. ich danke Dir! — Wir müssen hier erklären, daß sich Alerander Dumas hier mit seiner eigenen Geschichte einige poetische Freiheiten nimmt. Dumas sagt hier, daß er, der noch Nichts producirt hatte, sich plötz¬ lich zu einem Gefühl seines Berufes durch eine Art von Offenba¬ rung, die direct von Shakspeare ausging, ergriffen fühlte; das ist fast dieselbe Geschichte, wie mit Achilles auf Scyros. Sie ist sehr poetisch, aber nicht historisch-richtig. Als die englischen Schauspieler in Paris ankamen und Hamlet spielten, hatte Dumas seine drama¬ tische Laufbahn bereits angetreten. Ehe er sich selbst durch Shak¬ speare offenbar wurde, war Dumas sich selbst schon durch Scribe offenbar geworden; ehe er Hamlet spielen sah, hatte er Vaudevilles spielen sehen und Vaudevilles verfaßt, und zwar unter einem falschen Namen und in Gemeinschaft mit zwei geistreichen Freunden. Das eine derselben, I^t Noe« «?t 1'Knterrvm«;ut hatte einigen Erfolg. Nachdem er Vaudevilles hatte spielen sehen, sah er auch classische Tragödien und schrieb auch eine classische Tragödie, Christine, die vom tun^-us zwar angenommen, aber nicht aufgeführt wurde und später nach dem Erfolg von Henri III. in ein romantisches Drama umgeformt wurde. Daß Dumas sich auf diese Weise als isolirt in der allgemeinen, ihm vorausgehenden Bewegung literarischer Neuerung darzustellen sucht, läßt sich begreifen, er wird dadurch größer; die dramatische Revolution geht in ihm selbst vor und er stammt in gerader Linie durch eine Art Offenbarung von Shakspeare selbst ab. Man braucht aber nur das erste Ergebniß dieser Offenbarung, Henri III., mit dem ersten beste«: Drama von Shakspeare zu vergleichen, um ohne Mühe zu erkennen, daß, wenn der Schöpfer Hamlet's einigen An¬ theil an dem ersten revolurionären Versuch Dumas' hat, der Verfas¬ ser des Cromwell, der Verfasser der Se6ne8 blistoricjues, der Ver¬ fasser der Dramen der Clara Gazul, der Verfasser von Misanthro- pie und Nepentir, und vor Allem Walter Scott wenigstens schon zum poetischen Capital dieses jungen Dramatikers beigesteuert hatten? Noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/279>, abgerufen am 23.07.2024.