Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wir die schmale Insel Hiddensee, zur Rechten zeigten sich Rügens
flache Ufer, hinter denen Stubbenkammer, das Carrara der Kreide,
emporstieg. Auf dem Eiland ruht Hertha's keuscher Hain mit dem
tiefen, stillen See, wo einst Sklaven den Wagen der Göttin waschen
mußten, und wo die Unglücklichen dann in der blauen Fluch unter¬
gingen, damit sie von den Eleusinien Nichts verrathen konnten. Hier¬
her wandern alljährlich in den Hundstagsferien die Lehrer und Schü¬
ler norddeutscher Gymnasien; ihren Tacitus in der Hand, betreten
sie mit ehrfurchtsvollem Schauer die classischen Stätten, gedenken der
alten Rugier und schreiben ihre Empfindungen in's Tagebuch.

Ich aber kümmerte mich um Hertha, Tacitus und Rugier nicht
-- ich fuhr ja wieder einmal auf der freien frischen See und jubelte
"Thalatta! Thalatta!" Alle Sorgen, allen Kummer warf ich von
mir; ich vergab allen Recensenten und sog in vollen Zügen die
kräftige Meerluft ein. Zu Mittag waren wir auf der Höhe von
Arkona, die Sonne stand als ein großes Freudenauge am Horizont,
und die laue, blaue See glitzerte und schimmerte ordentlich vor Lust.
Auch auf dem Schiffe war es nicht traurig und still. Wir hatten
Tyroler an Bord, zwei Männer und ein Mädchen, welche gegen
Norden zogen, um den Skandinaviern ihre hellen Berglieder vorzu-
jodeln. Den Einen hätte ich freilich lieber mit Stutzen und Alpstock
auf den Felsen sehen mögen, denn er war ein schöner Mann, und
alle seine Bewegungen zeigten jene frische Entschlossenheit, welche nur
ein Volk erwirbt, das fortwährend von den Gefahren der Alpenwelt
umgeben ist und sie besiegen muß. Das Leben in der Fläche macht
blöde und unsicher. Sein Kamerad mochte aber wohl Einer von
denjenigen Tyrolem sein, die heute als Handschuhhändler, morgen
als Sänger und übermorgen als Vagabund auftreten; es flog ein
wüster, lauernder Zug über sein ewig lächelndes Angesicht. Das
Mädchen hatte schwarze erfahrene Augen, und man fühlte bald, daß
sie zum Tempeldienst der Vesta verdorben sei.

Unsere Reisegesellschaft planirte sich im Halbkreis auf dem Deck;
den Mittelpunkt nahmen die Tyroler ein, sie sangen und spielten,
tanzten und jodelten in Einem fort. Ich saß zu den Füßen einer
jungen Schwedin, welche mir die schwierigsten Wörter ihrer Mutter¬
sprache vorsagte, doch benahm ich mich so täppisch bei der Lection,
daß die hübsche Lehrmeisterin gar nicht aufhörte zu lachen. Die Küste


Grenzboten 1S4i. it. 16

wir die schmale Insel Hiddensee, zur Rechten zeigten sich Rügens
flache Ufer, hinter denen Stubbenkammer, das Carrara der Kreide,
emporstieg. Auf dem Eiland ruht Hertha's keuscher Hain mit dem
tiefen, stillen See, wo einst Sklaven den Wagen der Göttin waschen
mußten, und wo die Unglücklichen dann in der blauen Fluch unter¬
gingen, damit sie von den Eleusinien Nichts verrathen konnten. Hier¬
her wandern alljährlich in den Hundstagsferien die Lehrer und Schü¬
ler norddeutscher Gymnasien; ihren Tacitus in der Hand, betreten
sie mit ehrfurchtsvollem Schauer die classischen Stätten, gedenken der
alten Rugier und schreiben ihre Empfindungen in's Tagebuch.

