einander, alte und junge Universitätslehrer der verschiedensten Farben und Fächer, Geheimräthe mit Glatzen und goldenen Brillen, Beamte, Lehrer, Journalisten, Studenten, Kaufleute, Commis u> s. w., die vielen Offiziere und besternten Generale nicht zu vergessen. In allen Kreisen und Gesellschaften sprach man ja von Nichts als von Schel- ling, und da mußte man doch natürlich in seine Vorlesungen gehen, um auch ein Wort mitsprechen zu können. Selbst die Eckensteher, die Barbiere u. s. w. konnte man von Schelling reden hören. Als ich einst in einer Conditorei Kaffee getrunken hatte und um fünf Uhr eilig weglief, sagte mir die Ladenmamsell: Ach, Sie wollen gewiß zu Schelling.
Schelling trat mit einer anmaßenden, vielversprechenden Rede auf und ennuyirte darauf seine Zuhörer fünf Monate lang. Sie harrten auf das große Erlösungswort und bekamen Nichts als my¬ thologischen Wust, Malicen auf die neueren Bestrebungen, Vornehm¬ heit und hohle Abstractionen. In den nächsten Semestern waren die Vorlesungen Schelling'ö nur von einer unbedeutenden Zuhörerschaft besucht, der Eifer verminderte sich; es war ein kurzer Triumph, der Nichts bewirkte als einige erzwungene Demonstrationen und Huldig¬ ungen, die wieder eine Masse anderer Gegendemonstrationen und Fackelzüge zur Folge hatten, wobei die gelehrten Herren sich vom Fenster aus unter dem Hurrahrufen der lieben Jugend und zum Er¬ götzen der neugierigen Berliner als Redner geritten. Außer diesen Straßenspektakeln hielt man auch Vorlesungen gegen Schelling -- Michelet und auch Rosenkranz in Königsberg -- hielt man es der Mühe werth, gegen ihn aufzutreten, da doch sein Wirken inmit¬ ten einer Zeit, die er nicht mehr verstand, und die er nicht bekämpfen, sondern nur verächtlich behandeln konnte, höchst bedeutungslos war. So ist denn auch diese letzte Berliner Universitätökomödie ohne weitere Resultate spurlos vorübergegangen. Man wollte den Geist, durch den die Berliner Universität ihre Bedeutung erhalten hatte, ver¬ drängen und durch einen anderen, wie man ihn gerade haben wollte, ersetzen. Man hatte aber dabei ganz vergessen, daß von jenem nur noch die überschrittenen Standpunkte innerhalb der Universität zurück¬ geblieben waren, denn die Entwickelung derselben ist ja so schon von den Universitäten weggezogen oder von ihnen ausgestoßen und hatte außerhalb ihrer Schranken schon ihre neuen Thaten begonnen. Wo
einander, alte und junge Universitätslehrer der verschiedensten Farben und Fächer, Geheimräthe mit Glatzen und goldenen Brillen, Beamte, Lehrer, Journalisten, Studenten, Kaufleute, Commis u> s. w., die vielen Offiziere und besternten Generale nicht zu vergessen. In allen Kreisen und Gesellschaften sprach man ja von Nichts als von Schel- ling, und da mußte man doch natürlich in seine Vorlesungen gehen, um auch ein Wort mitsprechen zu können. Selbst die Eckensteher, die Barbiere u. s. w. konnte man von Schelling reden hören. Als ich einst in einer Conditorei Kaffee getrunken hatte und um fünf Uhr eilig weglief, sagte mir die Ladenmamsell: Ach, Sie wollen gewiß zu Schelling.
