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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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merksamkeit, auf jede Frage ausführliche und freundliche Antwort --
er war Schwede durch und durch. Dann kamen zwei zahlreiche
Predigerfamilien, mit denen, als Pensionärin, eine kleine Gräfin
reiste. Nie sah ich ein reizenderes, unschuldigeres Kindergesicht, al¬
lein ihre großen braunen Augen schienen bestimmt, künftig einmal
unsägliches Glück und Unglück anzurichten. Neben ihnen saß ein
hochgewachsener Mann in einfachster bürgerlicher Tracht; seine ganze
Haltung ließ jedoch den Militär nicht verkennen. Graf S. war es,
ein Nachkomme jenes Freundes und Feldherrn Friedrich's des Gro¬
ßen, welcher den Sieg bei Prag am 6. Mai 1757 mit seinem Le¬
ben erkaufte. Er kam eben von der Heuernte auf den Gütern, die
dem tapfern Vorfahr gehört harten, und die dem Erben lange ent¬
zogen wurden, weil ihr Besitz nicht hinreichend documemirt war.
Aber Friedrich Wilhelm III. sagte: "Recht muß Recht bleiben, wenn
man auch nicht Brief und Siegel darüber vorzeigen kann!" und gab
der Familie ihr Eigenthum zurück, das eine halbe Million werth ist.

Des Grafen Nachbarin war Fru Nyberg, eine schwedische
Dichterin, die unter dem Namen "Euphrosyne" schreibt. In Deutsch¬
land kümmert sich freilich kein Mensch um die "Viktor ni' Lupliro-
sz^ne", doch jeder gebildete Schwede kennt sie und ihre Verfasserin.
Diese mag einst schön gewesen sein, jetzt aber sind Furchen, wo
vormals Blüthen waren. Euphrosyne ist 1785 geboren -- Schrift¬
stellerinnen erkaufen ihren Ruhm theuer genug für den Preis, daß
ihr Alter in jedem Lerikon steht. Eine schwarze Tüilhaube mit feuer¬
rothen Blumen bedeckte ihr Haupt, und um den Hals trug sie große
Bernsteinkorallen, eine goldne Uhrkette und ein sammetnes Lorgnet¬
tenband. Sie blieb immer still und in sich zurückgezogen, sprach we¬
nig, und verlebte den größten Theil des Tages unten in der Sa¬
bine. Fru Nyberg kehrte von Paris zurück, und mit ihr reiste ein
junges Mädchen aus angesehener Familie. Emilie Holmberg,
so heißt sie, hat ein reiches musikalisches Talent; ursprünglicher Reiz
zeichnet ihre Liedercompositionen aus, welche um so günstiger empfan¬
gen wurden, als die Muse der Tonkunst dem Lande Schweden bis¬
her nur spärliche Geschenke gab. Es schwebte etwas ungemein Zar¬
tes und Elfenartiges um die ganze Erscheinung dieses Mädchens.
Lange Locken flatterten an ihren durchsichtig weißen Schläfen herab,
zwei Taubenaugen schauten fromm und freundlich in die Welt, und


merksamkeit, auf jede Frage ausführliche und freundliche Antwort —
er war Schwede durch und durch. Dann kamen zwei zahlreiche
Predigerfamilien, mit denen, als Pensionärin, eine kleine Gräfin
reiste. Nie sah ich ein reizenderes, unschuldigeres Kindergesicht, al¬
lein ihre großen braunen Augen schienen bestimmt, künftig einmal
unsägliches Glück und Unglück anzurichten. Neben ihnen saß ein
hochgewachsener Mann in einfachster bürgerlicher Tracht; seine ganze
Haltung ließ jedoch den Militär nicht verkennen. Graf S. war es,
ein Nachkomme jenes Freundes und Feldherrn Friedrich's des Gro¬
ßen, welcher den Sieg bei Prag am 6. Mai 1757 mit seinem Le¬
ben erkaufte. Er kam eben von der Heuernte auf den Gütern, die
dem tapfern Vorfahr gehört harten, und die dem Erben lange ent¬
zogen wurden, weil ihr Besitz nicht hinreichend documemirt war.
Aber Friedrich Wilhelm III. sagte: „Recht muß Recht bleiben, wenn
man auch nicht Brief und Siegel darüber vorzeigen kann!" und gab
der Familie ihr Eigenthum zurück, das eine halbe Million werth ist.

