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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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gcblicher Aufforderung Feuer zu geben. Die eindringlichen Reden die¬
ses populären Mannes, dem sich auch noch andere Bürger anschlössen,
so wie der Anblick der imposanten Militärmacht wirkten endlich so
weit, daß die Menge sich verlief, ohne daß es zu dem traurigen Ge¬
brauch der Waffen kam. Mittlerweile hatte die bessere Einsicht bei
den aufgeregten Druckern gewirkt, die Meisten kehrten wieder in die
Fabriken zurück, Andere suchten anderweitige Arbeit, und die Ruhe
und Ordnung ist vollkommen wieder hergestellt. Betrachten wir die¬
sen traurigen Vorfall nicht in seimr Einzelnheit, rechnen wir die be¬
trübenden Ereignisse in Reichenberg dazu, wo sogar Blut geflossen ist,
obschon keine religiösen Antipathien dort zu Grunde liegen konnten;
betrachten wir die schlestschen Ereignisse, wo gleichfalls die Schuld
nicht auf religiöse Vorurtheile gewälzt werden kann, so finden wir
ein gemeinsames Uebel als Grundursache. Es ist diese nicht etwa
blos der Egoismus der Fabrikanten, sondern der noch weit unverzeih¬
lichere Egoismus des Staates. Wie der Fabrikant nur den eigenen
Vortheil bedenkt, der ihm aus der Arbeit erwachst, ohne übrigens um
den Arbeiter sich zu bekümmern, so denkt der Staat auch nur an
den Vortheil, den ihm die Fabriken bringen, ohne um die Fabriciren-
den zu sorgen. Der Staat aber ist eine moralische Person und
muß daher auch moralischer sein, als der Fabrikant. In seinen Augen
darf nicht blos der Fabrikherr, sondern auch die mitarbeitenden Kräfte
als Fabricircnde betrachtet werden ; er muß für die Aufmunterung
und das Wohl der Arbeiter eben so besorgt sein, wie für das des
Arbeitgebcndcn. Allerdings ist dies ein Feld, wo die Kritik leichter ist,
als der schöpferische Gedanke; noch haben leider die socialen Theorien
ihre praktische Möglichkeit nicht erreicht, und mit dem besten Willen
kann der Staat blos hie und da flicken, nachhelfen, ohne radical zu
organisiren; selbst England, das durch lange Erfahrung uns so über¬
legen ist, hat noch kein Mittel gefunden, daS Interesse des Fabrikan¬
ten mit dem des Arbeiters in ein gleiches naturrechtliches Verhältniß
zu bringen. Unwillkürlich kommt man bei Betrachtung dieser Lage
auf den Gedanken, ob die forcirte Industrie der Fabriken wirklich
eine Wohlthat für den Staat ist, und ob die Staaten wirklich die
Aufgabe haben, auf eine und dieselbe Weise mit einander zu concur¬
riren. In Oesterreich zumal, und noch insbesondere in Böhmen, wo
die Agricultur noch so viele Verbesserungen zuläßt und erheischt! Wür¬
den die Capitalien, die jetzt in einer flüchtigen, fieberhaften Baumwol¬
lenindustrie verwendet werden, dem Lande nicht einen bleibenderen,
gleichmäßigeren Nutzen bringen, wenn sie in seinem Boden und seiner
Bebauung angelegt werden? --


gcblicher Aufforderung Feuer zu geben. Die eindringlichen Reden die¬
ses populären Mannes, dem sich auch noch andere Bürger anschlössen,
so wie der Anblick der imposanten Militärmacht wirkten endlich so
weit, daß die Menge sich verlief, ohne daß es zu dem traurigen Ge¬
brauch der Waffen kam. Mittlerweile hatte die bessere Einsicht bei
den aufgeregten Druckern gewirkt, die Meisten kehrten wieder in die
Fabriken zurück, Andere suchten anderweitige Arbeit, und die Ruhe
und Ordnung ist vollkommen wieder hergestellt. Betrachten wir die¬
sen traurigen Vorfall nicht in seimr Einzelnheit, rechnen wir die be¬
trübenden Ereignisse in Reichenberg dazu, wo sogar Blut geflossen ist,
obschon keine religiösen Antipathien dort zu Grunde liegen konnten;
betrachten wir die schlestschen Ereignisse, wo gleichfalls die Schuld
nicht auf religiöse Vorurtheile gewälzt werden kann, so finden wir
ein gemeinsames Uebel als Grundursache. Es ist diese nicht etwa
blos der Egoismus der Fabrikanten, sondern der noch weit unverzeih¬
lichere Egoismus des Staates. Wie der Fabrikant nur den eigenen
Vortheil bedenkt, der ihm aus der Arbeit erwachst, ohne übrigens um
den Arbeiter sich zu bekümmern, so denkt der Staat auch nur an
den Vortheil, den ihm die Fabriken bringen, ohne um die Fabriciren-
den zu sorgen. Der Staat aber ist eine moralische Person und
muß daher auch moralischer sein, als der Fabrikant. In seinen Augen
darf nicht blos der Fabrikherr, sondern auch die mitarbeitenden Kräfte
als Fabricircnde betrachtet werden ; er muß für die Aufmunterung
und das Wohl der Arbeiter eben so besorgt sein, wie für das des
Arbeitgebcndcn. Allerdings ist dies ein Feld, wo die Kritik leichter ist,
als der schöpferische Gedanke; noch haben leider die socialen Theorien
ihre praktische Möglichkeit nicht erreicht, und mit dem besten Willen
kann der Staat blos hie und da flicken, nachhelfen, ohne radical zu
organisiren; selbst England, das durch lange Erfahrung uns so über¬
legen ist, hat noch kein Mittel gefunden, daS Interesse des Fabrikan¬
ten mit dem des Arbeiters in ein gleiches naturrechtliches Verhältniß
zu bringen. Unwillkürlich kommt man bei Betrachtung dieser Lage
auf den Gedanken, ob die forcirte Industrie der Fabriken wirklich
eine Wohlthat für den Staat ist, und ob die Staaten wirklich die
Aufgabe haben, auf eine und dieselbe Weise mit einander zu concur¬
riren. In Oesterreich zumal, und noch insbesondere in Böhmen, wo
die Agricultur noch so viele Verbesserungen zuläßt und erheischt! Wür¬
den die Capitalien, die jetzt in einer flüchtigen, fieberhaften Baumwol¬
lenindustrie verwendet werden, dem Lande nicht einen bleibenderen,
gleichmäßigeren Nutzen bringen, wenn sie in seinem Boden und seiner
Bebauung angelegt werden? —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/140>, abgerufen am 23.07.2024.