Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

digste, was müssen wir Andern aber erst für satanische Sansculotten
sein, wenn die friedfertigen Männer von Augsburg schon Revolutio¬
näre heißen! --

Der allmälige Uebergang unserer Journale zu nationalen Prin¬
cipien und schließlich das entschiedene Ergreifen derselben hatte übri¬
gens auch in äußeren Begebenheiten Anstoß und mächtigen Hebel
gefunden, wodurch sich nachgerade eine innige Wechselwirkung zwi¬
schen der Presse und den Vorgängen der Wirklichkeit vorzugs¬
weise ausbildete. In diesem Sinne führen wir zuvörderst an: die
Sprachkämpfe zu Gunsten des deutschen Elements im
Westen und Norden Deutschlands. -- Durch politische Machinationen
war uns schon seit Jahrhunderten unser Meer, die Nordsee, ihrem
besten Theile nach entrissen; die Niederlande, statt sich in ihrem ei¬
genen Interesse recht eng an das alte Stammland anzuschließen, zo¬
gen es vor, durch Allianzen mit fremden Staaten ein auf Sand
gebautes, sehr zweideutiges politisches Dasein zu fristen, den deutschen
Handel zu bedrücken und, wie H. Oppenheim sagt, "nach der allge¬
meinen Befreiung wieder ihre alten Gebühren, d. h. ihre Ungebüh-
ren am Rheine anzulegen." Allein im Süden Belgiens hatte seit
den Tagen der wieder errungenen Selbständigkeit der vereinigten Pro¬
vinzen der deutsche Geist sein Haupt wieder erhoben im Gegendruck
gegen die kaum abgestreiften napoleonischen Fesseln. Der alte Stamm
der Vlamingen sollte wunderbares Zeugniß ablegen für die tiefwur¬
zelnde Kraft, mit welcher deutsche Nationalität alle Stammgenossen
durchdrungen hat; denn seit vollen zweihundert Jahren war hier äu¬
ßerlich scheinbar jeglicher Nerv deutschen Wesens abgeschnitten. Der
Funke, welcher anfangs nur verstohlen unter der Asche geglimmt
hatte, brach mit der großen Umwälzung des Jahres 1830 zu einem
kleinen Flämmchen, zu riesigen Flammen aus; Nichts fruchtete eine
diplomatische Lüge des Franzosenthums, mit welcher eS die Gluth zu
löschen wähnte und statt dessen Oel hineingoß; die Vlamingen waren
es allen Ernstes müde, Frankreichs Heloten zu sein und zu bleiben.
"Schüchtern wagte die vlämische Bewegung erst hier und da in ei¬
nen" Artikelchen kleiner Blätter, oder in einen: bescheidenen Versehen
unter den Anzeigen eine Klage, später schlich sie sich in's Feuilleton,
darnach schrieb sie Bücher, endlich sandte sie vierzigtausend Protesta¬
tionen nach der Kammer der Volksvertreter und gab ein Volksfest,


digste, was müssen wir Andern aber erst für satanische Sansculotten
sein, wenn die friedfertigen Männer von Augsburg schon Revolutio¬
näre heißen! —

Der allmälige Uebergang unserer Journale zu nationalen Prin¬
cipien und schließlich das entschiedene Ergreifen derselben hatte übri¬
gens auch in äußeren Begebenheiten Anstoß und mächtigen Hebel
gefunden, wodurch sich nachgerade eine innige Wechselwirkung zwi¬
schen der Presse und den Vorgängen der Wirklichkeit vorzugs¬
weise ausbildete. In diesem Sinne führen wir zuvörderst an: die
Sprachkämpfe zu Gunsten des deutschen Elements im
Westen und Norden Deutschlands. — Durch politische Machinationen
war uns schon seit Jahrhunderten unser Meer, die Nordsee, ihrem
besten Theile nach entrissen; die Niederlande, statt sich in ihrem ei¬
genen Interesse recht eng an das alte Stammland anzuschließen, zo¬
gen es vor, durch Allianzen mit fremden Staaten ein auf Sand
