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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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schaft stehenden Bank sympathetisch zu correspondiren anfing, und ich
nahm meinen ganzen Muth zusammen und hieb mit solcher Kraft
unbarmherzig auf den zerfleischten Rücken meines Mitmenschen, das-
ich nicht nur diesmal nicht, sondern auch nach keiner anderen Erecution
mehr, der ich später als Mitscherge beiwohnen mußte, auf der er¬
wähnten Bank bäuchlings ausgestreckt, von einem Korporal getadelt
wurde. -- Wenn wir von diesen Uebungen in der Menschenliebe
zurückkehrten, pflegten wir psychologische Unterredungen zu halten.
Zuerst wurde die Kunstfertigkeit des die gesetzliche Gewalt ausüben¬
den Korporals mit Kennersinn geprüft. Fiel das Urtheil zu seinen
Gunsten aus, so durste man mit demselben ungescheut hervortreten.
-- Aber, Herr Korporal! Sie sind ein classischer Hauer, -- schon
beim sechsten Hiebe spritzte dem X . . . das Blut bei den Beinklei¬
dern heraus! -- Und ähnliche Lobpreisungen erschallten von Mund
zu Munde. -- Der Korporal, wenn derselbe nicht etwa ein verdor¬
bener Student, oder sonst ein von falscher Sentimentalität verderbter
Mensch war, hielt sich durch diese Lobeserhebungen sehr geehrt, und
das beseligende Bewußtsein, selbe zu verdienen, entlockte ihm dann
gewöhnlich unter einem stolzen lieblichen Lächeln die gefühlvolle Aeu¬
ßerung: Wenn ich einmal Jemandem zu Gevatter stehe, so muß er
zeitlebens an mich denken! Mit einem Worte, man konnte einen
Korporal nie besser flattiren, als wenn man ihm die Ehre zusprach,
der beste Hauer in der Compagnie, oder wohl gar, wie man einen
solchen nannte, der beste Negimentöhauer zu sein. -- Nachdem der
moralische Werth des bei einer Erecution sunctionirenden Korporals
nach Verdienst von seinen Untergebenen abgeschätzt worden, -- ging
man zu der Werthschätzung des abgestraften Kameraden über, dessen
Verbrechen, wie bekannt, mit dem letzten Hiebe auf die Legitimitäts-
Nachbarschaft verflogen ist, und dessen Heroismus, während
der Erecution, nun zum Maßstabe seines moralischen Wer¬
thes diente. Hat Einer eine ganze Klafter (ein beliebter Kunst¬
ausdruck in der ganzen österreichischen Armee), d. h. fünfzig Prügel
ohne die Füße mehr als einmal gewechselt zu haben, ohne Geschrei
und Lamentationen, erhalten, und hatte derselbe nach vollendeter Ere¬
cution, nachdem er sein schuldiges: "Ich danke gehorsamst für die
gnädige Strafe", mit allem Anstand gesprochen, -- die Bank, auf
welcher derselbe durch seinen Stoicismus die nach Ruhm dürstenden


schaft stehenden Bank sympathetisch zu correspondiren anfing, und ich
nahm meinen ganzen Muth zusammen und hieb mit solcher Kraft
unbarmherzig auf den zerfleischten Rücken meines Mitmenschen, das-
ich nicht nur diesmal nicht, sondern auch nach keiner anderen Erecution
mehr, der ich später als Mitscherge beiwohnen mußte, auf der er¬
wähnten Bank bäuchlings ausgestreckt, von einem Korporal getadelt
wurde. — Wenn wir von diesen Uebungen in der Menschenliebe
zurückkehrten, pflegten wir psychologische Unterredungen zu halten.
Zuerst wurde die Kunstfertigkeit des die gesetzliche Gewalt ausüben¬
den Korporals mit Kennersinn geprüft. Fiel das Urtheil zu seinen
Gunsten aus, so durste man mit demselben ungescheut hervortreten.
— Aber, Herr Korporal! Sie sind ein classischer Hauer, — schon
beim sechsten Hiebe spritzte dem X . . . das Blut bei den Beinklei¬
dern heraus! — Und ähnliche Lobpreisungen erschallten von Mund
zu Munde. — Der Korporal, wenn derselbe nicht etwa ein verdor¬
bener Student, oder sonst ein von falscher Sentimentalität verderbter
Mensch war, hielt sich durch diese Lobeserhebungen sehr geehrt, und
das beseligende Bewußtsein, selbe zu verdienen, entlockte ihm dann
gewöhnlich unter einem stolzen lieblichen Lächeln die gefühlvolle Aeu¬
ßerung: Wenn ich einmal Jemandem zu Gevatter stehe, so muß er
zeitlebens an mich denken! Mit einem Worte, man konnte einen
Korporal nie besser flattiren, als wenn man ihm die Ehre zusprach,
der beste Hauer in der Compagnie, oder wohl gar, wie man einen
solchen nannte, der beste Negimentöhauer zu sein. — Nachdem der
moralische Werth des bei einer Erecution sunctionirenden Korporals
nach Verdienst von seinen Untergebenen abgeschätzt worden, — ging
man zu der Werthschätzung des abgestraften Kameraden über, dessen
Verbrechen, wie bekannt, mit dem letzten Hiebe auf die Legitimitäts-
Nachbarschaft verflogen ist, und dessen Heroismus, während
der Erecution, nun zum Maßstabe seines moralischen Wer¬
thes diente. Hat Einer eine ganze Klafter (ein beliebter Kunst¬
ausdruck in der ganzen österreichischen Armee), d. h. fünfzig Prügel
ohne die Füße mehr als einmal gewechselt zu haben, ohne Geschrei
und Lamentationen, erhalten, und hatte derselbe nach vollendeter Ere¬
cution, nachdem er sein schuldiges: „Ich danke gehorsamst für die
gnädige Strafe", mit allem Anstand gesprochen, — die Bank, auf
welcher derselbe durch seinen Stoicismus die nach Ruhm dürstenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/108>, abgerufen am 23.12.2024.