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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Erecutivnsgebühren, öffentlich verkauft wurde. Wenn sich zwar auch,
was freilich nicht immer der Fall, -- zuweilen wurden dergleichen
Stellen auf Subhastativnswege für wenige Thaler erstanden! -- ein
ziemlicher Käufer fand, für den ersten Anbauer hatte dieses gar kei¬
nen Nutzen. Für's Erste hatte die Gutsherrschaft zumeist zehn Pro¬
cent von jedem Verkauf für sich vorbehalten; dann waren aber auch
Kosten entstanden, und das Gericht machte sich und den Gerichts¬
herrn vor allen Andern bezahlt, und der frühere Besitzer ging ganz
leer, oft noch mit Schulden belastet aus. Ein solcher, um alle seine
Ersparnisse und um den Lohn mehrjähriger, sehr schwerer Arbeit ge¬
kommener Mann aber ist, wie leicht einzusehen, durch und durch
ruinirt, und für ihn fast keine Möglichkeit mehr vorhanden, je wie¬
der auf einen grünen Zweig zu kommen.

Diese trostlose Gewißheit hatte oft zur Folge, daß der von
Hause aus fleißige, nüchterne Arbeiter, der sehr genügsam bei seinen
spärlich zugezählten Kartoffeln mit stark gewässerter Buttermilch gelebt,
plötzlich faul und liederlich wurde. Daß bei Vielen, die schon gleich
von vornherein mit einem gewissen Leichtsinn in den Hausstand, der
ihnen so gar leicht vorgemalt war, traten, diese Metamorphose noch
schneller vorkam, wird Jeder natürlich finden; um so mehr, als auch
im Gebirge die Schulbildung sehr vernachlässigt ist, und jeder halb¬
wüchsige Bursche auch gewöhnlich schon sein "Mädel" hat, was zu¬
meist dem steten Zusammenleben und Arbeiten in engen Räumen zu¬
zuschreiben sein mag. Auch ist der Mangel an Schulunterricht in den
localen und Familienverhältnissen zu suchen, und kann der sehr sorg¬
fältigen Regierung hierbei gewiß Nichts zur Last gelegt werden. Die
Schulen sind wohl nirgends besser organisirt, als in Preußen, den¬
noch haben mehrere Gebirgsdörfer, namentlich in den neuen Colo-
nien, zusammen nur Einen Schullehrer. So ist es manchmal beim
besten Willen durch den ganzen Winter den Eltern nicht möglich, die
Kinder in die Schule zu schicken, da sie dieselben ohnedies zu Hause bei
der Arbeit brauchen. Es ist nämlich nichts Seltenes hier, Kinder
von sechs Jahren schon mit Spulen beschäftigt und überhaupt an¬
strengend zur Arbeit angehalten zu sehen. Ob ich hier die Wahr¬
heit gesagt, dürfte bald an Ort und Stelle in den neuen Kolonien zu
erkennen sein. Wie wenig Häuser befinden sich da im Besitz der er-


Erecutivnsgebühren, öffentlich verkauft wurde. Wenn sich zwar auch,
was freilich nicht immer der Fall, — zuweilen wurden dergleichen
Stellen auf Subhastativnswege für wenige Thaler erstanden! — ein
ziemlicher Käufer fand, für den ersten Anbauer hatte dieses gar kei¬
nen Nutzen. Für's Erste hatte die Gutsherrschaft zumeist zehn Pro¬
cent von jedem Verkauf für sich vorbehalten; dann waren aber auch
Kosten entstanden, und das Gericht machte sich und den Gerichts¬
herrn vor allen Andern bezahlt, und der frühere Besitzer ging ganz
leer, oft noch mit Schulden belastet aus. Ein solcher, um alle seine
Ersparnisse und um den Lohn mehrjähriger, sehr schwerer Arbeit ge¬
kommener Mann aber ist, wie leicht einzusehen, durch und durch
ruinirt, und für ihn fast keine Möglichkeit mehr vorhanden, je wie¬
der auf einen grünen Zweig zu kommen.

