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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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weg, als Frau Dido. Durch die Censurinstruction sollen die Gren¬
zen naher bezeichnet sein, innerhalb welcher die Presse vor der Scheere
des Censors sicher ist. Auf dem Papiere sind die Grenzen da, aber
in der Wirklichkeit nicht. Hätten sonst zwei Ministerin-Rescripte,
eins von Rother, das andere von Flottwell, ungeahndet gestrichen
werden können? Das Ober-Censurgericht soll der Censorwillkür
Schranken setzen, soll die höchste Instanz für die beschwerdeführcnden
Schriftsteller sein. Das hat .die ganze Welt geglaubt, und wir glaub¬
ten es bis jetzt auch. Seitdem aber unser Censor einen Artikel zum
zweiten Male gestrichen, nachdem das Ober-Ccnsurgericht den ersten
Strich aufgehoben hatte, sind wir anderer Meinung. Mit einem Worte,
unsere Censur wird mit einer jedes Gesetz, geschweige denn das Recht
aus den Augen setzenden Willkür gehandhabt. Diesen unglaublich
scheinenden, trotzdem aber wahren Thatsachen noch ein Wort hinzu¬
zufügen, wäre unnütz. Leider stehen diese Thatsachen nicht vereinzelt
da, es finden sich dergleichen in allen Zweigen der Verwaltung vor.
Ihre Mutter ist die Viclregiererei und die Beamtenwillkür. Es mag
der königliche Verstand anordnen, gebieten und verbieten, was er
will; seine Subalterne, von dem unbedeutendsten polizeilichen Riech¬
organe bis zum drohenden Finger der Präventivgesetze, sind souverain
und folgen ihrem eigenen weisen Ermessen. Die Polizei ist im
Stande, den König aufzuheben. Die Zeitungen haben die Beschlag¬
nahme des Briefwechsels der Bettina mit ihrem Bruder gemeldet und
als Grund dazu einen Formfehler angegeben. Dieser bestand nicht
darin, daß der Name der Herausgeben" auf dem Titelblatte fehlte,
fondern lag vielmehr, wie versichert werden kann, in der alle Titula-
turregcln umstoßenden Apostrophe der Dedication: "Mein lieber Prinz
Waldemar." Die Polizei duldet solche Abnormitäten in einem christ¬
lich germanischen Staate nicht und inhibirt den Debit des Buches.
Bettina erwirkt durch Alexander v. Humboldt den königlichen Befehl,
das Buch solle unverzüglich frei gegeben werden. Die Polizei thut's
nicht. Erst als der König, von der lausitzer Reise zurückgekehrt,
abermals seine Willensmeinung kundgibt, werden die sieben Siegel
gelöst. Deuten diese Vorkommnisse nicht auf ein revolutionäres Ele¬
ment in unserem Beamtenthume hin? Die Bureaukratie war's vor¬
züglich, welche unsere Presse illoyal, subversiv und revolutionär
nannte. Ich frage, auf wen passen diese Epitheta besser, auf die
Presse, welche auf vorgeschriebenen Wege Schutz sucht, oder auf
unseren Censor, der mit einem Striche die Censurinstruction, das
Ober-Censurgericht und die klar ausgesprochene Willensmeinung un¬
seres königlichen Herrn annullirt? Im preußischen Beamtenthume
steckt ein Geist des Widerspruchs gegen die Heiligkeit der geltenden
Gesetze, weil der Beamte selbst Gesetz zu sein glaubt! Das Fleisch
will Wort werden und eine umgekehrte Erlösung vollbringen. Merkt


