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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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bendig geblieben! Aber hinterher kam die kleinliche Berechnung, die
jämmerliche Klage über Angelegenheiten und Kosten, welche die Masse
der Fremdlinge verursache, und dies unterstützte die s. g. höheren! Rück¬
sichten, die einen neuen Ausliefcrungsvertrag dictirten. Abgesehen
von der Uebertreibung, deren sich die offiziellen Berechnungen und
Klagen befleißigten -- was wär's denn, wenn ein Staat der Intel¬
ligenz, ein Staat, der fast nur auf dem moralischen Gewicht der öf¬
fentlichen Meinung ruht, ein Repräsentant deutscher Würde und Sitt¬
lichkeit, wenn, sagen wir, solch ein Staat sich's jährlich eine halbe
Million kosten ließe, damit seine'Bürger sich nicht zum Schergendes
rohen, übermüthigen Nachbars hergeben müßten! Setzt man doch
gern sein Leben ein für die Ehre, warum nicht eine halbe Million?
Was man auf antike griechische Schauspiele verwendet, wär' es nicht
eben so gut angewandt, um sich moderne russisch-griechische Schau¬
spiele in der eigenen Hausthüre zu ersparen? Ist diese Forderung
so ungeheuer? Es wird nicht an Stimmen fehlen, die das Senti¬
mentalität nennen; denn so weit ist es schon gekommen in dem christ¬
lich-germanischen Deutschland, daß zu dem Abscheu vor der Pädago¬
gik der Knute eine "kosmopolitische, unpraktische Sentimentalität" gehört.
Aber spricht nur die Stimme der Menschlichkeit aus jener Forderung?
Nicht auch die Stimme der Ehre, des Nationalgefühls? Wenn ein
Journalist oder Romanschreiber eine französische Phrase nachspricht,
hui! wie wird da gleich die arme müde Nationalität aufgehetzt und
mit vollen Bausbackcn aufgeblasen -- und hier soll sie stumm sein?
Seht doch, wie sich Staaten benehmen, die wirklich ein lebendiges
Nationalgefühl beseelt! Was thut -- nicht Frankreich, nicht England,
sondern nur -- das kleine Belgien, welches Flüchtlinge aller Länder
und aller Stände nicht nur nicht ausliefert, sondern im Lande behält,
schützt und unterstützt! Wir sind überzeugt, Rußland dürste nicht
lange an einen großen, politisch und national würdigen Staat grenzen,
wie Preußen jeden Augenblick sein könnte -- ohne etwas von seinem
civilistrendem Einfluß zu empfinden, ohne wenigstens gezwungen zu sein,
der Desertion seiner Conseribirten durch humanere Behandlung zu
steuern. Aber, freilich, die Weltverhältnisse, die "praktischen" Rück¬
sichten! England ist wohl auch praktisch, und doch kann man sicher
sein, daß es selbst bedeutende Allianz- und Handelsvortheile mit einem
russischen Cartell der Art nicht erkaufen würde. Wo aber sind unsere
Vortheile, wo sind die Wohlthaten des Cartells, wo sind nur die
nimm" i.)->n">im'? Ach, wir sind so billig geworden, daß man uns nicht
einmal zu bestechen braucht, damit wir unsere Seele verschreiben. Ja,
wenn wir praktisch sein wollen, sind wir blos brauchbar, sehr brauch¬
bar für den praktischen Sinn Anderer. Wir sind inhuman aus
Mangel an Energie, barbarisch aus Sentimentalität. Denn im Grunde


bendig geblieben! Aber hinterher kam die kleinliche Berechnung, die
jämmerliche Klage über Angelegenheiten und Kosten, welche die Masse
der Fremdlinge verursache, und dies unterstützte die s. g. höheren! Rück¬
sichten, die einen neuen Ausliefcrungsvertrag dictirten. Abgesehen
von der Uebertreibung, deren sich die offiziellen Berechnungen und
Klagen befleißigten — was wär's denn, wenn ein Staat der Intel¬
ligenz, ein Staat, der fast nur auf dem moralischen Gewicht der öf¬
fentlichen Meinung ruht, ein Repräsentant deutscher Würde und Sitt¬
lichkeit, wenn, sagen wir, solch ein Staat sich's jährlich eine halbe
Million kosten ließe, damit seine'Bürger sich nicht zum Schergendes
rohen, übermüthigen Nachbars hergeben müßten! Setzt man doch
gern sein Leben ein für die Ehre, warum nicht eine halbe Million?
Was man auf antike griechische Schauspiele verwendet, wär' es nicht
eben so gut angewandt, um sich moderne russisch-griechische Schau¬
spiele in der eigenen Hausthüre zu ersparen? Ist diese Forderung
so ungeheuer? Es wird nicht an Stimmen fehlen, die das Senti¬
mentalität nennen; denn so weit ist es schon gekommen in dem christ¬
lich-germanischen Deutschland, daß zu dem Abscheu vor der Pädago¬
gik der Knute eine „kosmopolitische, unpraktische Sentimentalität" gehört.
Aber spricht nur die Stimme der Menschlichkeit aus jener Forderung?
