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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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nalunglucks. Erst als, nach einiger Zeit, die "große Armee" unter
Frost und Entbehrungen zu erliegen anfing, ermannte sich Alexander,
und später kam man auf die Idee, den Brand, der die Schwin¬
gen des französischen Adlers versengte, als einen Act heroischer Selbst¬
aufopferung darzustellen, die russischen Annalen mit einer Großchat
zu bereichern und sich in Europa einen gefurchtsten Namen zu ma¬
chen; künftige Feinde Rußlands sollten denken, sie würden es, bei
einer Invasion, mit Numantinern zu thun haben. Dies wäre, wenn
es sich bestätigte, für den russischen Volksgeist sehr bezeichnend. Die
Entstehung der Feuersbrunst erklärt Welp als ein höchst natürliches
Ereigniß oder vielmehr als eine Nothwendigkeit, die Napoleon vor¬
aussehen und der er hätte vorbeugen müssen, wenn die Franzosen
in ihrem Leichtsinn nicht vergessen hätten, die Eigenthümlichkeiten des
feindlichen Landes im Voraus zu erkunden und zu berücksichtigen.
Der russische Pöbel, sagt Welp, sieht lieber brennen, als er löschen
hilft; die prompter Löschanstalten, welche Nikolaus in Petersburg
eingeführt, werden selbst dort sehr flau und träge angewandt, so oft
der, Kaiser nicht zugegen ist; auch im Frieden gehört das Brandlegen,
wie in allen halbcivilisirten Ländern, zu den gewöhnlichsten Excessen
des diebslustigen Pöbels. Um wie viel sicherer war es zu erwarten,
bei der Verwirrung der Kriegszeit, in einer großen Stadt, die von
ihren Herrn aufgegeben, von nachlässigen Feinden besetzt, von raub¬
lustigen Gesindel voll war, und wo die geflüchteten Einwohner im
ersten panischen Schreck große Schätze zurückgelassen hatten? -- Welp
warnt schließlich vor dem unbedingten Glauben an russische Dar¬
stellungen und Berichte, wo es eigenen Ruhm und Größe gilt. Wie
die Deutschen viel zu wenig, so thäten die Russen viel zu viel darin.

-- Der bairische Freiherr von Hallberg, bekannt unter dem
Namen: Eremit von Gauting und berühmt durch die vielen Reisen,
die er noch jetzt, in seinem achtzigsten Jahre, unternimmt, soll dem
Kaiser von Rußland ein Memoire übersandt haben mit unmaßgeblichen
Rathschlägen, wie die freien Tscherkessen am besten zu unterjochen
wären. Man behauptet, der alte Sonderling sei, als ihn die Lust an¬
wandelte, den Kaukasus zu besuchen, mit Schamvl in Berührung ge¬
kommen und von diesem beleidigt worden; darum suche er sich jetzt
auf diese edle Weise zu rächen. Die Behauptung ist etwas abenteuer¬
lich. Soll man aber annehmen, der Eremit wolle sich auf seine al¬
ten Tage ein halbes Dutzend Orden von einigen kleinen deutschen
Souveränen verdienen, die sich vielleicht, aus zarten Vcrwandtschafts-
rücksichten, für jede russische Eroberung interessiren? Seltsam genug,
daß unser deutscher Adel, den die Kampfluft in's Ausland treibt, sich
immer ausschließlich auf die reaktionäre und despotische Seite schlägt;
es wäre nicht seltsam, wenn eine politische Tendenz oder die Rücksicht
auf die Wünsche der respectiven Regierung, denen die heutige Aristo-


nalunglucks. Erst als, nach einiger Zeit, die „große Armee" unter
Frost und Entbehrungen zu erliegen anfing, ermannte sich Alexander,
und später kam man auf die Idee, den Brand, der die Schwin¬
gen des französischen Adlers versengte, als einen Act heroischer Selbst¬
aufopferung darzustellen, die russischen Annalen mit einer Großchat
zu bereichern und sich in Europa einen gefurchtsten Namen zu ma¬
chen; künftige Feinde Rußlands sollten denken, sie würden es, bei
einer Invasion, mit Numantinern zu thun haben. Dies wäre, wenn
es sich bestätigte, für den russischen Volksgeist sehr bezeichnend. Die
Entstehung der Feuersbrunst erklärt Welp als ein höchst natürliches
Ereigniß oder vielmehr als eine Nothwendigkeit, die Napoleon vor¬
aussehen und der er hätte vorbeugen müssen, wenn die Franzosen
in ihrem Leichtsinn nicht vergessen hätten, die Eigenthümlichkeiten des
feindlichen Landes im Voraus zu erkunden und zu berücksichtigen.
Der russische Pöbel, sagt Welp, sieht lieber brennen, als er löschen
hilft; die prompter Löschanstalten, welche Nikolaus in Petersburg
eingeführt, werden selbst dort sehr flau und träge angewandt, so oft
der, Kaiser nicht zugegen ist; auch im Frieden gehört das Brandlegen,
wie in allen halbcivilisirten Ländern, zu den gewöhnlichsten Excessen
des diebslustigen Pöbels. Um wie viel sicherer war es zu erwarten,
bei der Verwirrung der Kriegszeit, in einer großen Stadt, die von
ihren Herrn aufgegeben, von nachlässigen Feinden besetzt, von raub¬
lustigen Gesindel voll war, und wo die geflüchteten Einwohner im
ersten panischen Schreck große Schätze zurückgelassen hatten? — Welp
warnt schließlich vor dem unbedingten Glauben an russische Dar¬
stellungen und Berichte, wo es eigenen Ruhm und Größe gilt. Wie
die Deutschen viel zu wenig, so thäten die Russen viel zu viel darin.

— Der bairische Freiherr von Hallberg, bekannt unter dem
Namen: Eremit von Gauting und berühmt durch die vielen Reisen,
die er noch jetzt, in seinem achtzigsten Jahre, unternimmt, soll dem
Kaiser von Rußland ein Memoire übersandt haben mit unmaßgeblichen
Rathschlägen, wie die freien Tscherkessen am besten zu unterjochen
wären. Man behauptet, der alte Sonderling sei, als ihn die Lust an¬
wandelte, den Kaukasus zu besuchen, mit Schamvl in Berührung ge¬
kommen und von diesem beleidigt worden; darum suche er sich jetzt
auf diese edle Weise zu rächen. Die Behauptung ist etwas abenteuer¬
lich. Soll man aber annehmen, der Eremit wolle sich auf seine al¬
ten Tage ein halbes Dutzend Orden von einigen kleinen deutschen
Souveränen verdienen, die sich vielleicht, aus zarten Vcrwandtschafts-
rücksichten, für jede russische Eroberung interessiren? Seltsam genug,
daß unser deutscher Adel, den die Kampfluft in's Ausland treibt, sich
immer ausschließlich auf die reaktionäre und despotische Seite schlägt;
es wäre nicht seltsam, wenn eine politische Tendenz oder die Rücksicht
auf die Wünsche der respectiven Regierung, denen die heutige Aristo-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/198>, abgerufen am 23.07.2024.