gebautes, sehr zweideutiges politisches Dasein zu fristen, den deutschen
Handel zu bedrücken und, wie H. Oppenheim sagt, „nach der allge¬
meinen Befreiung wieder ihre alten Gebühren, d. h. ihre Ungebüh-
ren am Rheine anzulegen." Allein im Süden Belgiens hatte seit
den Tagen der wieder errungenen Selbständigkeit der vereinigten Pro¬
vinzen der deutsche Geist sein Haupt wieder erhoben im Gegendruck
gegen die kaum abgestreiften napoleonischen Fesseln. Der alte Stamm
der Vlamingen sollte wunderbares Zeugniß ablegen für die tiefwur¬
zelnde Kraft, mit welcher deutsche Nationalität alle Stammgenossen
durchdrungen hat; denn seit vollen zweihundert Jahren war hier äu¬
ßerlich scheinbar jeglicher Nerv deutschen Wesens abgeschnitten. Der
Funke, welcher anfangs nur verstohlen unter der Asche geglimmt
hatte, brach mit der großen Umwälzung des Jahres 1830 zu einem
kleinen Flämmchen, zu riesigen Flammen aus; Nichts fruchtete eine
diplomatische Lüge des Franzosenthums, mit welcher eS die Gluth zu
löschen wähnte und statt dessen Oel hineingoß; die Vlamingen waren
es allen Ernstes müde, Frankreichs Heloten zu sein und zu bleiben.
„Schüchtern wagte die vlämische Bewegung erst hier und da in ei¬
nen» Artikelchen kleiner Blätter, oder in einen: bescheidenen Versehen
unter den Anzeigen eine Klage, später schlich sie sich in's Feuilleton,
darnach schrieb sie Bücher, endlich sandte sie vierzigtausend Protesta¬
tionen nach der Kammer der Volksvertreter und gab ein Volksfest,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180779"/>
          <p xml:id="ID_501" prev="#ID_500"> digste, was müssen wir Andern aber erst für satanische Sansculotten<lb/>
sein, wenn die friedfertigen Männer von Augsburg schon Revolutio¬<lb/>
näre heißen! &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_502" next="#ID_503"> Der allmälige Uebergang unserer Journale zu nationalen Prin¬<lb/>
cipien und schließlich das entschiedene Ergreifen derselben hatte übri¬<lb/>
gens auch in äußeren Begebenheiten Anstoß und mächtigen Hebel<lb/>
gefunden, wodurch sich nachgerade eine innige Wechselwirkung zwi¬<lb/>
schen der Presse und den Vorgängen der Wirklichkeit vorzugs¬<lb/>
weise ausbildete. In diesem Sinne führen wir zuvörderst an: die<lb/>
Sprachkämpfe zu Gunsten des deutschen Elements im<lb/>
Westen und Norden Deutschlands. &#x2014; Durch politische Machinationen<lb/>
war uns schon seit Jahrhunderten unser Meer, die Nordsee, ihrem<lb/>
besten Theile nach entrissen; die Niederlande, statt sich in ihrem ei¬<lb/>
genen Interesse recht eng an das alte Stammland anzuschließen, zo¬<lb/>
gen es vor, durch Allianzen mit fremden Staaten ein auf Sand<lb/>
gebautes, sehr zweideutiges politisches Dasein zu fristen, den deutschen<lb/>
Handel zu bedrücken und, wie H. Oppenheim sagt, &#x201E;nach der allge¬<lb/>
meinen Befreiung wieder ihre alten Gebühren, d. h. ihre Ungebüh-<lb/>
ren am Rheine anzulegen." Allein im Süden Belgiens hatte seit<lb/>
den Tagen der wieder errungenen Selbständigkeit der vereinigten Pro¬<lb/>
vinzen der deutsche Geist sein Haupt wieder erhoben im Gegendruck<lb/>
gegen die kaum abgestreiften napoleonischen Fesseln. Der alte Stamm<lb/>
der Vlamingen sollte wunderbares Zeugniß ablegen für die tiefwur¬<lb/>
zelnde Kraft, mit welcher deutsche Nationalität alle Stammgenossen<lb/>
durchdrungen hat; denn seit vollen zweihundert Jahren war hier äu¬<lb/>
ßerlich scheinbar jeglicher Nerv deutschen Wesens abgeschnitten. Der<lb/>
