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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Emil Devrient spielt jetzt bei Carl im Theater an der Wien mit
ungeheuerem Beifall. Es erklärt sich jetzt, warum dieser vortreffliche
Künstler am Burgtheater nicht so durchgegriffen hat, als zu erwarten
stand. Emil Devrient ist einer jener Schauspieler, die glänzender al¬
lein, als im Ensemble sich bewegen. Durch einen großen Theil des
Jahres auf Gastrollen reisend, bildete sich bei ihm jene Art von Dar¬
stellung aus, wie in den Porträten von Van Dyk, wo der Hinter¬
grund ein dunkler bleibt, damit das ganze Licht auf die Haupttheile
des Körpers fällt. -Emil Devrient ist gewöhnt, sich selbst als den
Mittelpunkt eines ganzen Abends zu betrachten, und er hat dazu alle
Gaben der Natur und alle Resultate langer Studien. Aber an einer
guten Bühne, wie am l'KviUre Siam^-us und am Hofburgtheater
verlangt man noch eine dritte untergeordnete, aber nöthige Eigenschaft,
nämlich Selbstverläugnung. Der beste Schauspieler darf da nicht
mehr als eine Ziffer in der Mitte anderer Ziffern sein, zusammen erst
soll eine Summe daraus werden. Wäre Devrient Mitglied unseres
Burgtheaters, so würde er in den ersten vierzehn Tagen seine Stel¬
lung und die Traditionen dieses Theaters erfaßt haben und dann vom
Publicum um so mehr verstanden werden. Im Theater an der Wien,
wo das Publicum kein Ensemble erwartet, sondern alle Aufmerksam¬
keit den Qualitäten des einzelnen Schauspielers zuwendet, da ist De¬
vrient die vollkommene Anerkennung geworden, die ihm gebührt. --
Baison, der im Durchschnitte an Emil Devrient sich herangebildet
hat, kam bei seinem Gastspiele der Umstand zu Gute, daß das Pu¬
blicum mit geringeren Ansprüchen in's Theater ging und mehr fand,
als es suchte; obgleich zwischen ihm und Devrient noch viel Baum¬
wolle zu legen ist. Der Schauspieler Marr geht vom Burgtheater
ab, um bei dem neuen Theater in Leipzig einen Platz einzunehmen.
Es ist dies ein ziemlich seltener Fall, der aber bei einem strebsamen
Schauspieler leicht zu erklären ist. Marr hat hier nicht das Rollen¬
fach und allmälig auch nicht die Laune gefunden, um die Gunst des
Publicums sich zu erwerben. Er war ein unbeliebtes Mitglied, und
es gereicht ihm zur Ehre, daß er lieber seine Stelle aufgegeben hat,
als länger in dieser Situation zu verharren. Sein Contract lautete
auf neun Jahre. Er war von Deinhardstein engagirt worden; Herr
von Holbein hatte jedoch Schwierigkeiten gemacht, als nach den con-
tractmäßigen ersten zwei Jahren das Anstellungsdecret dem Kaiser zur
Unterschrift hätte vorgelegt werden sollen. Ein Prozeß, der sicherlich
zu Gunsten Marr's ausgefallen wäre, stand in Aussicht; es wurde
jedoch der Mittelweg eingeschlagen, daß Marr vom Burgtheater ab¬
geht und dafür eine Entschädigung von VWV Gulden C. M. erhalt.
-- Weil ich gerade von Theaterdingen spreche, so muß ich zwei
Angaben eines Ihrer Korrespondenten berichtigen. Es ist keineswegs
entschieden, daß Herr Pokorny die Direktion des Kärthnerthor-Theaters


