Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Truhen und Strickleitern jeder Größe, allen Forderungen des mensch¬
lichen Geistes und Herzens genügen zu können. Doch seinen Dra¬
men, wie allen Produktionen ähnlicher Art, ist es gegangen, wie eS
der Regierung von 179Z ging, deren Dauer natürlich im umgekehr¬
ten Verhältniß zu der Heftigkeit ihrer Schrecken stand. Nach dem
Ende der Schreckenszeit hatte die Gesellschaft des Directoriums selbst
die Revolution durch die Ausschweifungen der Revolutionäre verab¬
scheuen gelernt, und getrieben von diesem Abscheu, schien sie bereit,
vollkommen in den Zustand der Vergangenheit zurückzusinken, als der
Mann auftrat, der die alte Ordnung der Dinge mit der neuen ver¬
binden und die Revolution mit sich selbst versöhnen sollte.

In demselben Zustande befindet sich jetzt das Parterre von
1843; es ist des modernen Dramas müde, und in seinem
Ekel vor idem, was man vor zehn Jahren die starken Er¬
schütterungen nannte, findet es in den Meisterwerken des 17. Jahr¬
hunderts, die ihm durch die Vermittlung eines schönen Talentes vor
Augen treten, Anregungen, in denen das Herz nur eine beschränkte
Rolle spielt, und erwartet ein dramatisches Genie, einen Dictator,
welcher die Ueberlieferung mit der Neuerung verschmelzen und versöh¬
nen und aus dieser Vereinigung ein Drama hervorgehen lassen soll,
das den Ideen und Sitten der Zeit entspricht.

Da aber dieses unbekannte Genie, dieser Messias des französi¬
schen Dramas noch nicht erschienen ist und uns Stoff zu einer Bio¬
graphie gegeben hat, so wollen wir unterdessen die von Alexander
Dumas skizziren.

Die Begabung des Verfassers des Antonv ist ein Beweis mehr
gegen die Vorurtheile, welche noch über den Unterschied der wei¬
ßen und farbigen Race herrschen, denn Alexander Dumas ist nicht,
wie euphemistisch einige Biographen sagen, von creolischer, sondern
von halbbürtiger Race. Sein Vater war Mulatte, und wenn ich
nicht irre, von allen Farbigen der Erste, welcher den Grad eines
Generals in der französischen Armee erlangte. Der General Alexan¬
der Davy Dumas, natürlicher Sohn des Marquis de la Pailleterie
und einer Negerin, wurde auf der Insel Domingo zu Jeremie am
25. März 1762 geboren. Er trat 178K als gemeiner Dragoner in
französische Dienste. Einer glänzenden Waffenthat im Lager von
Maulde in den ersten Tagen der Revolution verdankte er ein Schrei-


Truhen und Strickleitern jeder Größe, allen Forderungen des mensch¬
lichen Geistes und Herzens genügen zu können. Doch seinen Dra¬
men, wie allen Produktionen ähnlicher Art, ist es gegangen, wie eS
der Regierung von 179Z ging, deren Dauer natürlich im umgekehr¬
ten Verhältniß zu der Heftigkeit ihrer Schrecken stand. Nach dem
Ende der Schreckenszeit hatte die Gesellschaft des Directoriums selbst
die Revolution durch die Ausschweifungen der Revolutionäre verab¬
scheuen gelernt, und getrieben von diesem Abscheu, schien sie bereit,
vollkommen in den Zustand der Vergangenheit zurückzusinken, als der
Mann auftrat, der die alte Ordnung der Dinge mit der neuen ver¬
binden und die Revolution mit sich selbst versöhnen sollte.

In demselben Zustande befindet sich jetzt das Parterre von
1843; es ist des modernen Dramas müde, und in seinem
Ekel vor idem, was man vor zehn Jahren die starken Er¬
schütterungen nannte, findet es in den Meisterwerken des 17. Jahr¬
hunderts, die ihm durch die Vermittlung eines schönen Talentes vor
Augen treten, Anregungen, in denen das Herz nur eine beschränkte
Rolle spielt, und erwartet ein dramatisches Genie, einen Dictator,
welcher die Ueberlieferung mit der Neuerung verschmelzen und versöh¬
nen und aus dieser Vereinigung ein Drama hervorgehen lassen soll,
das den Ideen und Sitten der Zeit entspricht.

Da aber dieses unbekannte Genie, dieser Messias des französi¬
schen Dramas noch nicht erschienen ist und uns Stoff zu einer Bio¬
graphie gegeben hat, so wollen wir unterdessen die von Alexander
Dumas skizziren.