Des Grafen Nachbarin war Fru Nyberg, eine schwedische
Dichterin, die unter dem Namen „Euphrosyne" schreibt. In Deutsch¬
land kümmert sich freilich kein Mensch um die „Viktor ni' Lupliro-
sz^ne", doch jeder gebildete Schwede kennt sie und ihre Verfasserin.
Diese mag einst schön gewesen sein, jetzt aber sind Furchen, wo
vormals Blüthen waren. Euphrosyne ist 1785 geboren — Schrift¬
stellerinnen erkaufen ihren Ruhm theuer genug für den Preis, daß
ihr Alter in jedem Lerikon steht. Eine schwarze Tüilhaube mit feuer¬
rothen Blumen bedeckte ihr Haupt, und um den Hals trug sie große
Bernsteinkorallen, eine goldne Uhrkette und ein sammetnes Lorgnet¬
tenband. Sie blieb immer still und in sich zurückgezogen, sprach we¬
nig, und verlebte den größten Theil des Tages unten in der Sa¬
bine. Fru Nyberg kehrte von Paris zurück, und mit ihr reiste ein
junges Mädchen aus angesehener Familie. Emilie Holmberg,
so heißt sie, hat ein reiches musikalisches Talent; ursprünglicher Reiz
zeichnet ihre Liedercompositionen aus, welche um so günstiger empfan¬
gen wurden, als die Muse der Tonkunst dem Lande Schweden bis¬
her nur spärliche Geschenke gab. Es schwebte etwas ungemein Zar¬
tes und Elfenartiges um die ganze Erscheinung dieses Mädchens.
Lange Locken flatterten an ihren durchsichtig weißen Schläfen herab,
zwei Taubenaugen schauten fromm und freundlich in die Welt, und


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[0132] merksamkeit, auf jede Frage ausführliche und freundliche Antwort — er war Schwede durch und durch. Dann kamen zwei zahlreiche Predigerfamilien, mit denen, als Pensionärin, eine kleine Gräfin reiste. Nie sah ich ein reizenderes, unschuldigeres Kindergesicht, al¬ lein ihre großen braunen Augen schienen bestimmt, künftig einmal unsägliches Glück und Unglück anzurichten. Neben ihnen saß ein hochgewachsener Mann in einfachster bürgerlicher Tracht; seine ganze Haltung ließ jedoch den Militär nicht verkennen. Graf S. war es, ein Nachkomme jenes Freundes und Feldherrn Friedrich's des Gro¬ ßen, welcher den Sieg bei Prag am 6. Mai 1757 mit seinem Le¬ ben erkaufte. Er kam eben von der Heuernte auf den Gütern, die dem tapfern Vorfahr gehört harten, und die dem Erben lange ent¬ zogen wurden, weil ihr Besitz nicht hinreichend documemirt war. Aber Friedrich Wilhelm III. sagte: „Recht muß Recht bleiben, wenn man auch nicht Brief und Siegel darüber vorzeigen kann!" und gab der Familie ihr Eigenthum zurück, das eine halbe Million werth ist. Des Grafen Nachbarin war Fru Nyberg, eine schwedische Dichterin, die unter dem Namen „Euphrosyne" schreibt. In Deutsch¬ land kümmert sich freilich kein Mensch um die „Viktor ni' Lupliro- sz^ne", doch jeder gebildete Schwede kennt sie und ihre Verfasserin. Diese mag einst schön gewesen sein, jetzt aber sind Furchen, wo vormals Blüthen waren. Euphrosyne ist 1785 geboren — Schrift¬ stellerinnen erkaufen ihren Ruhm theuer genug für den Preis, daß ihr Alter in jedem Lerikon steht. Eine schwarze Tüilhaube mit feuer¬ rothen Blumen bedeckte ihr Haupt, und um den Hals trug sie große Bernsteinkorallen, eine goldne Uhrkette und ein sammetnes Lorgnet¬ tenband. Sie blieb immer still und in sich zurückgezogen, sprach we¬ nig, und verlebte den größten Theil des Tages unten in der Sa¬ bine. Fru Nyberg kehrte von Paris zurück, und mit ihr reiste ein junges Mädchen aus angesehener Familie. Emilie Holmberg, so heißt sie, hat ein reiches musikalisches Talent; ursprünglicher Reiz zeichnet ihre Liedercompositionen aus, welche um so günstiger empfan¬ gen wurden, als die Muse der Tonkunst dem Lande Schweden bis¬ her nur spärliche Geschenke gab. Es schwebte etwas ungemein Zar¬ tes und Elfenartiges um die ganze Erscheinung dieses Mädchens. Lange Locken flatterten an ihren durchsichtig weißen Schläfen herab, zwei Taubenaugen schauten fromm und freundlich in die Welt, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/132>, abgerufen am 23.07.2024.