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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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war's doch nur Sentimentalität, was zur Erneuerung des Cartells
führte: falsche Pietät nämlich für die Traditionen der heiligen Allianz,


VI.
Notizen.

Abdullah Pascha. -- Weitling. -- Von der polnischen Grenze. -- Die Main¬
zer Advocatenversammlung.

-- Abdullah Pascha von Trapezunt hat ein vortreffliches
Mittel erfunden, um die gewaltsamen Reformen, zu denen man den
Divan zwingt, zu mildern und mit Besonnenheit in's Leben zu füh¬
ren. Das willkürliche Kopfabschlagen hat der Sultan in der Consti-
tution von Gut-Chanes verboten, ein Bischen Prügeln aber steht frei.
Was thut daher Abdullah Pascha? Ach, Abdullah Pascha ist ein
routinirtcr Geschäftsmann und weiß sich zu helfen. Wem er sonst in
aller Geschwindigkeit den Kopf hätte abschlagen lassen, den läßt er
jetzt nach Belieben zu Tode prügeln. Diese Praxis soll in der Tür¬
kei ziemlich allgemein sein. Wahrlich, Abdullah Pascha wäre, mut-e-
t',8 init-mit'is, wie die Censur sagt, ein Muster von einem europäi¬
schen Bureaukraten.

-- Weitling, der kommunistische, schriftstellernde Schneiderge-
selle, ist nach Ueberstehung seiner Haft mit dem Schub von Zürich
nach Magdeburg befördert worden und sollte seine Militärpflicht, der
er sich entzogen hatte, "laut rechtskräftigen Erkenntniß" (?) erfüllen.
Indessen wurde er dazu unfähig befunden. Ein amtlicher Artikel der
"Magdeburger Zeitung" bespricht seine Ankunft in einem Tone, als
gälte es, entweder die Monarchie Preußen an dem glücklich besiegten
Schneidergesellen zu rächen, oder die deutsche Zugend vor dem Ge¬
fährlichen zu warnen; da wird keines von den beliebten offiziellen Schimpf-
und Kraftworten gespart, "Umtriebe", "Böswilligkeit" u. s. w. Wir
sind keine Weitlingianer, aber diese puterhahnartige Wuth gegen ei¬
nen armen Teufel, wie er, scheint uns eben so lächerlich, wie roh
und erbärmlich. So viel man weiß, hat sich Weitling, davon abge¬
sehen, daß er seine untauglichen Glieder dem preußischen Helm und
Waffenrock entzog, Nichts gegen Preußen zu Schulden kommen las¬
sen, und für sein Vergehen ist er in Zürich hart genug bestraft wor¬
den. Was will man noch? Aber freilich, sein Vergehen bestand in
Ansichten und Gesinnungen, die -- gleichviel, ob unsinnig und ohn¬
mächtig oder nicht -- weniger bestraft, als verfolgt werden müssen,
und so würde es uns nicht wundern, wenn der Staat irgend einen
Vorwand ergriffe, um sich noch einmal mit allen Waffen der Unter¬
suchung gegen ihn zu rüsten. Vielleicht stößt auch das gelehrte Feuil¬
leton der "Preußischen Allgemeinen Zeitung" in's Bockshorn und


war's doch nur Sentimentalität, was zur Erneuerung des Cartells
führte: falsche Pietät nämlich für die Traditionen der heiligen Allianz,


VI.
Notizen.

Abdullah Pascha. — Weitling. — Von der polnischen Grenze. — Die Main¬
zer Advocatenversammlung.

— Abdullah Pascha von Trapezunt hat ein vortreffliches
Mittel erfunden, um die gewaltsamen Reformen, zu denen man den
Divan zwingt, zu mildern und mit Besonnenheit in's Leben zu füh¬
ren. Das willkürliche Kopfabschlagen hat der Sultan in der Consti-
tution von Gut-Chanes verboten, ein Bischen Prügeln aber steht frei.
Was thut daher Abdullah Pascha? Ach, Abdullah Pascha ist ein
routinirtcr Geschäftsmann und weiß sich zu helfen. Wem er sonst in
aller Geschwindigkeit den Kopf hätte abschlagen lassen, den läßt er
jetzt nach Belieben zu Tode prügeln. Diese Praxis soll in der Tür¬
kei ziemlich allgemein sein. Wahrlich, Abdullah Pascha wäre, mut-e-
t',8 init-mit'is, wie die Censur sagt, ein Muster von einem europäi¬
schen Bureaukraten.

