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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Viele Hauptleute lassen diese Inspektionen bei sich übernachten,
und viele, besonders die verheiratheten, wählen sich einen verläßlichen
Mann, der auf beständige Cassa-Inspektion bei ihnen angestellt ist
und daher keine andern Dienste verrichtet. Dieser beständigen Cassa-
Jnspectionen bedienen sich besonders jene Hauptleute, die mit zahl¬
reichen Familien belastet sind, als eines Dienstboten, der ihnen
Nichts kostet. Neuwaller war ledig, aber sein Diener, der ein wahrer
Märtyrer war, hatte natürlich wenig Anhänglichkeit an seinen Herrn,
und er traute ihm daher auch nicht; deswegen mußte auch jederzeit
derjenige Kanonier, der bei ihm auf beständige Cassa-Inspektion
commandirt war, in seinem Quartier übernachten. Nachdem durch
die Abstrafung eines Kanoniers, der bisher diesen Dienst als bestän¬
dige Cassa-Inspection verwaltete, dieser Posten in Erledigung kam,
fiel die Wahl des Hauptmanns auf einen Mann in der Compagnie,
der bereits dreizehn Jahre diente und selbst unter dem Commando
Neuwaller's jeder Strafe entgangen war. Dieser Kanonier, dessen
Namen ich wahrlich vergessen habe, und den ich der Kürze wegen
Klein nennen will, trat seinen Dienst mit größtem Widerwillen,
und wie der damalige Compagnie-Oberlieutenant Preishl selbst er¬
zählte, nur darum an, weil er keine Ursache seiner Weigerung an¬
geben konnte. Er äußerte sich sogleich nach dem Befehlausgeben ge¬
gen seine Kameraden, daß diese Anstellung für ihn unheilbringend
sein werde. Eine kurze Zeit gelang es ihm, allen unbilligen An¬
forderungen Neuwaller's zu genügen; allein durch die Länge der Zeit
wurde der Hauptmann durch die außerordentliche Aufmerksamkeit
Klein's verwöhnt und fing an, denselben auf alle mögliche Weise zu
fetiren. Besonders konnte Klein, wenn ihn die Jour traf, nie genug
zeitig bei der nächtlichen Nachhausekunft des Hauptmanns erschei¬
nen. Ncuwaller, gewöhnlich wie eine Kanone besoffen, artete bei
dem geringsten Verzug auf die roheste Art in Schimpfwörtern und
Drohungen aus, welche letztern er jedoch niemals in Vollzug
setzte; denn wie es gewöhnlich bei Säufern der Fall ist, wissen sie
nach Verlauf einiger Stunden ruhigen Schlafes von dem in ihrem
Rausche Vorgefallenen Nichts, und überdies war Klein den folgen¬
den Tag nach einem solchen Brutalitätösturm eben so altert und
dienstbeflissen, wie vorher. Eines Tages jedoch, als der Haupt-


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Viele Hauptleute lassen diese Inspektionen bei sich übernachten,
und viele, besonders die verheiratheten, wählen sich einen verläßlichen
Mann, der auf beständige Cassa-Inspektion bei ihnen angestellt ist
und daher keine andern Dienste verrichtet. Dieser beständigen Cassa-
Jnspectionen bedienen sich besonders jene Hauptleute, die mit zahl¬
reichen Familien belastet sind, als eines Dienstboten, der ihnen
Nichts kostet. Neuwaller war ledig, aber sein Diener, der ein wahrer
Märtyrer war, hatte natürlich wenig Anhänglichkeit an seinen Herrn,
und er traute ihm daher auch nicht; deswegen mußte auch jederzeit
derjenige Kanonier, der bei ihm auf beständige Cassa-Inspektion
commandirt war, in seinem Quartier übernachten. Nachdem durch
die Abstrafung eines Kanoniers, der bisher diesen Dienst als bestän¬
dige Cassa-Inspection verwaltete, dieser Posten in Erledigung kam,
fiel die Wahl des Hauptmanns auf einen Mann in der Compagnie,
der bereits dreizehn Jahre diente und selbst unter dem Commando
Neuwaller's jeder Strafe entgangen war. Dieser Kanonier, dessen
Namen ich wahrlich vergessen habe, und den ich der Kürze wegen
Klein nennen will, trat seinen Dienst mit größtem Widerwillen,
