Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.Er setzte die feinsten Verführerkünste in's Werk, all jene teuflisch geist¬ Sie wußte nicht, wohin es ging, fragte auch nicht darnach, bis Der Verführer war ihrer überdrüssig, das merkte sie wohl. Al¬ Maria erzählte das Alles kurz, schmucklos, mit einer entschlosse¬ Er setzte die feinsten Verführerkünste in's Werk, all jene teuflisch geist¬ Sie wußte nicht, wohin es ging, fragte auch nicht darnach, bis Der Verführer war ihrer überdrüssig, das merkte sie wohl. Al¬ Maria erzählte das Alles kurz, schmucklos, mit einer entschlosse¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180739"/> <p xml:id="ID_416" prev="#ID_415"> Er setzte die feinsten Verführerkünste in's Werk, all jene teuflisch geist¬<lb/> reichen Künste ... und sie wurde sein. Die Eltern ahnten Nichts<lb/> davon, aber das Mädchen war glücklich. Da ward ihr Geliebter<lb/> von seinem Hofe abberufen; noch fand er indeß Gefallen an ihr<lb/> und forderte sie auf, ihn zu begleiten. In einer grauen eisig kalten<lb/> Octobernacht drückte Maria die Thüre des elterlichen Hauses hinter<lb/> sich zu und wischte eine Thräne aus dem Auge. Sie eilte an's Schiff,<lb/> und ehe die Sonne heraufstieg, lag schon manche Welle zwischen ihr<lb/> und dem schwedischen Strande.</p><lb/> <p xml:id="ID_417"> Sie wußte nicht, wohin es ging, fragte auch nicht darnach, bis<lb/> zwei Tage später das Dampfboot landete. Eine weite, prächtige<lb/> Stadt umgab sie — es war Se. Petersburg, Anfangs ging es<lb/> recht gut; sie mochte die Wohnung nicht verlassen und lebte nur<lb/> daheim mit dem Manne ihrer Liebe. Aber immer kälter wurde der¬<lb/> selbe, er behandelte sie gleichgiltig, zuletzt sogar rauh und barsch.<lb/> Da wollte das Herz ihr brechen und nirgends fand sie' einen Men¬<lb/> schen, dem sie ihr unaussprechliches Leid hätte klagen können, denn<lb/> unter Russen lebte sie.</p><lb/> <p xml:id="ID_418"> Der Verführer war ihrer überdrüssig, das merkte sie wohl. Al¬<lb/> les brachte ihn in Zorn gegen sie, sogar ihre verweinten Augen. Er<lb/> verbot ihr das Weinen, und als sie es doch nicht lassen konnte, schlug<lb/> er sie ... er schlug sie mit denselben Händen, mit denen er ihr einst<lb/> Wange, Locke und Brust liebkosend gestreichelt hatte. Oft blitzte in<lb/> Maria's Geist der Gedanke des Selbstmords auf, allein ihr fehlte<lb/> der Muth dazu. Sie verkaufte den Schmuck, den sie als Geburts¬<lb/> tagsgabe von ihren Eltern empfangen, doch die gelöste Summe reichte<lb/> nicht hin, die Kosten einer Ueberfahrt nach Schweden zu decken. Sie<lb/> mußte bei dem Ehrlosen um das Fehlende betteln, und er warf's ihr<lb/> wie ein Almosen hin, obgleich er froh war, das Mädchen los zu<lb/> werden. So fuhr sie nun wieder der Heimath entgegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_419" next="#ID_420"> Maria erzählte das Alles kurz, schmucklos, mit einer entschlosse¬<lb/> nen Ruhe. Mir war dabei zu Muthe, wie in den Kinderjahren,<lb/> wenn ich grausige Gespenstersagen hören mußte. Es rieselte mir<lb/> durch'ö Blut, und meine Haare sträubten sich. Solche Thaten ge¬<lb/> schehen täglich im Schooße der cultivirtesten Staaten, und nirgendwo<lb/> gibt es ein Gesetz, ein Recht, welches den Schändlichen, der Dieb<lb/> und Mörder zugleich ist, infam erklärt und ihn seiner verdienten Strafe</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0180]
Er setzte die feinsten Verführerkünste in's Werk, all jene teuflisch geist¬
reichen Künste ... und sie wurde sein. Die Eltern ahnten Nichts
davon, aber das Mädchen war glücklich. Da ward ihr Geliebter
von seinem Hofe abberufen; noch fand er indeß Gefallen an ihr
und forderte sie auf, ihn zu begleiten. In einer grauen eisig kalten
Octobernacht drückte Maria die Thüre des elterlichen Hauses hinter
sich zu und wischte eine Thräne aus dem Auge. Sie eilte an's Schiff,
und ehe die Sonne heraufstieg, lag schon manche Welle zwischen ihr
und dem schwedischen Strande.
Sie wußte nicht, wohin es ging, fragte auch nicht darnach, bis
zwei Tage später das Dampfboot landete. Eine weite, prächtige
Stadt umgab sie — es war Se. Petersburg, Anfangs ging es
recht gut; sie mochte die Wohnung nicht verlassen und lebte nur
daheim mit dem Manne ihrer Liebe. Aber immer kälter wurde der¬
selbe, er behandelte sie gleichgiltig, zuletzt sogar rauh und barsch.
Da wollte das Herz ihr brechen und nirgends fand sie' einen Men¬
schen, dem sie ihr unaussprechliches Leid hätte klagen können, denn
unter Russen lebte sie.
Der Verführer war ihrer überdrüssig, das merkte sie wohl. Al¬
les brachte ihn in Zorn gegen sie, sogar ihre verweinten Augen. Er
verbot ihr das Weinen, und als sie es doch nicht lassen konnte, schlug
er sie ... er schlug sie mit denselben Händen, mit denen er ihr einst
Wange, Locke und Brust liebkosend gestreichelt hatte. Oft blitzte in
Maria's Geist der Gedanke des Selbstmords auf, allein ihr fehlte
der Muth dazu. Sie verkaufte den Schmuck, den sie als Geburts¬
tagsgabe von ihren Eltern empfangen, doch die gelöste Summe reichte
nicht hin, die Kosten einer Ueberfahrt nach Schweden zu decken. Sie
mußte bei dem Ehrlosen um das Fehlende betteln, und er warf's ihr
wie ein Almosen hin, obgleich er froh war, das Mädchen los zu
werden. So fuhr sie nun wieder der Heimath entgegen.
Maria erzählte das Alles kurz, schmucklos, mit einer entschlosse¬
nen Ruhe. Mir war dabei zu Muthe, wie in den Kinderjahren,
wenn ich grausige Gespenstersagen hören mußte. Es rieselte mir
durch'ö Blut, und meine Haare sträubten sich. Solche Thaten ge¬
schehen täglich im Schooße der cultivirtesten Staaten, und nirgendwo
gibt es ein Gesetz, ein Recht, welches den Schändlichen, der Dieb
und Mörder zugleich ist, infam erklärt und ihn seiner verdienten Strafe
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