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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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euch das, ihr liberalen Heiden! Man spricht davon, daß die preußi¬
schen Censoren geheime Jnstructionen erhalten hätten, wonach die
Grenzen für Besprechungen, welche auf der socialen Scala vom Ge¬
frierpunkt des Pauperismus bis zum höchsten Grade des Reichthums
auf- und abtanzen, namentlich für Schlesien, bedeutend eingeengt
sein sollen. Solche Geheimnisse werden nicht etwa erst offenbar,
wenn die Todten auferstehen, sondern verrathen sich tagtäglich selbst
durch die Liniarzeichnungen des Rothstiftes. Durch die Erlebnisse
unserer Publizisten zieht sich bereits seit dem 5. Juni, dem Tage
des Weberaufstandes, diese Offenbarung wie ein rother Faden hin,
noch genauer gesagt, seit dem Morgen des 5. Juni, wo der Ober-
Präsident Herr von Merckel aus dem Wagen, der ihn nach Langen-
bielau tragen sollte, einem seiner Untergebenen zurief: "Und was die
Zeitungen betrifft -- natürlich tiefes Stillschweigen." Jetzt begann
die Zeit der Lügen. Die auswärtigen Blatter brachten so abenteuer¬
lich entstellte Berichte über die Borgänge im Gebirge und die Berli¬
ner Korrespondenten - logen so gewaltig nach allen Enden der Welt
hinaus, daß uns hier ganz unheimlich zu Muthe wurde. In dieser
Hinsicht zeichnete sich besonders die gekreuzte Null in Ihrer Allg.
Deutsch. Ztg. aus. Welcher Quellen sich dieser Mann bediente ---
davon nur ein Beispiel. Ein Schützen-Lieutenant Herr von Ser.,
der zum Schutze der Fabrikanten mit in das Gebirge gezogen war,
ist in der ganzen Stadt wegen zweier Eigenschaften bekannt: er ver¬
eint mit einer ziemlich schwächlichen Körperconstitution eine ausneh¬
mende Galanterie gegen das schöne Geschlecht. Als sich Jemand nach
dem Befinden der Schützenabtheilung erkundigte, äußerte ein Witz¬
bold: "Die Grünröcke machen hin und wieder Attaquen gegen die
Gebirgsmadel und zwar meist mit Glück. Angekommen ist bis jetzt
nur Herr von Ser., der sich etwas kühn vorwagte und deshalb von
einer traiter Dirne mit einem nassen Sacke todt geschlagen worden
ist." Und stracks berichtet der "stets gut unterrichtete" Correspondent
der Allg. Deutsch. Ztg.: "Herr von Ser. ist geblieben." -- Ein hie¬
siger Assessor hat es übernommen, den Ober-Präsidenten von Schlesien
gegen die Stimmen, welche ihn beschuldigten, über die Lage der We¬
ber unseren König getäuscht zu haben, dadurch zu vertheidigen, daß
er der schlesischen Presse Communismus und Aufwiegelei vorwirft.
Er verfährt dabei mit einer so raffinirten Böswilligkeit, daß man aus
jeder Zeile seine Lakaiengesinnung herauslesen kann. Warum discre-
ditirt Herr Prof. Butan sein Blatt durch Aufnahme solcher publizi¬
stischen Bettelhastigkeiten? -- Eben erfahre ich, daß seit vorgestern
das Amt des Censors für beide hiesige Zeitungen, aus den Händen
des Regierungsrathes von Ebertz in die des Herrn von Schönfeld
übergegangen ist. Kann die Presse hierin eine Genugthuung für das
gesetzwidrige Verfahren erblicken, das sie bis jetzt unter Herrn von


euch das, ihr liberalen Heiden! Man spricht davon, daß die preußi¬
schen Censoren geheime Jnstructionen erhalten hätten, wonach die
Grenzen für Besprechungen, welche auf der socialen Scala vom Ge¬
frierpunkt des Pauperismus bis zum höchsten Grade des Reichthums
auf- und abtanzen, namentlich für Schlesien, bedeutend eingeengt
sein sollen. Solche Geheimnisse werden nicht etwa erst offenbar,
wenn die Todten auferstehen, sondern verrathen sich tagtäglich selbst
durch die Liniarzeichnungen des Rothstiftes. Durch die Erlebnisse
unserer Publizisten zieht sich bereits seit dem 5. Juni, dem Tage
des Weberaufstandes, diese Offenbarung wie ein rother Faden hin,
noch genauer gesagt, seit dem Morgen des 5. Juni, wo der Ober-
Präsident Herr von Merckel aus dem Wagen, der ihn nach Langen-
bielau tragen sollte, einem seiner Untergebenen zurief: „Und was die
Zeitungen betrifft — natürlich tiefes Stillschweigen." Jetzt begann
die Zeit der Lügen. Die auswärtigen Blatter brachten so abenteuer¬
lich entstellte Berichte über die Borgänge im Gebirge und die Berli¬
ner Korrespondenten - logen so gewaltig nach allen Enden der Welt
hinaus, daß uns hier ganz unheimlich zu Muthe wurde. In dieser
Hinsicht zeichnete sich besonders die gekreuzte Null in Ihrer Allg.
Deutsch. Ztg. aus. Welcher Quellen sich dieser Mann bediente —-
davon nur ein Beispiel. Ein Schützen-Lieutenant Herr von Ser.,
der zum Schutze der Fabrikanten mit in das Gebirge gezogen war,
ist in der ganzen Stadt wegen zweier Eigenschaften bekannt: er ver¬
eint mit einer ziemlich schwächlichen Körperconstitution eine ausneh¬
mende Galanterie gegen das schöne Geschlecht. Als sich Jemand nach
dem Befinden der Schützenabtheilung erkundigte, äußerte ein Witz¬
bold: „Die Grünröcke machen hin und wieder Attaquen gegen die
Gebirgsmadel und zwar meist mit Glück. Angekommen ist bis jetzt
nur Herr von Ser., der sich etwas kühn vorwagte und deshalb von
einer traiter Dirne mit einem nassen Sacke todt geschlagen worden
ist." Und stracks berichtet der „stets gut unterrichtete" Correspondent
der Allg. Deutsch. Ztg.: „Herr von Ser. ist geblieben." — Ein hie¬
siger Assessor hat es übernommen, den Ober-Präsidenten von Schlesien
gegen die Stimmen, welche ihn beschuldigten, über die Lage der We¬
ber unseren König getäuscht zu haben, dadurch zu vertheidigen, daß
er der schlesischen Presse Communismus und Aufwiegelei vorwirft.
Er verfährt dabei mit einer so raffinirten Böswilligkeit, daß man aus
jeder Zeile seine Lakaiengesinnung herauslesen kann. Warum discre-
ditirt Herr Prof. Butan sein Blatt durch Aufnahme solcher publizi¬
stischen Bettelhastigkeiten? — Eben erfahre ich, daß seit vorgestern
das Amt des Censors für beide hiesige Zeitungen, aus den Händen
des Regierungsrathes von Ebertz in die des Herrn von Schönfeld
übergegangen ist. Kann die Presse hierin eine Genugthuung für das
gesetzwidrige Verfahren erblicken, das sie bis jetzt unter Herrn von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/194>, abgerufen am 23.12.2024.