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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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schadenfroh lächeln und der Brite, was wir da so langathmig zu be¬
denken geben, mit dem einzigen Worte: liuinliuK! abfertigen.

-- Manches büreaukratische Herz mag in stillem Triumph ge¬
pocht haben, bei den letzten Verhandlungen des englischen Parlaments
über die Verletzung des Briefgeheimnisses; und manche Bcrüchtigungs-
feder hätte wohl gern, -- läge nicht ein zu schamloses Bekenntniß
darin -- höhnisch hingewiesen auf das freie Albion und gerufen:
Seht, Ihr Thoren, auch dort gilt kein Bricfgeheimniß, auch dort ist
die Freiheit, von der Ihr fabelt, nicht sicher vor privilegirten Ein¬
bruch am hellen lichten Tage. -- Aber will man die britische Insel
in diesem Punkt mit dem Festlande vergleichen, so werden immer
noch so viel gewichtige Gründe, so viel wahre Freihcitsfelsen, in die
englische Waagschale fallen, daß wir dagegen hoch in den vogelfreien
Lüften zappeln. Ohne Zweifel sind in England zu allen Zeiten Briefe
erbrochen worden; der Staatssecretär hat die gesetzliche Befugniß'
dazu, aber nur in jenen seltenen Fällen, wo die Sicherheit des Staa¬
tes auf dem Spiele steht; sonst darf nur der Brief eines bereits in
Anklagestand Versetzten arretirt und muß dann auch offen vor den
Gerichtsschranken deponier werden. So wurde es vom englischen
Volke verstanden, so wurde es dem Herkommen und der nationalen
Sitte gemäß gehalten. Der toryistische Staatssecretär Graham aber
scheint von seiner Befugniß den ausgedehntesten Gebrauch, und zwar
in auswärtigem Interesse, gemacht zu haben; und kaum wurde dies
offenbar, so erhob sich auch die tiefste Entrüstung, die lebhafteste"
Agitation in allen Classen der Gesellschaft dagegen, wurden auch auf
das Entschiedenste sichere Garantien und ausdrückliche Gesetze dawider
verlangt. Was diesen Mißbrauch in den Augen des englischen Vol¬
kes noch gehässiger machte, daß er vorzugsweise gegen Flüchtlinge
und gegen die Unterthanen fremder Staaten gerichtet war, -- dem
Briten selbst kann aus der Brieferöffnung, bei dem dortigen Gerichts¬
verfahren, wenigstens keine polizeiliche Verfolgung erwachsen -- das
würde wohl bei uns hinreichen, die Spionnage zu vertheidigen, wenn
sie überhaupt einer Vertheidigung bedürfte. Ein italienischer Flücht¬
ling, Mazzini, ein Geächteter, welcher der Großmuth englischer In¬
stitutionen seine Sicherheit und seine Eristenz verdankt, konnte durch
seine Anklagen einen Sturm gegen die Regierung des Landes herauf¬
beschwören, in welchem er ein geduldeter Fremdling ist. Eben so
dürften sich wohl polnische Flüchtlinge in Preußen über die geheime Er-
brechung ihrer Briefe beschweren?. Zweifelt nur Ein Mensch auf dem
Continent daran, daß die Regierung alle seine Privatgeheimnisse be¬
lauschen darf, daß sie die ausgedehnteste, gefährlichste und empörendste
Geheimpolizei durch ihre Posten organisirt hat? Gibt es nicht Tausende,


schadenfroh lächeln und der Brite, was wir da so langathmig zu be¬
denken geben, mit dem einzigen Worte: liuinliuK! abfertigen.

— Manches büreaukratische Herz mag in stillem Triumph ge¬
pocht haben, bei den letzten Verhandlungen des englischen Parlaments
über die Verletzung des Briefgeheimnisses; und manche Bcrüchtigungs-
feder hätte wohl gern, — läge nicht ein zu schamloses Bekenntniß
darin — höhnisch hingewiesen auf das freie Albion und gerufen:
Seht, Ihr Thoren, auch dort gilt kein Bricfgeheimniß, auch dort ist
die Freiheit, von der Ihr fabelt, nicht sicher vor privilegirten Ein¬
bruch am hellen lichten Tage. — Aber will man die britische Insel
in diesem Punkt mit dem Festlande vergleichen, so werden immer
noch so viel gewichtige Gründe, so viel wahre Freihcitsfelsen, in die
englische Waagschale fallen, daß wir dagegen hoch in den vogelfreien
Lüften zappeln. Ohne Zweifel sind in England zu allen Zeiten Briefe
erbrochen worden; der Staatssecretär hat die gesetzliche Befugniß'
dazu, aber nur in jenen seltenen Fällen, wo die Sicherheit des Staa¬
tes auf dem Spiele steht; sonst darf nur der Brief eines bereits in
Anklagestand Versetzten arretirt und muß dann auch offen vor den
Gerichtsschranken deponier werden. So wurde es vom englischen
Volke verstanden, so wurde es dem Herkommen und der nationalen
Sitte gemäß gehalten. Der toryistische Staatssecretär Graham aber
scheint von seiner Befugniß den ausgedehntesten Gebrauch, und zwar
in auswärtigem Interesse, gemacht zu haben; und kaum wurde dies
offenbar, so erhob sich auch die tiefste Entrüstung, die lebhafteste"
Agitation in allen Classen der Gesellschaft dagegen, wurden auch auf
das Entschiedenste sichere Garantien und ausdrückliche Gesetze dawider
verlangt. Was diesen Mißbrauch in den Augen des englischen Vol¬
kes noch gehässiger machte, daß er vorzugsweise gegen Flüchtlinge
und gegen die Unterthanen fremder Staaten gerichtet war, — dem
Briten selbst kann aus der Brieferöffnung, bei dem dortigen Gerichts¬
verfahren, wenigstens keine polizeiliche Verfolgung erwachsen — das
würde wohl bei uns hinreichen, die Spionnage zu vertheidigen, wenn
sie überhaupt einer Vertheidigung bedürfte. Ein italienischer Flücht¬
ling, Mazzini, ein Geächteter, welcher der Großmuth englischer In¬
stitutionen seine Sicherheit und seine Eristenz verdankt, konnte durch
seine Anklagen einen Sturm gegen die Regierung des Landes herauf¬
beschwören, in welchem er ein geduldeter Fremdling ist. Eben so
dürften sich wohl polnische Flüchtlinge in Preußen über die geheime Er-
brechung ihrer Briefe beschweren?. Zweifelt nur Ein Mensch auf dem
Continent daran, daß die Regierung alle seine Privatgeheimnisse be¬
lauschen darf, daß sie die ausgedehnteste, gefährlichste und empörendste
Geheimpolizei durch ihre Posten organisirt hat? Gibt es nicht Tausende,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/244>, abgerufen am 23.12.2024.