Ich aber kümmerte mich um Hertha, Tacitus und Rugier nicht
— ich fuhr ja wieder einmal auf der freien frischen See und jubelte
„Thalatta! Thalatta!" Alle Sorgen, allen Kummer warf ich von
mir; ich vergab allen Recensenten und sog in vollen Zügen die
kräftige Meerluft ein. Zu Mittag waren wir auf der Höhe von
Arkona, die Sonne stand als ein großes Freudenauge am Horizont,
und die laue, blaue See glitzerte und schimmerte ordentlich vor Lust.
Auch auf dem Schiffe war es nicht traurig und still. Wir hatten
Tyroler an Bord, zwei Männer und ein Mädchen, welche gegen
Norden zogen, um den Skandinaviern ihre hellen Berglieder vorzu-
jodeln. Den Einen hätte ich freilich lieber mit Stutzen und Alpstock
auf den Felsen sehen mögen, denn er war ein schöner Mann, und
alle seine Bewegungen zeigten jene frische Entschlossenheit, welche nur
ein Volk erwirbt, das fortwährend von den Gefahren der Alpenwelt
umgeben ist und sie besiegen muß. Das Leben in der Fläche macht
blöde und unsicher. Sein Kamerad mochte aber wohl Einer von
denjenigen Tyrolem sein, die heute als Handschuhhändler, morgen
als Sänger und übermorgen als Vagabund auftreten; es flog ein
wüster, lauernder Zug über sein ewig lächelndes Angesicht. Das
Mädchen hatte schwarze erfahrene Augen, und man fühlte bald, daß
sie zum Tempeldienst der Vesta verdorben sei.

Unsere Reisegesellschaft planirte sich im Halbkreis auf dem Deck;
den Mittelpunkt nahmen die Tyroler ein, sie sangen und spielten,
tanzten und jodelten in Einem fort. Ich saß zu den Füßen einer
jungen Schwedin, welche mir die schwierigsten Wörter ihrer Mutter¬
sprache vorsagte, doch benahm ich mich so täppisch bei der Lection,
daß die hübsche Lehrmeisterin gar nicht aufhörte zu lachen. Die Küste