Emil Devrient spielt jetzt bei Carl im Theater an der Wien mit
ungeheuerem Beifall. Es erklärt sich jetzt, warum dieser vortreffliche
Künstler am Burgtheater nicht so durchgegriffen hat, als zu erwarten
stand. Emil Devrient ist einer jener Schauspieler, die glänzender al¬
lein, als im Ensemble sich bewegen. Durch einen großen Theil des
Jahres auf Gastrollen reisend, bildete sich bei ihm jene Art von Dar¬
stellung aus, wie in den Porträten von Van Dyk, wo der Hinter¬
grund ein dunkler bleibt, damit das ganze Licht auf die Haupttheile
des Körpers fällt. -Emil Devrient ist gewöhnt, sich selbst als den
Mittelpunkt eines ganzen Abends zu betrachten, und er hat dazu alle
Gaben der Natur und alle Resultate langer Studien. Aber an einer
guten Bühne, wie am l'KviUre Siam^-us und am Hofburgtheater
verlangt man noch eine dritte untergeordnete, aber nöthige Eigenschaft,
nämlich Selbstverläugnung. Der beste Schauspieler darf da nicht
mehr als eine Ziffer in der Mitte anderer Ziffern sein, zusammen erst
soll eine Summe daraus werden. Wäre Devrient Mitglied unseres
Burgtheaters, so würde er in den ersten vierzehn Tagen seine Stel¬
lung und die Traditionen dieses Theaters erfaßt haben und dann vom
Publicum um so mehr verstanden werden. Im Theater an der Wien,
wo das Publicum kein Ensemble erwartet, sondern alle Aufmerksam¬
keit den Qualitäten des einzelnen Schauspielers zuwendet, da ist De¬
vrient die vollkommene Anerkennung geworden, die ihm gebührt. —
Baison, der im Durchschnitte an Emil Devrient sich herangebildet
hat, kam bei seinem Gastspiele der Umstand zu Gute, daß das Pu¬
blicum mit geringeren Ansprüchen in's Theater ging und mehr fand,
als es suchte; obgleich zwischen ihm und Devrient noch viel Baum¬
wolle zu legen ist. Der Schauspieler Marr geht vom Burgtheater
ab, um bei dem neuen Theater in Leipzig einen Platz einzunehmen.
Es ist dies ein ziemlich seltener Fall, der aber bei einem strebsamen
Schauspieler leicht zu erklären ist. Marr hat hier nicht das Rollen¬
fach und allmälig auch nicht die Laune gefunden, um die Gunst des
Publicums sich zu erwerben. Er war ein unbeliebtes Mitglied, und
es gereicht ihm zur Ehre, daß er lieber seine Stelle aufgegeben hat,
als länger in dieser Situation zu verharren. Sein Contract lautete
auf neun Jahre. Er war von Deinhardstein engagirt worden; Herr
von Holbein hatte jedoch Schwierigkeiten gemacht, als nach den con-
tractmäßigen ersten zwei Jahren das Anstellungsdecret dem Kaiser zur
Unterschrift hätte vorgelegt werden sollen. Ein Prozeß, der sicherlich
zu Gunsten Marr's ausgefallen wäre, stand in Aussicht; es wurde
jedoch der Mittelweg eingeschlagen, daß Marr vom Burgtheater ab¬
geht und dafür eine Entschädigung von VWV Gulden C. M. erhalt.
— Weil ich gerade von Theaterdingen spreche, so muß ich zwei
Angaben eines Ihrer Korrespondenten berichtigen. Es ist keineswegs
entschieden, daß Herr Pokorny die Direktion des Kärthnerthor-Theaters


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[0234] Emil Devrient spielt jetzt bei Carl im Theater an der Wien mit ungeheuerem Beifall. Es erklärt sich jetzt, warum dieser vortreffliche Künstler am Burgtheater nicht so durchgegriffen hat, als zu erwarten stand. Emil Devrient ist einer jener Schauspieler, die glänzender al¬ lein, als im Ensemble sich bewegen. Durch einen großen Theil des Jahres auf Gastrollen reisend, bildete sich bei ihm jene Art von Dar¬ stellung aus, wie in den Porträten von Van Dyk, wo der Hinter¬ grund ein dunkler bleibt, damit das ganze Licht auf die Haupttheile des Körpers fällt. -Emil Devrient ist gewöhnt, sich selbst als den Mittelpunkt eines ganzen Abends zu betrachten, und er hat dazu alle Gaben der Natur und alle Resultate langer Studien. Aber an einer guten Bühne, wie am l'KviUre Siam^-us und am Hofburgtheater verlangt man noch eine dritte untergeordnete, aber nöthige Eigenschaft, nämlich Selbstverläugnung. Der beste Schauspieler darf da nicht mehr als eine Ziffer in der Mitte anderer Ziffern sein, zusammen erst soll eine Summe daraus werden. Wäre Devrient Mitglied unseres Burgtheaters, so würde er in den ersten vierzehn Tagen seine Stel¬ lung und die Traditionen dieses Theaters erfaßt haben und dann vom Publicum um so mehr verstanden werden. Im Theater an der Wien, wo das Publicum kein Ensemble erwartet, sondern alle Aufmerksam¬ keit den Qualitäten des einzelnen Schauspielers zuwendet, da ist De¬ vrient die vollkommene Anerkennung geworden, die ihm gebührt. — Baison, der im Durchschnitte an Emil Devrient sich herangebildet hat, kam bei seinem Gastspiele der Umstand zu Gute, daß das Pu¬ blicum mit geringeren Ansprüchen in's Theater ging und mehr fand, als es suchte; obgleich zwischen ihm und Devrient noch viel Baum¬ wolle zu legen ist. Der Schauspieler Marr geht vom Burgtheater ab, um bei dem neuen Theater in Leipzig einen Platz einzunehmen. Es ist dies ein ziemlich seltener Fall, der aber bei einem strebsamen Schauspieler leicht zu erklären ist. Marr hat hier nicht das Rollen¬ fach und allmälig auch nicht die Laune gefunden, um die Gunst des Publicums sich zu erwerben. Er war ein unbeliebtes Mitglied, und es gereicht ihm zur Ehre, daß er lieber seine Stelle aufgegeben hat, als länger in dieser Situation zu verharren. Sein Contract lautete auf neun Jahre. Er war von Deinhardstein engagirt worden; Herr von Holbein hatte jedoch Schwierigkeiten gemacht, als nach den con- tractmäßigen ersten zwei Jahren das Anstellungsdecret dem Kaiser zur Unterschrift hätte vorgelegt werden sollen. Ein Prozeß, der sicherlich zu Gunsten Marr's ausgefallen wäre, stand in Aussicht; es wurde jedoch der Mittelweg eingeschlagen, daß Marr vom Burgtheater ab¬ geht und dafür eine Entschädigung von VWV Gulden C. M. erhalt. — Weil ich gerade von Theaterdingen spreche, so muß ich zwei Angaben eines Ihrer Korrespondenten berichtigen. Es ist keineswegs entschieden, daß Herr Pokorny die Direktion des Kärthnerthor-Theaters

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/234>, abgerufen am 23.07.2024.