— Weitling, der kommunistische, schriftstellernde Schneiderge-
selle, ist nach Ueberstehung seiner Haft mit dem Schub von Zürich
nach Magdeburg befördert worden und sollte seine Militärpflicht, der
er sich entzogen hatte, „laut rechtskräftigen Erkenntniß" (?) erfüllen.
Indessen wurde er dazu unfähig befunden. Ein amtlicher Artikel der
„Magdeburger Zeitung" bespricht seine Ankunft in einem Tone, als
gälte es, entweder die Monarchie Preußen an dem glücklich besiegten
Schneidergesellen zu rächen, oder die deutsche Zugend vor dem Ge¬
fährlichen zu warnen; da wird keines von den beliebten offiziellen Schimpf-
und Kraftworten gespart, „Umtriebe", „Böswilligkeit" u. s. w. Wir
sind keine Weitlingianer, aber diese puterhahnartige Wuth gegen ei¬
nen armen Teufel, wie er, scheint uns eben so lächerlich, wie roh
und erbärmlich. So viel man weiß, hat sich Weitling, davon abge¬
sehen, daß er seine untauglichen Glieder dem preußischen Helm und
Waffenrock entzog, Nichts gegen Preußen zu Schulden kommen las¬
sen, und für sein Vergehen ist er in Zürich hart genug bestraft wor¬
den. Was will man noch? Aber freilich, sein Vergehen bestand in
Ansichten und Gesinnungen, die — gleichviel, ob unsinnig und ohn¬
mächtig oder nicht — weniger bestraft, als verfolgt werden müssen,
und so würde es uns nicht wundern, wenn der Staat irgend einen
Vorwand ergriffe, um sich noch einmal mit allen Waffen der Unter¬
suchung gegen ihn zu rüsten. Vielleicht stößt auch das gelehrte Feuil¬
leton der „Preußischen Allgemeinen Zeitung" in's Bockshorn und


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[0150] war's doch nur Sentimentalität, was zur Erneuerung des Cartells führte: falsche Pietät nämlich für die Traditionen der heiligen Allianz, VI. Notizen. Abdullah Pascha. — Weitling. — Von der polnischen Grenze. — Die Main¬ zer Advocatenversammlung. — Abdullah Pascha von Trapezunt hat ein vortreffliches Mittel erfunden, um die gewaltsamen Reformen, zu denen man den Divan zwingt, zu mildern und mit Besonnenheit in's Leben zu füh¬ ren. Das willkürliche Kopfabschlagen hat der Sultan in der Consti- tution von Gut-Chanes verboten, ein Bischen Prügeln aber steht frei. Was thut daher Abdullah Pascha? Ach, Abdullah Pascha ist ein routinirtcr Geschäftsmann und weiß sich zu helfen. Wem er sonst in aller Geschwindigkeit den Kopf hätte abschlagen lassen, den läßt er jetzt nach Belieben zu Tode prügeln. Diese Praxis soll in der Tür¬ kei ziemlich allgemein sein. Wahrlich, Abdullah Pascha wäre, mut-e- t',8 init-mit'is, wie die Censur sagt, ein Muster von einem europäi¬ schen Bureaukraten. — Weitling, der kommunistische, schriftstellernde Schneiderge- selle, ist nach Ueberstehung seiner Haft mit dem Schub von Zürich nach Magdeburg befördert worden und sollte seine Militärpflicht, der er sich entzogen hatte, „laut rechtskräftigen Erkenntniß" (?) erfüllen. Indessen wurde er dazu unfähig befunden. Ein amtlicher Artikel der „Magdeburger Zeitung" bespricht seine Ankunft in einem Tone, als gälte es, entweder die Monarchie Preußen an dem glücklich besiegten Schneidergesellen zu rächen, oder die deutsche Zugend vor dem Ge¬ fährlichen zu warnen; da wird keines von den beliebten offiziellen Schimpf- und Kraftworten gespart, „Umtriebe", „Böswilligkeit" u. s. w. Wir sind keine Weitlingianer, aber diese puterhahnartige Wuth gegen ei¬ nen armen Teufel, wie er, scheint uns eben so lächerlich, wie roh und erbärmlich. So viel man weiß, hat sich Weitling, davon abge¬ sehen, daß er seine untauglichen Glieder dem preußischen Helm und Waffenrock entzog, Nichts gegen Preußen zu Schulden kommen las¬ sen, und für sein Vergehen ist er in Zürich hart genug bestraft wor¬ den. Was will man noch? Aber freilich, sein Vergehen bestand in Ansichten und Gesinnungen, die — gleichviel, ob unsinnig und ohn¬ mächtig oder nicht — weniger bestraft, als verfolgt werden müssen, und so würde es uns nicht wundern, wenn der Staat irgend einen Vorwand ergriffe, um sich noch einmal mit allen Waffen der Unter¬ suchung gegen ihn zu rüsten. Vielleicht stößt auch das gelehrte Feuil¬ leton der „Preußischen Allgemeinen Zeitung" in's Bockshorn und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/150>, abgerufen am 03.07.2024.