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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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genoß und auch von seinen Vorgesetzten wohl gelitten war. Er verdiente
Beides. -- Er war der beste Sünger in der Compagnie und ein
vorzüglicher Jodler, dabei ein vortrefflicher Gesellschafter, wenn er
nicht total besoffen war, -- in seinem Dienste accurat, ein guter
Kamerad, ein Wütherich vor dem Feinde, ein seelenguter Mensch und
der eminenteste Prügelküßler (Prügelaushalter) im ganzen
Regiment?. Ihm waren nur an einem einzigen Theile des Körpers,
den ich aus Respect nicht nennen will, gesetzmäßig über zweitausend
fünfhundert Stockprügel in optim" toi-ma durch lauter kunstverstän-
digeKorporale nach der Compagniematrikel zugemessen worden, ohnejene
Privatschläge zu erwähnen, die derselbe aus Liebhaberei und in den
vorerwähnten Privatlectionen ungezählt bekommen hatte. -- Dieser
brave Kanonier war als ein altgedienter Mann seit dem ersten Fran-
zosenkriege so an die Schläge gewöhnt, daß er im wahren Sinne
des Wortes durchaus ohne Schläge nicht leben konnte. Eines Ta¬
ges hatte er einen kleinen Zwist mit einem Korporal, der zugleich
sein Schlafkamerad war, und es entwischte ihm bei den diesfälligen
Debatten das unschuldige Wort "Sau". -- Fischer kam in Arrest
und den folgenden Tag zum Rapport. Nach Anhörung der Umstände
dictirte ihm der Hauptmann wegen respectlosen Benehmens gegen
den Korporal fünfundzwanzig Stockstreiche. Fischer's ganze Ambition
war bei der Ankündigung dieses Urtheilöspruches im höchsten Grade
rebellisch, so daß er sich zu der Aeußerung hinreißen ließ und dem
Hauptmann beim öffentlichen Rapport sagte: Herr Hauptmann, ich
habe seit drei Jahren nie weniger als fünfzig Stockstreiche bekommen,
und Sie wollten mir die Schande anthun, mir nur fünfundzwanzig
zu geben? Was werden denn meine Kameraden von mir denken? --
Der Hauptmann, ein wahrer Menschenfreund, der seinen Untergeber
nen lieber mehr als weniger Schläge ertheilte, zeigte Fischer an das
Regimentscommando an, und zu seiner nicht geringen Freude war
seine Ehre gerettet, -- er erhielt fünfzig Prügel. Diese heroischen
Beispiele wirken häufig auf die Richtung des Ehrgefühls beiden neuen
Leuten; denn eben so wahr wie es ist, daß bei manchem Menschen
das Ehrgefühl hercmsgeprügclt wird, eben so wahr ist es, daß bei
Vielen eine ganz andere Art von Ambition erweckt wird, welche darin
besteht, ein guter "Prügelküßler" zu sein. Es sind keine feinen Ge¬
schichten, die ich in dieser Beziehung mit angesehen, aber sie sind


genoß und auch von seinen Vorgesetzten wohl gelitten war. Er verdiente
Beides. — Er war der beste Sünger in der Compagnie und ein
vorzüglicher Jodler, dabei ein vortrefflicher Gesellschafter, wenn er
nicht total besoffen war, — in seinem Dienste accurat, ein guter
Kamerad, ein Wütherich vor dem Feinde, ein seelenguter Mensch und
der eminenteste Prügelküßler (Prügelaushalter) im ganzen
Regiment?. Ihm waren nur an einem einzigen Theile des Körpers,
den ich aus Respect nicht nennen will, gesetzmäßig über zweitausend
fünfhundert Stockprügel in optim» toi-ma durch lauter kunstverstän-
digeKorporale nach der Compagniematrikel zugemessen worden, ohnejene
Privatschläge zu erwähnen, die derselbe aus Liebhaberei und in den
vorerwähnten Privatlectionen ungezählt bekommen hatte. — Dieser
brave Kanonier war als ein altgedienter Mann seit dem ersten Fran-
zosenkriege so an die Schläge gewöhnt, daß er im wahren Sinne
des Wortes durchaus ohne Schläge nicht leben konnte. Eines Ta¬
ges hatte er einen kleinen Zwist mit einem Korporal, der zugleich
sein Schlafkamerad war, und es entwischte ihm bei den diesfälligen
Debatten das unschuldige Wort „Sau". — Fischer kam in Arrest
und den folgenden Tag zum Rapport. Nach Anhörung der Umstände
dictirte ihm der Hauptmann wegen respectlosen Benehmens gegen
den Korporal fünfundzwanzig Stockstreiche. Fischer's ganze Ambition
war bei der Ankündigung dieses Urtheilöspruches im höchsten Grade
rebellisch, so daß er sich zu der Aeußerung hinreißen ließ und dem
Hauptmann beim öffentlichen Rapport sagte: Herr Hauptmann, ich
habe seit drei Jahren nie weniger als fünfzig Stockstreiche bekommen,
und Sie wollten mir die Schande anthun, mir nur fünfundzwanzig
zu geben? Was werden denn meine Kameraden von mir denken? —
Der Hauptmann, ein wahrer Menschenfreund, der seinen Untergeber
nen lieber mehr als weniger Schläge ertheilte, zeigte Fischer an das
Regimentscommando an, und zu seiner nicht geringen Freude war
seine Ehre gerettet, — er erhielt fünfzig Prügel. Diese heroischen
Beispiele wirken häufig auf die Richtung des Ehrgefühls beiden neuen
Leuten; denn eben so wahr wie es ist, daß bei manchem Menschen
das Ehrgefühl hercmsgeprügclt wird, eben so wahr ist es, daß bei
Vielen eine ganz andere Art von Ambition erweckt wird, welche darin
besteht, ein guter „Prügelküßler" zu sein. Es sind keine feinen Ge¬
schichten, die ich in dieser Beziehung mit angesehen, aber sie sind


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/110>, abgerufen am 23.07.2024.