Grenzboten 1S4i. it. 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180688"/>
              <p xml:id="ID_282" prev="#ID_281"> wir die schmale Insel Hiddensee, zur Rechten zeigten sich Rügens<lb/>
flache Ufer, hinter denen Stubbenkammer, das Carrara der Kreide,<lb/>
emporstieg. Auf dem Eiland ruht Hertha's keuscher Hain mit dem<lb/>
tiefen, stillen See, wo einst Sklaven den Wagen der Göttin waschen<lb/>
mußten, und wo die Unglücklichen dann in der blauen Fluch unter¬<lb/>
gingen, damit sie von den Eleusinien Nichts verrathen konnten. Hier¬<lb/>
her wandern alljährlich in den Hundstagsferien die Lehrer und Schü¬<lb/>
ler norddeutscher Gymnasien; ihren Tacitus in der Hand, betreten<lb/>
sie mit ehrfurchtsvollem Schauer die classischen Stätten, gedenken der<lb/>
alten Rugier und schreiben ihre Empfindungen in's Tagebuch.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_283"> Ich aber kümmerte mich um Hertha, Tacitus und Rugier nicht<lb/>
&#x2014; ich fuhr ja wieder einmal auf der freien frischen See und jubelte<lb/>
&#x201E;Thalatta! Thalatta!" Alle Sorgen, allen Kummer warf ich von<lb/>
mir; ich vergab allen Recensenten und sog in vollen Zügen die<lb/>
kräftige Meerluft ein. Zu Mittag waren wir auf der Höhe von<lb/>
Arkona, die Sonne stand als ein großes Freudenauge am Horizont,<lb/>
und die laue, blaue See glitzerte und schimmerte ordentlich vor Lust.<lb/>
Auch auf dem Schiffe war es nicht traurig und still. Wir hatten<lb/>
Tyroler an Bord, zwei Männer und ein Mädchen, welche gegen<lb/>
Norden zogen, um den Skandinaviern ihre hellen Berglieder vorzu-<lb/>
jodeln. Den Einen hätte ich freilich lieber mit Stutzen und Alpstock<lb/>
auf den Felsen sehen mögen, denn er war ein schöner Mann, und<lb/>
alle seine Bewegungen zeigten jene frische Entschlossenheit, welche nur<lb/>
ein Volk erwirbt, das fortwährend von den Gefahren der Alpenwelt<lb/>
umgeben ist und sie besiegen muß. Das Leben in der Fläche macht<lb/>
blöde und unsicher. Sein Kamerad mochte aber wohl Einer von<lb/>
denjenigen Tyrolem sein, die heute als Handschuhhändler, morgen<lb/>
als Sänger und übermorgen als Vagabund auftreten; es flog ein<lb/>
wüster, lauernder Zug über sein ewig lächelndes Angesicht. Das<lb/>
Mädchen hatte schwarze erfahrene Augen, und man fühlte bald, daß<lb/>
sie zum Tempeldienst der Vesta verdorben sei.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_284" next="#ID_285"> Unsere Reisegesellschaft planirte sich im Halbkreis auf dem Deck;<lb/>
den Mittelpunkt nahmen die Tyroler ein, sie sangen und spielten,<lb/>
tanzten und jodelten in Einem fort. Ich saß zu den Füßen einer<lb/>
jungen Schwedin, welche mir die schwierigsten Wörter ihrer Mutter¬<lb/>
sprache vorsagte, doch benahm ich mich so täppisch bei der Lection,<lb/>
daß die hübsche Lehrmeisterin gar nicht aufhörte zu lachen. Die Küste</p><lb/>
              <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1S4i.  it. 16</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0129] wir die schmale Insel Hiddensee, zur Rechten zeigten sich Rügens flache Ufer, hinter denen Stubbenkammer, das Carrara der Kreide, emporstieg. Auf dem Eiland ruht Hertha's keuscher Hain mit dem tiefen, stillen See, wo einst Sklaven den Wagen der Göttin waschen mußten, und wo die Unglücklichen dann in der blauen Fluch unter¬ gingen, damit sie von den Eleusinien Nichts verrathen konnten. Hier¬ her wandern alljährlich in den Hundstagsferien die Lehrer und Schü¬ ler norddeutscher Gymnasien; ihren Tacitus in der Hand, betreten sie mit ehrfurchtsvollem Schauer die classischen Stätten, gedenken der alten Rugier und schreiben ihre Empfindungen in's Tagebuch. Ich aber kümmerte mich um Hertha, Tacitus und Rugier nicht — ich fuhr ja wieder einmal auf der freien frischen See und jubelte „Thalatta! Thalatta!" Alle Sorgen, allen Kummer warf ich von mir; ich vergab allen Recensenten und sog in vollen Zügen die kräftige Meerluft ein. Zu Mittag waren wir auf der Höhe von Arkona, die Sonne stand als ein großes Freudenauge am Horizont, und die laue, blaue See glitzerte und schimmerte ordentlich vor Lust. Auch auf dem Schiffe war es nicht traurig und still. Wir hatten Tyroler an Bord, zwei Männer und ein Mädchen, welche gegen Norden zogen, um den Skandinaviern ihre hellen Berglieder vorzu- jodeln. Den Einen hätte ich freilich lieber mit Stutzen und Alpstock auf den Felsen sehen mögen, denn er war ein schöner Mann, und alle seine Bewegungen zeigten jene frische Entschlossenheit, welche nur ein Volk erwirbt, das fortwährend von den Gefahren der Alpenwelt umgeben ist und sie besiegen muß. Das Leben in der Fläche macht blöde und unsicher. Sein Kamerad mochte aber wohl Einer von denjenigen Tyrolem sein, die heute als Handschuhhändler, morgen als Sänger und übermorgen als Vagabund auftreten; es flog ein wüster, lauernder Zug über sein ewig lächelndes Angesicht. Das Mädchen hatte schwarze erfahrene Augen, und man fühlte bald, daß sie zum Tempeldienst der Vesta verdorben sei. Unsere Reisegesellschaft planirte sich im Halbkreis auf dem Deck; den Mittelpunkt nahmen die Tyroler ein, sie sangen und spielten, tanzten und jodelten in Einem fort. Ich saß zu den Füßen einer jungen Schwedin, welche mir die schwierigsten Wörter ihrer Mutter¬ sprache vorsagte, doch benahm ich mich so täppisch bei der Lection, daß die hübsche Lehrmeisterin gar nicht aufhörte zu lachen. Die Küste Grenzboten 1S4i. it. 16

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/129
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/129>, abgerufen am 23.12.2024.