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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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sten Anbauer! Ja, manche mögen schon drei bis vier Mal den Be¬
sitzer gewechselt haben, und die abgezogenen leben in der größten
Dürftigkeit. --

Diesen Verhältnissen glaube ich zumeist die so sehr überHand
nehmende Noth und theilweise Verschlechterung im Gebirge zuschrei-
ben zu müssen, und nur so ist es erklärlich, daß urplötzlich das all¬
gemeine Mitleid nach langem gänzlichen Jgnoriren sich hierher ge¬
richtet hat. Bisher war man gewöhnt, das nur allmälig mehr und
mehr um sich greifende Elend der Weber als das gewöhnliche Loos
ihres ardens- und entbehrungsreichen Lebens zu betrachten. Und bei
verjährten Uebeln -- mögen wir es uns nur gestehen -- sind wir
Deutschen viel zu bedächtig, Um schnell Hand an'ö Werk zu legen.
Gewöhnlich stört es die Bequemlichkeit; und dann ist es ja lange
genug so gegangen, warum sollte es nicht noch länger so bleiben kön¬
nen? -- Anders aber war es, als man, wenn auch nicht zur Ein¬
sicht der Veranlassung, doch zu der kam, daß man hier mit einer
anderen, schrecklicheren Noth zu thun habe. Da zeigte sich das deut¬
sche Gemüth in seiner Reinheit wieder, und Jeder opferte gern sein
Scherflein für die nothleidenden Brüder, auch wenn er die ^Geheim¬
nisse von Paris" nicht gelesen. Leider aber dürften diese Gaben, so
reich sie auch ausfallen, kaum mehr wie Palliativ wirken, und der
kurze, in das Leben der Armen hineinfallende Sonnenblick die dar¬
auf folgende Finsterniß noch düsterer machen, wenn nicht gründlichere
Wege eingeschlagen werden. Welche dazu am geeignetsten sein mö¬
gen, wird die Regierung hoffentlich bald ausfinden; doch will ich
auf einen, der mir leicht ausführbar dünkt, hinzuweisen mir erlauben.

Es ist viel für und wider das Dismembriren gesprochen wor¬
den; es mag auch dem Staate in mancher Beziehung wünschens-
werth sein, große, reiche Grundbesitzer, doch noch wichtiger muß es
ihm sein, wenig Nothleidende zu haben. Dies kann nur durch Zer¬
theilen großer Güter in ganz kleine Parzellen und dadurch bewirk¬
ten größeren Ertrag des Bodens ermöglicht werden. Hat erst leder
Weber, nach Verhältniß seiner Familie, einen halben oder ganzen
Morgen guten tragbaren Ackers, dann baut er seine Kartoffeln und
Gemüse mit leichter Mühe selbst, und für die wesentlichsten Bedürf¬
nisse wäre dann gesorgt. Das Uebrige müßte, wie immer, von dem


sten Anbauer! Ja, manche mögen schon drei bis vier Mal den Be¬
sitzer gewechselt haben, und die abgezogenen leben in der größten
Dürftigkeit. —

Diesen Verhältnissen glaube ich zumeist die so sehr überHand
nehmende Noth und theilweise Verschlechterung im Gebirge zuschrei-
ben zu müssen, und nur so ist es erklärlich, daß urplötzlich das all¬
gemeine Mitleid nach langem gänzlichen Jgnoriren sich hierher ge¬
richtet hat. Bisher war man gewöhnt, das nur allmälig mehr und
mehr um sich greifende Elend der Weber als das gewöhnliche Loos
ihres ardens- und entbehrungsreichen Lebens zu betrachten. Und bei
verjährten Uebeln — mögen wir es uns nur gestehen — sind wir
Deutschen viel zu bedächtig, Um schnell Hand an'ö Werk zu legen.
Gewöhnlich stört es die Bequemlichkeit; und dann ist es ja lange
genug so gegangen, warum sollte es nicht noch länger so bleiben kön¬
nen? — Anders aber war es, als man, wenn auch nicht zur Ein¬
sicht der Veranlassung, doch zu der kam, daß man hier mit einer
anderen, schrecklicheren Noth zu thun habe. Da zeigte sich das deut¬
sche Gemüth in seiner Reinheit wieder, und Jeder opferte gern sein
Scherflein für die nothleidenden Brüder, auch wenn er die ^Geheim¬
nisse von Paris" nicht gelesen. Leider aber dürften diese Gaben, so
reich sie auch ausfallen, kaum mehr wie Palliativ wirken, und der
kurze, in das Leben der Armen hineinfallende Sonnenblick die dar¬
auf folgende Finsterniß noch düsterer machen, wenn nicht gründlichere
Wege eingeschlagen werden. Welche dazu am geeignetsten sein mö¬
gen, wird die Regierung hoffentlich bald ausfinden; doch will ich
auf einen, der mir leicht ausführbar dünkt, hinzuweisen mir erlauben.