Funke, welcher anfangs nur verstohlen unter der Asche geglimmt<lb/>
hatte, brach mit der großen Umwälzung des Jahres 1830 zu einem<lb/>
kleinen Flämmchen, zu riesigen Flammen aus; Nichts fruchtete eine<lb/>
diplomatische Lüge des Franzosenthums, mit welcher eS die Gluth zu<lb/>
löschen wähnte und statt dessen Oel hineingoß; die Vlamingen waren<lb/>
es allen Ernstes müde, Frankreichs Heloten zu sein und zu bleiben.<lb/>
&#x201E;Schüchtern wagte die vlämische Bewegung erst hier und da in ei¬<lb/>
nen» Artikelchen kleiner Blätter, oder in einen: bescheidenen Versehen<lb/>
unter den Anzeigen eine Klage, später schlich sie sich in's Feuilleton,<lb/>
darnach schrieb sie Bücher, endlich sandte sie vierzigtausend Protesta¬<lb/>
tionen nach der Kammer der Volksvertreter und gab ein Volksfest,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0220] digste, was müssen wir Andern aber erst für satanische Sansculotten sein, wenn die friedfertigen Männer von Augsburg schon Revolutio¬ näre heißen! — Der allmälige Uebergang unserer Journale zu nationalen Prin¬ cipien und schließlich das entschiedene Ergreifen derselben hatte übri¬ gens auch in äußeren Begebenheiten Anstoß und mächtigen Hebel gefunden, wodurch sich nachgerade eine innige Wechselwirkung zwi¬ schen der Presse und den Vorgängen der Wirklichkeit vorzugs¬ weise ausbildete. In diesem Sinne führen wir zuvörderst an: die Sprachkämpfe zu Gunsten des deutschen Elements im Westen und Norden Deutschlands. — Durch politische Machinationen war uns schon seit Jahrhunderten unser Meer, die Nordsee, ihrem besten Theile nach entrissen; die Niederlande, statt sich in ihrem ei¬ genen Interesse recht eng an das alte Stammland anzuschließen, zo¬ gen es vor, durch Allianzen mit fremden Staaten ein auf Sand gebautes, sehr zweideutiges politisches Dasein zu fristen, den deutschen Handel zu bedrücken und, wie H. Oppenheim sagt, „nach der allge¬ meinen Befreiung wieder ihre alten Gebühren, d. h. ihre Ungebüh- ren am Rheine anzulegen." Allein im Süden Belgiens hatte seit den Tagen der wieder errungenen Selbständigkeit der vereinigten Pro¬ vinzen der deutsche Geist sein Haupt wieder erhoben im Gegendruck gegen die kaum abgestreiften napoleonischen Fesseln. Der alte Stamm der Vlamingen sollte wunderbares Zeugniß ablegen für die tiefwur¬ zelnde Kraft, mit welcher deutsche Nationalität alle Stammgenossen durchdrungen hat; denn seit vollen zweihundert Jahren war hier äu¬ ßerlich scheinbar jeglicher Nerv deutschen Wesens abgeschnitten. Der Funke, welcher anfangs nur verstohlen unter der Asche geglimmt hatte, brach mit der großen Umwälzung des Jahres 1830 zu einem kleinen Flämmchen, zu riesigen Flammen aus; Nichts fruchtete eine diplomatische Lüge des Franzosenthums, mit welcher eS die Gluth zu löschen wähnte und statt dessen Oel hineingoß; die Vlamingen waren es allen Ernstes müde, Frankreichs Heloten zu sein und zu bleiben. „Schüchtern wagte die vlämische Bewegung erst hier und da in ei¬ nen» Artikelchen kleiner Blätter, oder in einen: bescheidenen Versehen unter den Anzeigen eine Klage, später schlich sie sich in's Feuilleton, darnach schrieb sie Bücher, endlich sandte sie vierzigtausend Protesta¬ tionen nach der Kammer der Volksvertreter und gab ein Volksfest,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/220
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/220>, abgerufen am 23.07.2024.