und wie der damalige Compagnie-Oberlieutenant Preishl selbst er¬
zählte, nur darum an, weil er keine Ursache seiner Weigerung an¬
geben konnte. Er äußerte sich sogleich nach dem Befehlausgeben ge¬
gen seine Kameraden, daß diese Anstellung für ihn unheilbringend
sein werde. Eine kurze Zeit gelang es ihm, allen unbilligen An¬
forderungen Neuwaller's zu genügen; allein durch die Länge der Zeit
wurde der Hauptmann durch die außerordentliche Aufmerksamkeit
Klein's verwöhnt und fing an, denselben auf alle mögliche Weise zu
fetiren. Besonders konnte Klein, wenn ihn die Jour traf, nie genug
zeitig bei der nächtlichen Nachhausekunft des Hauptmanns erschei¬
nen. Ncuwaller, gewöhnlich wie eine Kanone besoffen, artete bei
dem geringsten Verzug auf die roheste Art in Schimpfwörtern und
Drohungen aus, welche letztern er jedoch niemals in Vollzug
setzte; denn wie es gewöhnlich bei Säufern der Fall ist, wissen sie
nach Verlauf einiger Stunden ruhigen Schlafes von dem in ihrem
Rausche Vorgefallenen Nichts, und überdies war Klein den folgen¬
den Tag nach einem solchen Brutalitätösturm eben so altert und
dienstbeflissen, wie vorher. Eines Tages jedoch, als der Haupt-


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[0211] Viele Hauptleute lassen diese Inspektionen bei sich übernachten, und viele, besonders die verheiratheten, wählen sich einen verläßlichen Mann, der auf beständige Cassa-Inspektion bei ihnen angestellt ist und daher keine andern Dienste verrichtet. Dieser beständigen Cassa- Jnspectionen bedienen sich besonders jene Hauptleute, die mit zahl¬ reichen Familien belastet sind, als eines Dienstboten, der ihnen Nichts kostet. Neuwaller war ledig, aber sein Diener, der ein wahrer Märtyrer war, hatte natürlich wenig Anhänglichkeit an seinen Herrn, und er traute ihm daher auch nicht; deswegen mußte auch jederzeit derjenige Kanonier, der bei ihm auf beständige Cassa-Inspektion commandirt war, in seinem Quartier übernachten. Nachdem durch die Abstrafung eines Kanoniers, der bisher diesen Dienst als bestän¬ dige Cassa-Inspection verwaltete, dieser Posten in Erledigung kam, fiel die Wahl des Hauptmanns auf einen Mann in der Compagnie, der bereits dreizehn Jahre diente und selbst unter dem Commando Neuwaller's jeder Strafe entgangen war. Dieser Kanonier, dessen Namen ich wahrlich vergessen habe, und den ich der Kürze wegen Klein nennen will, trat seinen Dienst mit größtem Widerwillen, und wie der damalige Compagnie-Oberlieutenant Preishl selbst er¬ zählte, nur darum an, weil er keine Ursache seiner Weigerung an¬ geben konnte. Er äußerte sich sogleich nach dem Befehlausgeben ge¬ gen seine Kameraden, daß diese Anstellung für ihn unheilbringend sein werde. Eine kurze Zeit gelang es ihm, allen unbilligen An¬ forderungen Neuwaller's zu genügen; allein durch die Länge der Zeit wurde der Hauptmann durch die außerordentliche Aufmerksamkeit Klein's verwöhnt und fing an, denselben auf alle mögliche Weise zu fetiren. Besonders konnte Klein, wenn ihn die Jour traf, nie genug zeitig bei der nächtlichen Nachhausekunft des Hauptmanns erschei¬ nen. Ncuwaller, gewöhnlich wie eine Kanone besoffen, artete bei dem geringsten Verzug auf die roheste Art in Schimpfwörtern und Drohungen aus, welche letztern er jedoch niemals in Vollzug setzte; denn wie es gewöhnlich bei Säufern der Fall ist, wissen sie nach Verlauf einiger Stunden ruhigen Schlafes von dem in ihrem Rausche Vorgefallenen Nichts, und überdies war Klein den folgen¬ den Tag nach einem solchen Brutalitätösturm eben so altert und dienstbeflissen, wie vorher. Eines Tages jedoch, als der Haupt- 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/211>, abgerufen am 23.07.2024.