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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Die schleichen Weber und ihre Noth



Die Stimmen über den Wcberaufstand. -- Schuld der Presse. -- Welp und
die Juden. -- Milde Beiträge und Steuern, ein Gerücht. -- Das Colonisi-
ren. -- Der Schulunterricht. -- Borschläge. ^ Dismcmbration der Güter.

Der Weberausstand ist beigelegt, oder vielmehr niedergeschlagen.
Von den verschiedensten Seiten sind darüber Stimmen laut geworden,
büreaukratische, wie journalistische, industrielle und Proletarierstimmen;
sie mögen es meistens redlich gemeint haben, aber wie den Einen
die Sachkunde, so fehlt den Andern die Ruhe und die Unbefangen¬
heit, um die Wirren und ihre letzten Gründe mit klarem Blick durch¬
schauen zu können. Das Volk selbst, das den drückenden Schuh am
besten fühlt, ist wie gewöhnlich stumm und scheint bis jetzt noch nicht
den berufenen Sprecher gefunden zu haben. Leider erwacht die Be¬
redsamkeit deö Volkes erst, wenn das Uebel den Gipfel erreicht hat;
es ist dann freilich eine sehr wirksame Beredsamkeit, -- man kann
sie weithin hören -- aber sie besteht eben nur in unarticulirtem Weh-
und Wuthgeschrei, das den lang verhaltenen Schmerz in kurzen Stößen
über die Welt ausschüttet, Schrecken, aber kein Licht verbreitet; sie ist
nur ein Hilferuf aus blinder Nacht, der erst zum Fragen, Suchen
und Reden auffordert. Ohne mich für den berufenen Sprecher hal¬
ten zu wollen, glaube ich doch wenigstens Einiges zur Lösung der
schwierigen Frage beitragen zu können. Meine Befähigung dazu kann
und will ich durch nichts Weiteres darthun, als durch meinen frühe¬
ren langjährigen Aufenthalt in Schlesien, namentlich auf dem Schau-
Platze der letzten Aufstände, und durch spätere, oft wiederholte Reisen
nach allen Theilen dieser Provinz , wo ich durch meine eigenen An¬
gelegenheiten oft in unmittelbare Berührung mit dem Volke, und
besonders mit den arbeitenden Classen, kam. Gerade der aufmerk¬
same Reisende kann seine Unbefangenheit am ehesten behaupten, und


Grenzboten 1844. II. 28
Die schleichen Weber und ihre Noth



Die Stimmen über den Wcberaufstand. — Schuld der Presse. — Welp und
die Juden. — Milde Beiträge und Steuern, ein Gerücht. — Das Colonisi-
ren. — Der Schulunterricht. — Borschläge. ^ Dismcmbration der Güter.

Der Weberausstand ist beigelegt, oder vielmehr niedergeschlagen.
Von den verschiedensten Seiten sind darüber Stimmen laut geworden,
büreaukratische, wie journalistische, industrielle und Proletarierstimmen;
sie mögen es meistens redlich gemeint haben, aber wie den Einen
die Sachkunde, so fehlt den Andern die Ruhe und die Unbefangen¬
heit, um die Wirren und ihre letzten Gründe mit klarem Blick durch¬
schauen zu können. Das Volk selbst, das den drückenden Schuh am
besten fühlt, ist wie gewöhnlich stumm und scheint bis jetzt noch nicht
den berufenen Sprecher gefunden zu haben. Leider erwacht die Be¬
redsamkeit deö Volkes erst, wenn das Uebel den Gipfel erreicht hat;
es ist dann freilich eine sehr wirksame Beredsamkeit, — man kann
sie weithin hören — aber sie besteht eben nur in unarticulirtem Weh-
und Wuthgeschrei, das den lang verhaltenen Schmerz in kurzen Stößen
über die Welt ausschüttet, Schrecken, aber kein Licht verbreitet; sie ist
nur ein Hilferuf aus blinder Nacht, der erst zum Fragen, Suchen
und Reden auffordert. Ohne mich für den berufenen Sprecher hal¬
ten zu wollen, glaube ich doch wenigstens Einiges zur Lösung der
schwierigen Frage beitragen zu können. Meine Befähigung dazu kann
und will ich durch nichts Weiteres darthun, als durch meinen frühe¬
ren langjährigen Aufenthalt in Schlesien, namentlich auf dem Schau-
Platze der letzten Aufstände, und durch spätere, oft wiederholte Reisen
nach allen Theilen dieser Provinz , wo ich durch meine eigenen An¬
gelegenheiten oft in unmittelbare Berührung mit dem Volke, und
besonders mit den arbeitenden Classen, kam. Gerade der aufmerk¬
same Reisende kann seine Unbefangenheit am ehesten behaupten, und


Grenzboten 1844. II. 28
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[0225] Die schleichen Weber und ihre Noth Die Stimmen über den Wcberaufstand. — Schuld der Presse. — Welp und die Juden. — Milde Beiträge und Steuern, ein Gerücht. — Das Colonisi- ren. — Der Schulunterricht. — Borschläge. ^ Dismcmbration der Güter. Der Weberausstand ist beigelegt, oder vielmehr niedergeschlagen. Von den verschiedensten Seiten sind darüber Stimmen laut geworden, büreaukratische, wie journalistische, industrielle und Proletarierstimmen; sie mögen es meistens redlich gemeint haben, aber wie den Einen die Sachkunde, so fehlt den Andern die Ruhe und die Unbefangen¬ heit, um die Wirren und ihre letzten Gründe mit klarem Blick durch¬ schauen zu können. Das Volk selbst, das den drückenden Schuh am besten fühlt, ist wie gewöhnlich stumm und scheint bis jetzt noch nicht den berufenen Sprecher gefunden zu haben. Leider erwacht die Be¬ redsamkeit deö Volkes erst, wenn das Uebel den Gipfel erreicht hat; es ist dann freilich eine sehr wirksame Beredsamkeit, — man kann sie weithin hören — aber sie besteht eben nur in unarticulirtem Weh- und Wuthgeschrei, das den lang verhaltenen Schmerz in kurzen Stößen über die Welt ausschüttet, Schrecken, aber kein Licht verbreitet; sie ist nur ein Hilferuf aus blinder Nacht, der erst zum Fragen, Suchen und Reden auffordert. Ohne mich für den berufenen Sprecher hal¬ ten zu wollen, glaube ich doch wenigstens Einiges zur Lösung der schwierigen Frage beitragen zu können. Meine Befähigung dazu kann und will ich durch nichts Weiteres darthun, als durch meinen frühe¬ ren langjährigen Aufenthalt in Schlesien, namentlich auf dem Schau- Platze der letzten Aufstände, und durch spätere, oft wiederholte Reisen nach allen Theilen dieser Provinz , wo ich durch meine eigenen An¬ gelegenheiten oft in unmittelbare Berührung mit dem Volke, und besonders mit den arbeitenden Classen, kam. Gerade der aufmerk¬ same Reisende kann seine Unbefangenheit am ehesten behaupten, und Grenzboten 1844. II. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/225>, abgerufen am 22.12.2024.