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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Drittens denkt sich ein jeder Offizier: warum soll ich mir wegen
eines Menschen, der mich im Grunde gar Nichts angeht,
Unannehmlichkeiten zuziehen, nachdem ich ihm die erlittene
Strafe von seinem Körper ohnehin nicht mehr abnehmen
kann.
Viertens hat der Offizier in einem solchen Falle sein eigenes Wohl
zu berücksichtigen. Geräth derselbe mit seinem Haupt¬
mann in Conflict, so wird er bei den Höheren wegen
Unverträglichkeit angeschwärzt, und seine Conduiteliste be¬
kommt Scharten, die er schwer auszuwetzen vermag.
Fünftens kann der Hauptmann leicht eine Veranlassung finden,
sich an ihm zu rächen; denn Keiner, der genaueste, der
ordentlichste und der geschickteste Offizier kann nicht die
Fälle vorausbestimmen, wo derselbe unschuldigerweise
wegen Saumseligkeit, oder unwillkürlicher Nachlässigkeit,
wegen eines Fehlers im Ererciren sich die Ahndung sei¬
ner Vorgesetzten zuzieht; Fehler, die an ihm gar nicht
gerügt würden, wenn derselbe ihre Gunst nicht verscherzt
hätte, und die an ihm um so schärfer geahndet werden,
wenn dies der Fall ist. Und endlich
Sechstens hängeri die Offiziere hinsichtlich ihrer Privatverhältnisse
vom Hauptmanne ab. Er kann bei einem Concubinat
ein Auge zuschließen, er kann durck kleine Vorschüsse die
desperaten Finanzen trösten und 8>n"ma suam-u-an den
Subalternen eine Menge Gefälligkeiten gewähren und
nicht gewähren.

Nach dieser gar nicht erschöpfenden Auseinandersetzung wird sich
wohl Niemand wundern, daß die Gerechtigkeitspflege in der Com¬
pagnie nur von der Individualität abhängt und von unten keiner
tyrannischen Willkür begegnet werden kann. Und wenn auch die
Obern manche willkürliche Tyranneien erfahren, so folgen sie dem
Grundsatze: "Wo kein Kläger, ist auch kein Richter", und es bleibt
daher beim Alten. Zum Beweise des Gesagten folgen hier zwei
Fälle.

Ein Kanonier, der bereits im zehnten Jahre untadelhaft diente,
stand bei einem Holzmagazin auf Wache. Nachmittags um ein Uhr
kam ein Offizier mit einem Arbeitspersonal, um das in diesem Ma-


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Drittens denkt sich ein jeder Offizier: warum soll ich mir wegen
eines Menschen, der mich im Grunde gar Nichts angeht,
Unannehmlichkeiten zuziehen, nachdem ich ihm die erlittene
Strafe von seinem Körper ohnehin nicht mehr abnehmen
kann.
Viertens hat der Offizier in einem solchen Falle sein eigenes Wohl
zu berücksichtigen. Geräth derselbe mit seinem Haupt¬
mann in Conflict, so wird er bei den Höheren wegen
Unverträglichkeit angeschwärzt, und seine Conduiteliste be¬
kommt Scharten, die er schwer auszuwetzen vermag.
Fünftens kann der Hauptmann leicht eine Veranlassung finden,
sich an ihm zu rächen; denn Keiner, der genaueste, der
ordentlichste und der geschickteste Offizier kann nicht die
Fälle vorausbestimmen, wo derselbe unschuldigerweise
wegen Saumseligkeit, oder unwillkürlicher Nachlässigkeit,
wegen eines Fehlers im Ererciren sich die Ahndung sei¬
ner Vorgesetzten zuzieht; Fehler, die an ihm gar nicht
gerügt würden, wenn derselbe ihre Gunst nicht verscherzt
hätte, und die an ihm um so schärfer geahndet werden,
wenn dies der Fall ist. Und endlich
Sechstens hängeri die Offiziere hinsichtlich ihrer Privatverhältnisse
vom Hauptmanne ab. Er kann bei einem Concubinat
ein Auge zuschließen, er kann durck kleine Vorschüsse die
desperaten Finanzen trösten und 8>n»ma suam-u-an den
Subalternen eine Menge Gefälligkeiten gewähren und
nicht gewähren.

Nach dieser gar nicht erschöpfenden Auseinandersetzung wird sich
wohl Niemand wundern, daß die Gerechtigkeitspflege in der Com¬
pagnie nur von der Individualität abhängt und von unten keiner
tyrannischen Willkür begegnet werden kann. Und wenn auch die
Obern manche willkürliche Tyranneien erfahren, so folgen sie dem
Grundsatze: „Wo kein Kläger, ist auch kein Richter", und es bleibt
daher beim Alten. Zum Beweise des Gesagten folgen hier zwei
Fälle.

Ein Kanonier, der bereits im zehnten Jahre untadelhaft diente,
stand bei einem Holzmagazin auf Wache. Nachmittags um ein Uhr
kam ein Offizier mit einem Arbeitspersonal, um das in diesem Ma-


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[0203] Drittens denkt sich ein jeder Offizier: warum soll ich mir wegen eines Menschen, der mich im Grunde gar Nichts angeht, Unannehmlichkeiten zuziehen, nachdem ich ihm die erlittene Strafe von seinem Körper ohnehin nicht mehr abnehmen kann. Viertens hat der Offizier in einem solchen Falle sein eigenes Wohl zu berücksichtigen. Geräth derselbe mit seinem Haupt¬ mann in Conflict, so wird er bei den Höheren wegen Unverträglichkeit angeschwärzt, und seine Conduiteliste be¬ kommt Scharten, die er schwer auszuwetzen vermag. Fünftens kann der Hauptmann leicht eine Veranlassung finden, sich an ihm zu rächen; denn Keiner, der genaueste, der ordentlichste und der geschickteste Offizier kann nicht die Fälle vorausbestimmen, wo derselbe unschuldigerweise wegen Saumseligkeit, oder unwillkürlicher Nachlässigkeit, wegen eines Fehlers im Ererciren sich die Ahndung sei¬ ner Vorgesetzten zuzieht; Fehler, die an ihm gar nicht gerügt würden, wenn derselbe ihre Gunst nicht verscherzt hätte, und die an ihm um so schärfer geahndet werden, wenn dies der Fall ist. Und endlich Sechstens hängeri die Offiziere hinsichtlich ihrer Privatverhältnisse vom Hauptmanne ab. Er kann bei einem Concubinat ein Auge zuschließen, er kann durck kleine Vorschüsse die desperaten Finanzen trösten und 8>n»ma suam-u-an den Subalternen eine Menge Gefälligkeiten gewähren und nicht gewähren. Nach dieser gar nicht erschöpfenden Auseinandersetzung wird sich wohl Niemand wundern, daß die Gerechtigkeitspflege in der Com¬ pagnie nur von der Individualität abhängt und von unten keiner tyrannischen Willkür begegnet werden kann. Und wenn auch die Obern manche willkürliche Tyranneien erfahren, so folgen sie dem Grundsatze: „Wo kein Kläger, ist auch kein Richter", und es bleibt daher beim Alten. Zum Beweise des Gesagten folgen hier zwei Fälle. Ein Kanonier, der bereits im zehnten Jahre untadelhaft diente, stand bei einem Holzmagazin auf Wache. Nachmittags um ein Uhr kam ein Offizier mit einem Arbeitspersonal, um das in diesem Ma- 25 -i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/203>, abgerufen am 23.07.2024.