Schelling trat mit einer anmaßenden, vielversprechenden Rede auf und ennuyirte darauf seine Zuhörer fünf Monate lang. Sie harrten auf das große Erlösungswort und bekamen Nichts als my¬ thologischen Wust, Malicen auf die neueren Bestrebungen, Vornehm¬ heit und hohle Abstractionen. In den nächsten Semestern waren die Vorlesungen Schelling'ö nur von einer unbedeutenden Zuhörerschaft besucht, der Eifer verminderte sich; es war ein kurzer Triumph, der Nichts bewirkte als einige erzwungene Demonstrationen und Huldig¬ ungen, die wieder eine Masse anderer Gegendemonstrationen und Fackelzüge zur Folge hatten, wobei die gelehrten Herren sich vom Fenster aus unter dem Hurrahrufen der lieben Jugend und zum Er¬ götzen der neugierigen Berliner als Redner geritten. Außer diesen Straßenspektakeln hielt man auch Vorlesungen gegen Schelling — Michelet und auch Rosenkranz in Königsberg — hielt man es der Mühe werth, gegen ihn aufzutreten, da doch sein Wirken inmit¬ ten einer Zeit, die er nicht mehr verstand, und die er nicht bekämpfen, sondern nur verächtlich behandeln konnte, höchst bedeutungslos war. So ist denn auch diese letzte Berliner Universitätökomödie ohne weitere Resultate spurlos vorübergegangen. Man wollte den Geist, durch den die Berliner Universität ihre Bedeutung erhalten hatte, ver¬ drängen und durch einen anderen, wie man ihn gerade haben wollte, ersetzen. Man hatte aber dabei ganz vergessen, daß von jenem nur noch die überschrittenen Standpunkte innerhalb der Universität zurück¬ geblieben waren, denn die Entwickelung derselben ist ja so schon von den Universitäten weggezogen oder von ihnen ausgestoßen und hatte außerhalb ihrer Schranken schon ihre neuen Thaten begonnen. Wo
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vielen Offiziere und besternten Generale nicht zu vergessen. In allen
Kreisen und Gesellschaften sprach man ja von Nichts als von Schel-
ling, und da mußte man doch natürlich in seine Vorlesungen gehen,
um auch ein Wort mitsprechen zu können. Selbst die Eckensteher, die
Barbiere u. s. w. konnte man von Schelling reden hören. Als ich
einst in einer Conditorei Kaffee getrunken hatte und um fünf Uhr
eilig weglief, sagte mir die Ladenmamsell: Ach, Sie wollen gewiß
zu Schelling.
Schelling trat mit einer anmaßenden, vielversprechenden Rede
auf und ennuyirte darauf seine Zuhörer fünf Monate lang. Sie
harrten auf das große Erlösungswort und bekamen Nichts als my¬
thologischen Wust, Malicen auf die neueren Bestrebungen, Vornehm¬
heit und hohle Abstractionen. In den nächsten Semestern waren die
Vorlesungen Schelling'ö nur von einer unbedeutenden Zuhörerschaft
besucht, der Eifer verminderte sich; es war ein kurzer Triumph, der
Nichts bewirkte als einige erzwungene Demonstrationen und Huldig¬
ungen, die wieder eine Masse anderer Gegendemonstrationen und
Fackelzüge zur Folge hatten, wobei die gelehrten Herren sich vom
Fenster aus unter dem Hurrahrufen der lieben Jugend und zum Er¬
götzen der neugierigen Berliner als Redner geritten. Außer diesen
Straßenspektakeln hielt man auch Vorlesungen gegen Schelling —
Michelet und auch Rosenkranz in Königsberg — hielt man es
der Mühe werth, gegen ihn aufzutreten, da doch sein Wirken inmit¬
ten einer Zeit, die er nicht mehr verstand, und die er nicht bekämpfen,
sondern nur verächtlich behandeln konnte, höchst bedeutungslos
war. So ist denn auch diese letzte Berliner Universitätökomödie ohne
weitere Resultate spurlos vorübergegangen. Man wollte den Geist,
durch den die Berliner Universität ihre Bedeutung erhalten hatte, ver¬
drängen und durch einen anderen, wie man ihn gerade haben wollte,
ersetzen. Man hatte aber dabei ganz vergessen, daß von jenem nur
noch die überschrittenen Standpunkte innerhalb der Universität zurück¬
geblieben waren, denn die Entwickelung derselben ist ja so schon von
den Universitäten weggezogen oder von ihnen ausgestoßen und hatte
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/830>, abgerufen am 23.12.2024.
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