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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Buntere Unterhaltung hat vielleicht nie das Deck eines Schiffes be¬
lebt. Die Tyroler hatten sich erholt, und fehlte ihrer Gefährtin auch das
volle Alpenrosenroth noch, so konnte sie doch wieder die Harfe schlagen.
Das gab nun heitere Terzette, Jodeln, Spiel und Gesang. Emilie
Holmberg trug wunderhübsche Lieder eigener Composition vor, und
ich feierte sie durch ein Akrostichon. Obgleich ich sonst diese poetische
Zwangsjacke nicht leiden mag, ist sie doch zuweilen ganz passend,
denn Frauen und Mädchen freuen sich der Verse weit mehr, wenn
sie ihren Namen unvertilgbar an der Stirne tragen. Der Anfang
ist mir noch erinnerlich:

Kluc Wasserwoge folgt der andern,
Menschen zieh'n und Wolken über's Meer;
Ihre Sehnsucht treibt sie zu dem Wandern,
sieben sie die Heimath noch so sehr.



In den Wolken wohnen lichte Flammen,
Lo'ge Lieder in der Menschenbrust,
Heiße Klänge, die vom Himmel stammen,
Ohne Lieder gibt es keine Lust! :c.

Am liebenswürdigsten war Monsieur Robineau. Bald silhouet-
tirte er Jemand aus der Gesellschaft, bald schnitt er zierliche Land¬
schaften aus. Dann trieb er allerhand Mummenschanz. Unsere in
den Cabineten umherliegenden Kleider waren ihm willkommene Gar¬
derobestücke, rothes Zahnpulver und Kohle mußten ihm als Schminke
dienen; jetzt kam er als Türke, jetzt als Engländer auf's Verdeck und
erregte jedesmal laute Fröhlichkeit durch sein komisches Bewegen. So¬
gar unser Brite lächelte. Zuletzt setzten Robineau und der verschmitzte
Tyroler sich vis a vis, und Jeder zeichnete den Andern ab. Wie
die Beiden sich nun gegenseitig so durchdringend anstierten, wie dann
die Stifte emsig über's Pergament flogen, und wie das Manöver
sich oftmals wiederholte -- eine lustigere Scene kann man sich nicht
denken, und am Ende waren die Bilder ähnlich genug.

So kam der Mittag, so kam der Abend heran; um acht Uhr
sahen wir den Leuchtthurm von Langsort und eine Stunde später ge¬
langten wir in die Scheeren. Oede, kahle Graniteilande sind es,
anfangs ohne Baum, ohne Gras, und zu Tausenden ziehen sie sich


Buntere Unterhaltung hat vielleicht nie das Deck eines Schiffes be¬
lebt. Die Tyroler hatten sich erholt, und fehlte ihrer Gefährtin auch das
volle Alpenrosenroth noch, so konnte sie doch wieder die Harfe schlagen.
Das gab nun heitere Terzette, Jodeln, Spiel und Gesang. Emilie
Holmberg trug wunderhübsche Lieder eigener Composition vor, und
ich feierte sie durch ein Akrostichon. Obgleich ich sonst diese poetische
Zwangsjacke nicht leiden mag, ist sie doch zuweilen ganz passend,
denn Frauen und Mädchen freuen sich der Verse weit mehr, wenn
sie ihren Namen unvertilgbar an der Stirne tragen. Der Anfang
ist mir noch erinnerlich:

Kluc Wasserwoge folgt der andern,
Menschen zieh'n und Wolken über's Meer;
Ihre Sehnsucht treibt sie zu dem Wandern,
sieben sie die Heimath noch so sehr.



In den Wolken wohnen lichte Flammen,
Lo'ge Lieder in der Menschenbrust,
Heiße Klänge, die vom Himmel stammen,
Ohne Lieder gibt es keine Lust! :c.

Am liebenswürdigsten war Monsieur Robineau. Bald silhouet-
tirte er Jemand aus der Gesellschaft, bald schnitt er zierliche Land¬
schaften aus. Dann trieb er allerhand Mummenschanz. Unsere in
den Cabineten umherliegenden Kleider waren ihm willkommene Gar¬
derobestücke, rothes Zahnpulver und Kohle mußten ihm als Schminke
dienen; jetzt kam er als Türke, jetzt als Engländer auf's Verdeck und
erregte jedesmal laute Fröhlichkeit durch sein komisches Bewegen. So¬
gar unser Brite lächelte. Zuletzt setzten Robineau und der verschmitzte
Tyroler sich vis a vis, und Jeder zeichnete den Andern ab. Wie
die Beiden sich nun gegenseitig so durchdringend anstierten, wie dann
die Stifte emsig über's Pergament flogen, und wie das Manöver
sich oftmals wiederholte — eine lustigere Scene kann man sich nicht
denken, und am Ende waren die Bilder ähnlich genug.

So kam der Mittag, so kam der Abend heran; um acht Uhr
sahen wir den Leuchtthurm von Langsort und eine Stunde später ge¬
langten wir in die Scheeren. Oede, kahle Graniteilande sind es,
anfangs ohne Baum, ohne Gras, und zu Tausenden ziehen sie sich


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[0182] Buntere Unterhaltung hat vielleicht nie das Deck eines Schiffes be¬ lebt. Die Tyroler hatten sich erholt, und fehlte ihrer Gefährtin auch das volle Alpenrosenroth noch, so konnte sie doch wieder die Harfe schlagen. Das gab nun heitere Terzette, Jodeln, Spiel und Gesang. Emilie Holmberg trug wunderhübsche Lieder eigener Composition vor, und ich feierte sie durch ein Akrostichon. Obgleich ich sonst diese poetische Zwangsjacke nicht leiden mag, ist sie doch zuweilen ganz passend, denn Frauen und Mädchen freuen sich der Verse weit mehr, wenn sie ihren Namen unvertilgbar an der Stirne tragen. Der Anfang ist mir noch erinnerlich: Kluc Wasserwoge folgt der andern, Menschen zieh'n und Wolken über's Meer; Ihre Sehnsucht treibt sie zu dem Wandern, sieben sie die Heimath noch so sehr. In den Wolken wohnen lichte Flammen, Lo'ge Lieder in der Menschenbrust, Heiße Klänge, die vom Himmel stammen, Ohne Lieder gibt es keine Lust! :c. Am liebenswürdigsten war Monsieur Robineau. Bald silhouet- tirte er Jemand aus der Gesellschaft, bald schnitt er zierliche Land¬ schaften aus. Dann trieb er allerhand Mummenschanz. Unsere in den Cabineten umherliegenden Kleider waren ihm willkommene Gar¬ derobestücke, rothes Zahnpulver und Kohle mußten ihm als Schminke dienen; jetzt kam er als Türke, jetzt als Engländer auf's Verdeck und erregte jedesmal laute Fröhlichkeit durch sein komisches Bewegen. So¬ gar unser Brite lächelte. Zuletzt setzten Robineau und der verschmitzte Tyroler sich vis a vis, und Jeder zeichnete den Andern ab. Wie die Beiden sich nun gegenseitig so durchdringend anstierten, wie dann die Stifte emsig über's Pergament flogen, und wie das Manöver sich oftmals wiederholte — eine lustigere Scene kann man sich nicht denken, und am Ende waren die Bilder ähnlich genug. So kam der Mittag, so kam der Abend heran; um acht Uhr sahen wir den Leuchtthurm von Langsort und eine Stunde später ge¬ langten wir in die Scheeren. Oede, kahle Graniteilande sind es, anfangs ohne Baum, ohne Gras, und zu Tausenden ziehen sie sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/182>, abgerufen am 23.07.2024.