Gr-nzboten I8ii. II. 24

weg, als Frau Dido. Durch die Censurinstruction sollen die Gren¬
zen naher bezeichnet sein, innerhalb welcher die Presse vor der Scheere
des Censors sicher ist. Auf dem Papiere sind die Grenzen da, aber
in der Wirklichkeit nicht. Hätten sonst zwei Ministerin-Rescripte,
eins von Rother, das andere von Flottwell, ungeahndet gestrichen
werden können? Das Ober-Censurgericht soll der Censorwillkür
Schranken setzen, soll die höchste Instanz für die beschwerdeführcnden
Schriftsteller sein. Das hat .die ganze Welt geglaubt, und wir glaub¬
ten es bis jetzt auch. Seitdem aber unser Censor einen Artikel zum
zweiten Male gestrichen, nachdem das Ober-Ccnsurgericht den ersten
Strich aufgehoben hatte, sind wir anderer Meinung. Mit einem Worte,
unsere Censur wird mit einer jedes Gesetz, geschweige denn das Recht
aus den Augen setzenden Willkür gehandhabt. Diesen unglaublich
scheinenden, trotzdem aber wahren Thatsachen noch ein Wort hinzu¬
zufügen, wäre unnütz. Leider stehen diese Thatsachen nicht vereinzelt
da, es finden sich dergleichen in allen Zweigen der Verwaltung vor.
Ihre Mutter ist die Viclregiererei und die Beamtenwillkür. Es mag
der königliche Verstand anordnen, gebieten und verbieten, was er
will; seine Subalterne, von dem unbedeutendsten polizeilichen Riech¬
organe bis zum drohenden Finger der Präventivgesetze, sind souverain
und folgen ihrem eigenen weisen Ermessen. Die Polizei ist im
Stande, den König aufzuheben. Die Zeitungen haben die Beschlag¬
nahme des Briefwechsels der Bettina mit ihrem Bruder gemeldet und
als Grund dazu einen Formfehler angegeben. Dieser bestand nicht
darin, daß der Name der Herausgeben» auf dem Titelblatte fehlte,
fondern lag vielmehr, wie versichert werden kann, in der alle Titula-
turregcln umstoßenden Apostrophe der Dedication: „Mein lieber Prinz
Waldemar." Die Polizei duldet solche Abnormitäten in einem christ¬
lich germanischen Staate nicht und inhibirt den Debit des Buches.
Bettina erwirkt durch Alexander v. Humboldt den königlichen Befehl,
das Buch solle unverzüglich frei gegeben werden. Die Polizei thut's
nicht. Erst als der König, von der lausitzer Reise zurückgekehrt,
abermals seine Willensmeinung kundgibt, werden die sieben Siegel
gelöst. Deuten diese Vorkommnisse nicht auf ein revolutionäres Ele¬
ment in unserem Beamtenthume hin? Die Bureaukratie war's vor¬
züglich, welche unsere Presse illoyal, subversiv und revolutionär
nannte. Ich frage, auf wen passen diese Epitheta besser, auf die
Presse, welche auf vorgeschriebenen Wege Schutz sucht, oder auf
unseren Censor, der mit einem Striche die Censurinstruction, das
Ober-Censurgericht und die klar ausgesprochene Willensmeinung un¬
seres königlichen Herrn annullirt? Im preußischen Beamtenthume
steckt ein Geist des Widerspruchs gegen die Heiligkeit der geltenden
Gesetze, weil der Beamte selbst Gesetz zu sein glaubt! Das Fleisch
will Wort werden und eine umgekehrte Erlösung vollbringen. Merkt


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[0193] weg, als Frau Dido. Durch die Censurinstruction sollen die Gren¬ zen naher bezeichnet sein, innerhalb welcher die Presse vor der Scheere des Censors sicher ist. Auf dem Papiere sind die Grenzen da, aber in der Wirklichkeit nicht. Hätten sonst zwei Ministerin-Rescripte, eins von Rother, das andere von Flottwell, ungeahndet gestrichen werden können? Das Ober-Censurgericht soll der Censorwillkür Schranken setzen, soll die höchste Instanz für die beschwerdeführcnden Schriftsteller sein. Das hat .die ganze Welt geglaubt, und wir glaub¬ ten es bis jetzt auch. Seitdem aber unser Censor einen Artikel zum zweiten Male gestrichen, nachdem das Ober-Ccnsurgericht den ersten Strich aufgehoben hatte, sind wir anderer Meinung. Mit einem Worte, unsere Censur wird mit einer jedes Gesetz, geschweige denn das Recht aus den Augen setzenden Willkür gehandhabt. Diesen unglaublich scheinenden, trotzdem aber wahren Thatsachen noch ein Wort hinzu¬ zufügen, wäre unnütz. Leider stehen diese Thatsachen nicht vereinzelt da, es finden sich dergleichen in allen Zweigen der Verwaltung vor. Ihre Mutter ist die Viclregiererei und die Beamtenwillkür. Es mag der königliche Verstand anordnen, gebieten und verbieten, was er will; seine Subalterne, von dem unbedeutendsten polizeilichen Riech¬ organe bis zum drohenden Finger der Präventivgesetze, sind souverain und folgen ihrem eigenen weisen Ermessen. Die Polizei ist im Stande, den König aufzuheben. Die Zeitungen haben die Beschlag¬ nahme des Briefwechsels der Bettina mit ihrem Bruder gemeldet und als Grund dazu einen Formfehler angegeben. Dieser bestand nicht darin, daß der Name der Herausgeben» auf dem Titelblatte fehlte, fondern lag vielmehr, wie versichert werden kann, in der alle Titula- turregcln umstoßenden Apostrophe der Dedication: „Mein lieber Prinz Waldemar." Die Polizei duldet solche Abnormitäten in einem christ¬ lich germanischen Staate nicht und inhibirt den Debit des Buches. Bettina erwirkt durch Alexander v. Humboldt den königlichen Befehl, das Buch solle unverzüglich frei gegeben werden. Die Polizei thut's nicht. Erst als der König, von der lausitzer Reise zurückgekehrt, abermals seine Willensmeinung kundgibt, werden die sieben Siegel gelöst. Deuten diese Vorkommnisse nicht auf ein revolutionäres Ele¬ ment in unserem Beamtenthume hin? Die Bureaukratie war's vor¬ züglich, welche unsere Presse illoyal, subversiv und revolutionär nannte. Ich frage, auf wen passen diese Epitheta besser, auf die Presse, welche auf vorgeschriebenen Wege Schutz sucht, oder auf unseren Censor, der mit einem Striche die Censurinstruction, das Ober-Censurgericht und die klar ausgesprochene Willensmeinung un¬ seres königlichen Herrn annullirt? Im preußischen Beamtenthume steckt ein Geist des Widerspruchs gegen die Heiligkeit der geltenden Gesetze, weil der Beamte selbst Gesetz zu sein glaubt! Das Fleisch will Wort werden und eine umgekehrte Erlösung vollbringen. Merkt Gr-nzboten I8ii. II. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/193>, abgerufen am 23.07.2024.