Diese trostlose Gewißheit hatte oft zur Folge, daß der von
Hause aus fleißige, nüchterne Arbeiter, der sehr genügsam bei seinen
spärlich zugezählten Kartoffeln mit stark gewässerter Buttermilch gelebt,
plötzlich faul und liederlich wurde. Daß bei Vielen, die schon gleich
von vornherein mit einem gewissen Leichtsinn in den Hausstand, der
ihnen so gar leicht vorgemalt war, traten, diese Metamorphose noch
schneller vorkam, wird Jeder natürlich finden; um so mehr, als auch
im Gebirge die Schulbildung sehr vernachlässigt ist, und jeder halb¬
wüchsige Bursche auch gewöhnlich schon sein „Mädel" hat, was zu¬
meist dem steten Zusammenleben und Arbeiten in engen Räumen zu¬
zuschreiben sein mag. Auch ist der Mangel an Schulunterricht in den
localen und Familienverhältnissen zu suchen, und kann der sehr sorg¬
fältigen Regierung hierbei gewiß Nichts zur Last gelegt werden. Die
Schulen sind wohl nirgends besser organisirt, als in Preußen, den¬
noch haben mehrere Gebirgsdörfer, namentlich in den neuen Colo-
nien, zusammen nur Einen Schullehrer. So ist es manchmal beim
besten Willen durch den ganzen Winter den Eltern nicht möglich, die
Kinder in die Schule zu schicken, da sie dieselben ohnedies zu Hause bei
der Arbeit brauchen. Es ist nämlich nichts Seltenes hier, Kinder
von sechs Jahren schon mit Spulen beschäftigt und überhaupt an¬
strengend zur Arbeit angehalten zu sehen. Ob ich hier die Wahr¬
heit gesagt, dürfte bald an Ort und Stelle in den neuen Kolonien zu
erkennen sein. Wie wenig Häuser befinden sich da im Besitz der er-


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[0229] Erecutivnsgebühren, öffentlich verkauft wurde. Wenn sich zwar auch, was freilich nicht immer der Fall, — zuweilen wurden dergleichen Stellen auf Subhastativnswege für wenige Thaler erstanden! — ein ziemlicher Käufer fand, für den ersten Anbauer hatte dieses gar kei¬ nen Nutzen. Für's Erste hatte die Gutsherrschaft zumeist zehn Pro¬ cent von jedem Verkauf für sich vorbehalten; dann waren aber auch Kosten entstanden, und das Gericht machte sich und den Gerichts¬ herrn vor allen Andern bezahlt, und der frühere Besitzer ging ganz leer, oft noch mit Schulden belastet aus. Ein solcher, um alle seine Ersparnisse und um den Lohn mehrjähriger, sehr schwerer Arbeit ge¬ kommener Mann aber ist, wie leicht einzusehen, durch und durch ruinirt, und für ihn fast keine Möglichkeit mehr vorhanden, je wie¬ der auf einen grünen Zweig zu kommen. Diese trostlose Gewißheit hatte oft zur Folge, daß der von Hause aus fleißige, nüchterne Arbeiter, der sehr genügsam bei seinen spärlich zugezählten Kartoffeln mit stark gewässerter Buttermilch gelebt, plötzlich faul und liederlich wurde. Daß bei Vielen, die schon gleich von vornherein mit einem gewissen Leichtsinn in den Hausstand, der ihnen so gar leicht vorgemalt war, traten, diese Metamorphose noch schneller vorkam, wird Jeder natürlich finden; um so mehr, als auch im Gebirge die Schulbildung sehr vernachlässigt ist, und jeder halb¬ wüchsige Bursche auch gewöhnlich schon sein „Mädel" hat, was zu¬ meist dem steten Zusammenleben und Arbeiten in engen Räumen zu¬ zuschreiben sein mag. Auch ist der Mangel an Schulunterricht in den localen und Familienverhältnissen zu suchen, und kann der sehr sorg¬ fältigen Regierung hierbei gewiß Nichts zur Last gelegt werden. Die Schulen sind wohl nirgends besser organisirt, als in Preußen, den¬ noch haben mehrere Gebirgsdörfer, namentlich in den neuen Colo- nien, zusammen nur Einen Schullehrer. So ist es manchmal beim besten Willen durch den ganzen Winter den Eltern nicht möglich, die Kinder in die Schule zu schicken, da sie dieselben ohnedies zu Hause bei der Arbeit brauchen. Es ist nämlich nichts Seltenes hier, Kinder von sechs Jahren schon mit Spulen beschäftigt und überhaupt an¬ strengend zur Arbeit angehalten zu sehen. Ob ich hier die Wahr¬ heit gesagt, dürfte bald an Ort und Stelle in den neuen Kolonien zu erkennen sein. Wie wenig Häuser befinden sich da im Besitz der er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/229>, abgerufen am 23.12.2024.