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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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erhält; vielmehr soll der bisherige Pächter Ballochini wieder von
Neuem einrücken. Traurig genug! Ferner ist Deinhardstein's Mote-
sens keineswegs so erfolglos ausgefallen, daß er blos drei Mal gege¬
ben wurde. Dieses Lustspiel hat große Vorzüge, wenn auch der
Plan nicht zu den neuen Erfindungen zahlt. Es ist ein Ausfluß
der Reaction, die in neuerer Zeit in ganz Oesterreich gegen das übel-
bestellte Beamtenwesen sich manifestirt. Es ist bemerkenswert!), daß
Halm und Deinhardstein, beide Regierungsrathe! in ihren zwei besten
Productionen einen Anlauf zum politischen Drama genommen haben.
Der "Sampiero" wie der "Motesens" haben eine bestimmte.poli¬
tische Je-ce zu Grunde liegen, die, wenn sie unter andern Censürver-
hältnissen ihre Ausführung erhalten hätte, mit scharfen Spitzen ihr
Ziel getroffen haben würde. Der Wille war gut -- aber das Fleisch
ist schwach, oder vielmehr es mußte geschwächt werden, die Spitzen
mußten schüchtern in allgemeine, censurfähige Andeutungen abgestumpft
werden, und der politische Mutter-Gedanke wird nur von dem Kriti¬
ker, nicht aber vom Publicum entdeckt. Um so eher ist es hier die
Pflicht des Erstem, auf die Intention des Dichters aufmerksam zu
machen, da es für die geistigen Richtungen, die in Oesterreich in
letzterer Zeit sich ankündigen, charakteristisch ist, daß zwei höhere
Staatsbeamte, wovon der eine Neffe des Bundestagspräsidenten und
der andere beeideter Censor ist, innerlich zu Ideen und Stoffen ge¬
trieben werden, in denen alle die modernen Elemente leben und we¬
ben, die mit ihrer äußern Stellung im Widerspruche sind.


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II.
Ans Berlin.
i.

Der Zollverein und Belgien. -- Schlägst Du meinen Juden > so schlag ich
Deinen Juden. -- Cartel zwischen Preußen und Luxemburg. -- Herr d e Bloch-
hausen. -- Der Nationalverein und die Censur. -- Russische Zügel
in Deutschland.

Die "Grenzboten", ihrer anfänglichen Bestimmung nach deut¬
sche Boten von den uns entfremdeten vlaemischen' Brüdern jenseits
der Grenze, haben zunächst wohl noch die Pflicht, Acte zu nehmen
von dem, was an dieser Grenze sich ereignet, und so müssen sie
denn auch mit Bedauern berichten, daß der deutsche Zollverein sich
veranlaßt gesehen, an jener Grenze einen neuen Schlagbaum zu er¬
richten und den durch die rheinisch-belgische Eisenbahn so schön ver¬
mittelten und erleichterten Verkehr der beiden Nachbarvölker wieder
zu erschweren. Eine königl. prcuß. Eabinetsordre vom 21. Juni be¬
stimmt nämlich, daß das von Belgien eingehende Eisen, sowohl in


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erhält; vielmehr soll der bisherige Pächter Ballochini wieder von
Neuem einrücken. Traurig genug! Ferner ist Deinhardstein's Mote-
sens keineswegs so erfolglos ausgefallen, daß er blos drei Mal gege¬
ben wurde. Dieses Lustspiel hat große Vorzüge, wenn auch der
Plan nicht zu den neuen Erfindungen zahlt. Es ist ein Ausfluß
der Reaction, die in neuerer Zeit in ganz Oesterreich gegen das übel-
bestellte Beamtenwesen sich manifestirt. Es ist bemerkenswert!), daß
Halm und Deinhardstein, beide Regierungsrathe! in ihren zwei besten
Productionen einen Anlauf zum politischen Drama genommen haben.
Der „Sampiero" wie der „Motesens" haben eine bestimmte.poli¬
tische Je-ce zu Grunde liegen, die, wenn sie unter andern Censürver-
hältnissen ihre Ausführung erhalten hätte, mit scharfen Spitzen ihr
Ziel getroffen haben würde. Der Wille war gut — aber das Fleisch
ist schwach, oder vielmehr es mußte geschwächt werden, die Spitzen
mußten schüchtern in allgemeine, censurfähige Andeutungen abgestumpft
werden, und der politische Mutter-Gedanke wird nur von dem Kriti¬
ker, nicht aber vom Publicum entdeckt. Um so eher ist es hier die
Pflicht des Erstem, auf die Intention des Dichters aufmerksam zu
machen, da es für die geistigen Richtungen, die in Oesterreich in
letzterer Zeit sich ankündigen, charakteristisch ist, daß zwei höhere
Staatsbeamte, wovon der eine Neffe des Bundestagspräsidenten und
der andere beeideter Censor ist, innerlich zu Ideen und Stoffen ge¬
trieben werden, in denen alle die modernen Elemente leben und we¬
ben, die mit ihrer äußern Stellung im Widerspruche sind.


G. -
II.
Ans Berlin.
i.

Der Zollverein und Belgien. — Schlägst Du meinen Juden > so schlag ich
Deinen Juden. — Cartel zwischen Preußen und Luxemburg. — Herr d e Bloch-
hausen. — Der Nationalverein und die Censur. — Russische Zügel
in Deutschland.

Die „Grenzboten", ihrer anfänglichen Bestimmung nach deut¬
sche Boten von den uns entfremdeten vlaemischen' Brüdern jenseits
der Grenze, haben zunächst wohl noch die Pflicht, Acte zu nehmen
von dem, was an dieser Grenze sich ereignet, und so müssen sie
denn auch mit Bedauern berichten, daß der deutsche Zollverein sich
veranlaßt gesehen, an jener Grenze einen neuen Schlagbaum zu er¬
richten und den durch die rheinisch-belgische Eisenbahn so schön ver¬
mittelten und erleichterten Verkehr der beiden Nachbarvölker wieder
zu erschweren. Eine königl. prcuß. Eabinetsordre vom 21. Juni be¬
stimmt nämlich, daß das von Belgien eingehende Eisen, sowohl in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/235>, abgerufen am 22.12.2024.