Die Begabung des Verfassers des Antonv ist ein Beweis mehr
gegen die Vorurtheile, welche noch über den Unterschied der wei¬
ßen und farbigen Race herrschen, denn Alexander Dumas ist nicht,
wie euphemistisch einige Biographen sagen, von creolischer, sondern
von halbbürtiger Race. Sein Vater war Mulatte, und wenn ich
nicht irre, von allen Farbigen der Erste, welcher den Grad eines
Generals in der französischen Armee erlangte. Der General Alexan¬
der Davy Dumas, natürlicher Sohn des Marquis de la Pailleterie
und einer Negerin, wurde auf der Insel Domingo zu Jeremie am
25. März 1762 geboren. Er trat 178K als gemeiner Dragoner in
französische Dienste. Einer glänzenden Waffenthat im Lager von
Maulde in den ersten Tagen der Revolution verdankte er ein Schrei-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180835"/>
          <p xml:id="ID_651" prev="#ID_650"> Truhen und Strickleitern jeder Größe, allen Forderungen des mensch¬<lb/>
lichen Geistes und Herzens genügen zu können. Doch seinen Dra¬<lb/>
men, wie allen Produktionen ähnlicher Art, ist es gegangen, wie eS<lb/>
der Regierung von 179Z ging, deren Dauer natürlich im umgekehr¬<lb/>
ten Verhältniß zu der Heftigkeit ihrer Schrecken stand. Nach dem<lb/>
Ende der Schreckenszeit hatte die Gesellschaft des Directoriums selbst<lb/>
die Revolution durch die Ausschweifungen der Revolutionäre verab¬<lb/>
scheuen gelernt, und getrieben von diesem Abscheu, schien sie bereit,<lb/>
vollkommen in den Zustand der Vergangenheit zurückzusinken, als der<lb/>
Mann auftrat, der die alte Ordnung der Dinge mit der neuen ver¬<lb/>
binden und die Revolution mit sich selbst versöhnen sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_652"> In demselben Zustande befindet sich jetzt das Parterre von<lb/>
1843; es ist des modernen Dramas müde, und in seinem<lb/>
Ekel vor idem, was man vor zehn Jahren die starken Er¬<lb/>
schütterungen nannte, findet es in den Meisterwerken des 17. Jahr¬<lb/>
hunderts, die ihm durch die Vermittlung eines schönen Talentes vor<lb/>
Augen treten, Anregungen, in denen das Herz nur eine beschränkte<lb/>
Rolle spielt, und erwartet ein dramatisches Genie, einen Dictator,<lb/>
welcher die Ueberlieferung mit der Neuerung verschmelzen und versöh¬<lb/>
nen und aus dieser Vereinigung ein Drama hervorgehen lassen soll,<lb/>
das den Ideen und Sitten der Zeit entspricht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_653"> Da aber dieses unbekannte Genie, dieser Messias des französi¬<lb/>
schen Dramas noch nicht erschienen ist und uns Stoff zu einer Bio¬<lb/>
graphie gegeben hat, so wollen wir unterdessen die von Alexander<lb/>
Dumas skizziren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_654" next="#ID_655"> Die Begabung des Verfassers des Antonv ist ein Beweis mehr<lb/>
gegen die Vorurtheile, welche noch über den Unterschied der wei¬<lb/>
ßen und farbigen Race herrschen, denn Alexander Dumas ist nicht,<lb/>
wie euphemistisch einige Biographen sagen, von creolischer, sondern<lb/>
von halbbürtiger Race. Sein Vater war Mulatte, und wenn ich<lb/>
nicht irre, von allen Farbigen der Erste, welcher den Grad eines<lb/>
Generals in der französischen Armee erlangte. Der General Alexan¬<lb/>
der Davy Dumas, natürlicher Sohn des Marquis de la Pailleterie<lb/>
und einer Negerin, wurde auf der Insel Domingo zu Jeremie am<lb/>
25. März 1762 geboren. Er trat 178K als gemeiner Dragoner in<lb/>
französische Dienste. Einer glänzenden Waffenthat im Lager von<lb/>
Maulde in den ersten Tagen der Revolution verdankte er ein Schrei-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] Truhen und Strickleitern jeder Größe, allen Forderungen des mensch¬ lichen Geistes und Herzens genügen zu können. Doch seinen Dra¬ men, wie allen Produktionen ähnlicher Art, ist es gegangen, wie eS der Regierung von 179Z ging, deren Dauer natürlich im umgekehr¬ ten Verhältniß zu der Heftigkeit ihrer Schrecken stand. Nach dem Ende der Schreckenszeit hatte die Gesellschaft des Directoriums selbst die Revolution durch die Ausschweifungen der Revolutionäre verab¬ scheuen gelernt, und getrieben von diesem Abscheu, schien sie bereit, vollkommen in den Zustand der Vergangenheit zurückzusinken, als der Mann auftrat, der die alte Ordnung der Dinge mit der neuen ver¬ binden und die Revolution mit sich selbst versöhnen sollte. In demselben Zustande befindet sich jetzt das Parterre von 1843; es ist des modernen Dramas müde, und in seinem Ekel vor idem, was man vor zehn Jahren die starken Er¬ schütterungen nannte, findet es in den Meisterwerken des 17. Jahr¬ hunderts, die ihm durch die Vermittlung eines schönen Talentes vor Augen treten, Anregungen, in denen das Herz nur eine beschränkte Rolle spielt, und erwartet ein dramatisches Genie, einen Dictator, welcher die Ueberlieferung mit der Neuerung verschmelzen und versöh¬ nen und aus dieser Vereinigung ein Drama hervorgehen lassen soll, das den Ideen und Sitten der Zeit entspricht. Da aber dieses unbekannte Genie, dieser Messias des französi¬ schen Dramas noch nicht erschienen ist und uns Stoff zu einer Bio¬ graphie gegeben hat, so wollen wir unterdessen die von Alexander Dumas skizziren. Die Begabung des Verfassers des Antonv ist ein Beweis mehr gegen die Vorurtheile, welche noch über den Unterschied der wei¬ ßen und farbigen Race herrschen, denn Alexander Dumas ist nicht, wie euphemistisch einige Biographen sagen, von creolischer, sondern von halbbürtiger Race. Sein Vater war Mulatte, und wenn ich nicht irre, von allen Farbigen der Erste, welcher den Grad eines Generals in der französischen Armee erlangte. Der General Alexan¬ der Davy Dumas, natürlicher Sohn des Marquis de la Pailleterie und einer Negerin, wurde auf der Insel Domingo zu Jeremie am 25. März 1762 geboren. Er trat 178K als gemeiner Dragoner in französische Dienste. Einer glänzenden Waffenthat im Lager von Maulde in den ersten Tagen der Revolution verdankte er ein Schrei-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/276>, abgerufen am 23.07.2024.