Nicht auch die Stimme der Ehre, des Nationalgefühls? Wenn ein
Journalist oder Romanschreiber eine französische Phrase nachspricht,
hui! wie wird da gleich die arme müde Nationalität aufgehetzt und
mit vollen Bausbackcn aufgeblasen — und hier soll sie stumm sein?
Seht doch, wie sich Staaten benehmen, die wirklich ein lebendiges
Nationalgefühl beseelt! Was thut — nicht Frankreich, nicht England,
sondern nur — das kleine Belgien, welches Flüchtlinge aller Länder
und aller Stände nicht nur nicht ausliefert, sondern im Lande behält,
schützt und unterstützt! Wir sind überzeugt, Rußland dürste nicht
lange an einen großen, politisch und national würdigen Staat grenzen,
wie Preußen jeden Augenblick sein könnte — ohne etwas von seinem
civilistrendem Einfluß zu empfinden, ohne wenigstens gezwungen zu sein,
der Desertion seiner Conseribirten durch humanere Behandlung zu
steuern. Aber, freilich, die Weltverhältnisse, die „praktischen" Rück¬
sichten! England ist wohl auch praktisch, und doch kann man sicher
sein, daß es selbst bedeutende Allianz- und Handelsvortheile mit einem
russischen Cartell der Art nicht erkaufen würde. Wo aber sind unsere
Vortheile, wo sind die Wohlthaten des Cartells, wo sind nur die
nimm» i.)->n»>im'? Ach, wir sind so billig geworden, daß man uns nicht
einmal zu bestechen braucht, damit wir unsere Seele verschreiben. Ja,
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[0149] bendig geblieben! Aber hinterher kam die kleinliche Berechnung, die jämmerliche Klage über Angelegenheiten und Kosten, welche die Masse der Fremdlinge verursache, und dies unterstützte die s. g. höheren! Rück¬ sichten, die einen neuen Ausliefcrungsvertrag dictirten. Abgesehen von der Uebertreibung, deren sich die offiziellen Berechnungen und Klagen befleißigten — was wär's denn, wenn ein Staat der Intel¬ ligenz, ein Staat, der fast nur auf dem moralischen Gewicht der öf¬ fentlichen Meinung ruht, ein Repräsentant deutscher Würde und Sitt¬ lichkeit, wenn, sagen wir, solch ein Staat sich's jährlich eine halbe Million kosten ließe, damit seine'Bürger sich nicht zum Schergendes rohen, übermüthigen Nachbars hergeben müßten! Setzt man doch gern sein Leben ein für die Ehre, warum nicht eine halbe Million? Was man auf antike griechische Schauspiele verwendet, wär' es nicht eben so gut angewandt, um sich moderne russisch-griechische Schau¬ spiele in der eigenen Hausthüre zu ersparen? Ist diese Forderung so ungeheuer? Es wird nicht an Stimmen fehlen, die das Senti¬ mentalität nennen; denn so weit ist es schon gekommen in dem christ¬ lich-germanischen Deutschland, daß zu dem Abscheu vor der Pädago¬ gik der Knute eine „kosmopolitische, unpraktische Sentimentalität" gehört. Aber spricht nur die Stimme der Menschlichkeit aus jener Forderung? Nicht auch die Stimme der Ehre, des Nationalgefühls? Wenn ein Journalist oder Romanschreiber eine französische Phrase nachspricht, hui! wie wird da gleich die arme müde Nationalität aufgehetzt und mit vollen Bausbackcn aufgeblasen — und hier soll sie stumm sein? Seht doch, wie sich Staaten benehmen, die wirklich ein lebendiges Nationalgefühl beseelt! Was thut — nicht Frankreich, nicht England, sondern nur — das kleine Belgien, welches Flüchtlinge aller Länder und aller Stände nicht nur nicht ausliefert, sondern im Lande behält, schützt und unterstützt! Wir sind überzeugt, Rußland dürste nicht lange an einen großen, politisch und national würdigen Staat grenzen, wie Preußen jeden Augenblick sein könnte — ohne etwas von seinem civilistrendem Einfluß zu empfinden, ohne wenigstens gezwungen zu sein, der Desertion seiner Conseribirten durch humanere Behandlung zu steuern. Aber, freilich, die Weltverhältnisse, die „praktischen" Rück¬ sichten! England ist wohl auch praktisch, und doch kann man sicher sein, daß es selbst bedeutende Allianz- und Handelsvortheile mit einem russischen Cartell der Art nicht erkaufen würde. Wo aber sind unsere Vortheile, wo sind die Wohlthaten des Cartells, wo sind nur die nimm» i.)->n»>im'? Ach, wir sind so billig geworden, daß man uns nicht einmal zu bestechen braucht, damit wir unsere Seele verschreiben. Ja, wenn wir praktisch sein wollen, sind wir blos brauchbar, sehr brauch¬ bar für den praktischen Sinn Anderer. Wir sind inhuman aus Mangel an Energie, barbarisch aus Sentimentalität. Denn im Grunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/149>, abgerufen am 23.12.2024.