Es ist viel für und wider das Dismembriren gesprochen wor¬
den; es mag auch dem Staate in mancher Beziehung wünschens-
werth sein, große, reiche Grundbesitzer, doch noch wichtiger muß es
ihm sein, wenig Nothleidende zu haben. Dies kann nur durch Zer¬
theilen großer Güter in ganz kleine Parzellen und dadurch bewirk¬
ten größeren Ertrag des Bodens ermöglicht werden. Hat erst leder
Weber, nach Verhältniß seiner Familie, einen halben oder ganzen
Morgen guten tragbaren Ackers, dann baut er seine Kartoffeln und
Gemüse mit leichter Mühe selbst, und für die wesentlichsten Bedürf¬
nisse wäre dann gesorgt. Das Uebrige müßte, wie immer, von dem


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[0230] sten Anbauer! Ja, manche mögen schon drei bis vier Mal den Be¬ sitzer gewechselt haben, und die abgezogenen leben in der größten Dürftigkeit. — Diesen Verhältnissen glaube ich zumeist die so sehr überHand nehmende Noth und theilweise Verschlechterung im Gebirge zuschrei- ben zu müssen, und nur so ist es erklärlich, daß urplötzlich das all¬ gemeine Mitleid nach langem gänzlichen Jgnoriren sich hierher ge¬ richtet hat. Bisher war man gewöhnt, das nur allmälig mehr und mehr um sich greifende Elend der Weber als das gewöhnliche Loos ihres ardens- und entbehrungsreichen Lebens zu betrachten. Und bei verjährten Uebeln — mögen wir es uns nur gestehen — sind wir Deutschen viel zu bedächtig, Um schnell Hand an'ö Werk zu legen. Gewöhnlich stört es die Bequemlichkeit; und dann ist es ja lange genug so gegangen, warum sollte es nicht noch länger so bleiben kön¬ nen? — Anders aber war es, als man, wenn auch nicht zur Ein¬ sicht der Veranlassung, doch zu der kam, daß man hier mit einer anderen, schrecklicheren Noth zu thun habe. Da zeigte sich das deut¬ sche Gemüth in seiner Reinheit wieder, und Jeder opferte gern sein Scherflein für die nothleidenden Brüder, auch wenn er die ^Geheim¬ nisse von Paris" nicht gelesen. Leider aber dürften diese Gaben, so reich sie auch ausfallen, kaum mehr wie Palliativ wirken, und der kurze, in das Leben der Armen hineinfallende Sonnenblick die dar¬ auf folgende Finsterniß noch düsterer machen, wenn nicht gründlichere Wege eingeschlagen werden. Welche dazu am geeignetsten sein mö¬ gen, wird die Regierung hoffentlich bald ausfinden; doch will ich auf einen, der mir leicht ausführbar dünkt, hinzuweisen mir erlauben. Es ist viel für und wider das Dismembriren gesprochen wor¬ den; es mag auch dem Staate in mancher Beziehung wünschens- werth sein, große, reiche Grundbesitzer, doch noch wichtiger muß es ihm sein, wenig Nothleidende zu haben. Dies kann nur durch Zer¬ theilen großer Güter in ganz kleine Parzellen und dadurch bewirk¬ ten größeren Ertrag des Bodens ermöglicht werden. Hat erst leder Weber, nach Verhältniß seiner Familie, einen halben oder ganzen Morgen guten tragbaren Ackers, dann baut er seine Kartoffeln und Gemüse mit leichter Mühe selbst, und für die wesentlichsten Bedürf¬ nisse wäre dann gesorgt. Das Uebrige müßte, wie immer, von dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/230>, abgerufen am 23.07.2024.