Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.wieder in seinen Arrest zurück, -- das Zeugniß, wie es sich von wieder in seinen Arrest zurück, — das Zeugniß, wie es sich von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0207" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180766"/> <p xml:id="ID_476" prev="#ID_475" next="#ID_477"> wieder in seinen Arrest zurück, — das Zeugniß, wie es sich von<lb/> selbst versteht, blieb in meinen Hänven. Ich suchte damit den Haupt¬<lb/> mann auf, — aber er war auf die Jagd gegangen. Ich verlangte<lb/> den Major zu sprechen, man wies mich ab. Ich berathschlagte mich<lb/> mit Mehreren, allein die Meisten stimmten darin überein, „der Ge¬<lb/> horsam sei die erste Pflicht''. — Aber mein Gott! dachte ich, wenn<lb/> ich das Todesurtheil in der Tasche hätte, und ich konnte einem Men¬<lb/> schen mit einer Pflichtverletzung das Leben retten, warum sollte ich<lb/> es nicht thun? — An mir liegt es, ob ich diesem Mann fünfund-<lb/> zwanzig Stockstreiche aufladen lassen soll, oder nicht, und er ist un¬<lb/> schuldig. Erequire ich den Befehl nicht, so werde ich gestraft,<lb/> vollziehe ich ihn, so habe ich vielleicht einen Menschen auf Zeitlebens<lb/> unglücklich gemacht; denn ich fühlte es zu tief, daß, wenn mich je¬<lb/> mals das Unglück getroffen Halle, mit einer entehrenden Strafe be¬<lb/> legt zu werden, ich diese Schande nicht überlebt hätte. Und es be¬<lb/> traf einen gebildeten, guten, braven Menschen, der vielleicht von den¬<lb/> selben Gefühlen bestürmt wurde, wie ich. — Ich schwankte zwischen<lb/> Pflicht und Menschlichkeit, ich hatte die Wahl zwischen meinem eige¬<lb/> nen Untergang und der Rettung eines fremden, vielleicht undankba¬<lb/> ren Menschen! Mit einer Unentschlossenheit und unrer tausend Käm¬<lb/> pfen betrat ich zur bestimmten Stunde die Kaserne. Die Compagnie<lb/> war bereits gestellt, der Arrestant stand vor der Fronte, die fluchwür¬<lb/> dige Bank seitwärts in Bereitschaft. Der Befehl ward vorgelesen,<lb/> der Kanonier zitterte wie Espenlaub, die Todesfarbe überzog sein<lb/> blühendes Jugendantlitz, — mir rann der Schweiß unter dem ge¬<lb/> waltigen Seelenkampf von der Stirne tropfenweis. — Die Bank<lb/> wird herbeigeschleppt, —- ich befahl „Niederlegen". Ein tiefer Seuf¬<lb/> zer, der sich dem Unglücklichen aus seiner Brust emporarbeitete, ein<lb/> trostloser Blick, der auf mich siel, hat meine Unentschlossenheit gebro¬<lb/> chen. Bestimmen Sie einen Korporal, sagte ich zum Feldwebel. Und<lb/> als jener die gehörige Positur eingenommen, und der Feldwebel mir<lb/> mittelst Salutation zu verstehen gab, daß Alles in Bereitschaft sei, sagte<lb/> ich „Anfangen". — Nun wird der Stock mit aller Kraft aufgehoben<lb/> und geschwungen, aber mein donnerndes „Halt" verhindert dessen<lb/> schmerzhaften Fall. Stehe Er auf, sagte ich zum Kanonier, und Sie,<lb/> sagte ich zum Feldwebel, melden dem Herrn Hauptmann, daß die<lb/> Erecution vollzogen worden ist. Der Kanonier war frei und ich ging</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0207]
wieder in seinen Arrest zurück, — das Zeugniß, wie es sich von
selbst versteht, blieb in meinen Hänven. Ich suchte damit den Haupt¬
mann auf, — aber er war auf die Jagd gegangen. Ich verlangte
den Major zu sprechen, man wies mich ab. Ich berathschlagte mich
mit Mehreren, allein die Meisten stimmten darin überein, „der Ge¬
horsam sei die erste Pflicht''. — Aber mein Gott! dachte ich, wenn
ich das Todesurtheil in der Tasche hätte, und ich konnte einem Men¬
schen mit einer Pflichtverletzung das Leben retten, warum sollte ich
es nicht thun? — An mir liegt es, ob ich diesem Mann fünfund-
zwanzig Stockstreiche aufladen lassen soll, oder nicht, und er ist un¬
schuldig. Erequire ich den Befehl nicht, so werde ich gestraft,
vollziehe ich ihn, so habe ich vielleicht einen Menschen auf Zeitlebens
unglücklich gemacht; denn ich fühlte es zu tief, daß, wenn mich je¬
mals das Unglück getroffen Halle, mit einer entehrenden Strafe be¬
legt zu werden, ich diese Schande nicht überlebt hätte. Und es be¬
traf einen gebildeten, guten, braven Menschen, der vielleicht von den¬
selben Gefühlen bestürmt wurde, wie ich. — Ich schwankte zwischen
Pflicht und Menschlichkeit, ich hatte die Wahl zwischen meinem eige¬
nen Untergang und der Rettung eines fremden, vielleicht undankba¬
ren Menschen! Mit einer Unentschlossenheit und unrer tausend Käm¬
pfen betrat ich zur bestimmten Stunde die Kaserne. Die Compagnie
war bereits gestellt, der Arrestant stand vor der Fronte, die fluchwür¬
dige Bank seitwärts in Bereitschaft. Der Befehl ward vorgelesen,
der Kanonier zitterte wie Espenlaub, die Todesfarbe überzog sein
blühendes Jugendantlitz, — mir rann der Schweiß unter dem ge¬
waltigen Seelenkampf von der Stirne tropfenweis. — Die Bank
wird herbeigeschleppt, —- ich befahl „Niederlegen". Ein tiefer Seuf¬
zer, der sich dem Unglücklichen aus seiner Brust emporarbeitete, ein
trostloser Blick, der auf mich siel, hat meine Unentschlossenheit gebro¬
chen. Bestimmen Sie einen Korporal, sagte ich zum Feldwebel. Und
als jener die gehörige Positur eingenommen, und der Feldwebel mir
mittelst Salutation zu verstehen gab, daß Alles in Bereitschaft sei, sagte
ich „Anfangen". — Nun wird der Stock mit aller Kraft aufgehoben
und geschwungen, aber mein donnerndes „Halt" verhindert dessen
schmerzhaften Fall. Stehe Er auf, sagte ich zum Kanonier, und Sie,
sagte ich zum Feldwebel, melden dem Herrn Hauptmann, daß die
Erecution vollzogen worden ist. Der Kanonier war frei und ich ging
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