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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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-- Wie Sie das nehmen! sagte sie wehmüthig, und ihre Worte
richteten sich kaum noch an mich, sie gingen mehr als einsame Kla¬
gen in die Luft. Wie steh' ich denn zu den Menschen allen? Per¬
sönliche Zufriedenheit habe ich von Keinem. Ihre Schmerzen,
Kränkungen, Bekümmernisse und Sorgen bringen sie mir, ihr Bedürf¬
niß nach Unterhaltung führt sie hierher, und glauben sie einmal an¬
derswo eine bessere zu haben, so lassen sie mich gleich. Ich amüsire
sie, helfe ihnen, höre sie an, tröste und berichtige sie. Insofern ich
das will und muß, weil es in meiner Natur ist, gebe ich mir eine
persönliche Satisfaction, aber die Andern empfangen den ganzen Er¬
trag. Ich weiß, die Menschen sind schwach, unterwürfig, lenksam;
auch ich könnte sie mir verpflichten und dienstbar machen, blos durch
den Anspruch, den ich zeigte. Aber ich verachte den Zwang der
Höflichkeiten, die Formen von Freundschaften, die zu gesetzlichen Ti¬
teln von Leistungen werden müssen, denen ich aber keinen Werth
beilege, wenn sie nicht ganz frei aus dem reinen Antrieb eines
guten Herzens, also wie aus dem Himmel herab kommen. Die An¬
dern aber machen sich diesen meinen Sinn zu Nutzen und haben
die Rücksichten nicht, die ihnen nicht aufgezwungen werden.
Nur die der geselligen Sitte fordere ich, denn die darf ich nicht
erlassen, und wer diese verletzt, mit dem ist es aus bei mir. Mit
meinem Besten aber stehe ich unbewaffnet allen Verletzungen da, und
wie selten berührt ein Tropfen Balsam die Wunden, deren ich mich
nicht erwehren kann. -- Soll ich Ihnen noch mehr gestehen? Unter
allen den Menschen, die Sie gestern bei mir gesehen, ist nur Einer,
der mir eigentlich gefällt, -- und diesen haben Sie wohl nicht
einmal bemerkt.

Ich fühlte zu sehr, daß ich bei diesen Ausbrüchen nur zufällig
dastand, und war zu bescheiden, sie zu beantworten. Auch lenkten die
Betrachtungen gleich wieder in's Allgemeine, und es kam die bedenk¬
liche Paradorie an den Tag, daß zwischen geistreichen und dummen,
gebildeten und verwahrlosten Menschen, ja zwischen tugendhaften und
sittenlosen, sofern hierdurch nur eine Thatsache und nicht ein Prin¬
cip bezeichnet werde, im Grunde nur ein geringer Unterschied walte;
daß aber der zwischen ursprünglichen, selbständigen und secundären,
untergeordneten, ein ungeheuerer, nie zu ermessender, noch zu tilgen¬
der sei.


— Wie Sie das nehmen! sagte sie wehmüthig, und ihre Worte
richteten sich kaum noch an mich, sie gingen mehr als einsame Kla¬
gen in die Luft. Wie steh' ich denn zu den Menschen allen? Per¬
sönliche Zufriedenheit habe ich von Keinem. Ihre Schmerzen,
Kränkungen, Bekümmernisse und Sorgen bringen sie mir, ihr Bedürf¬
niß nach Unterhaltung führt sie hierher, und glauben sie einmal an¬
derswo eine bessere zu haben, so lassen sie mich gleich. Ich amüsire
sie, helfe ihnen, höre sie an, tröste und berichtige sie. Insofern ich
das will und muß, weil es in meiner Natur ist, gebe ich mir eine
persönliche Satisfaction, aber die Andern empfangen den ganzen Er¬
trag. Ich weiß, die Menschen sind schwach, unterwürfig, lenksam;
auch ich könnte sie mir verpflichten und dienstbar machen, blos durch
den Anspruch, den ich zeigte. Aber ich verachte den Zwang der
Höflichkeiten, die Formen von Freundschaften, die zu gesetzlichen Ti¬
teln von Leistungen werden müssen, denen ich aber keinen Werth
beilege, wenn sie nicht ganz frei aus dem reinen Antrieb eines
guten Herzens, also wie aus dem Himmel herab kommen. Die An¬
dern aber machen sich diesen meinen Sinn zu Nutzen und haben
die Rücksichten nicht, die ihnen nicht aufgezwungen werden.
Nur die der geselligen Sitte fordere ich, denn die darf ich nicht
erlassen, und wer diese verletzt, mit dem ist es aus bei mir. Mit
meinem Besten aber stehe ich unbewaffnet allen Verletzungen da, und
wie selten berührt ein Tropfen Balsam die Wunden, deren ich mich
nicht erwehren kann. — Soll ich Ihnen noch mehr gestehen? Unter
allen den Menschen, die Sie gestern bei mir gesehen, ist nur Einer,
der mir eigentlich gefällt, — und diesen haben Sie wohl nicht
einmal bemerkt.

Ich fühlte zu sehr, daß ich bei diesen Ausbrüchen nur zufällig
dastand, und war zu bescheiden, sie zu beantworten. Auch lenkten die
Betrachtungen gleich wieder in's Allgemeine, und es kam die bedenk¬
liche Paradorie an den Tag, daß zwischen geistreichen und dummen,
gebildeten und verwahrlosten Menschen, ja zwischen tugendhaften und
sittenlosen, sofern hierdurch nur eine Thatsache und nicht ein Prin¬
cip bezeichnet werde, im Grunde nur ein geringer Unterschied walte;
daß aber der zwischen ursprünglichen, selbständigen und secundären,
untergeordneten, ein ungeheuerer, nie zu ermessender, noch zu tilgen¬
der sei.


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[0750] — Wie Sie das nehmen! sagte sie wehmüthig, und ihre Worte richteten sich kaum noch an mich, sie gingen mehr als einsame Kla¬ gen in die Luft. Wie steh' ich denn zu den Menschen allen? Per¬ sönliche Zufriedenheit habe ich von Keinem. Ihre Schmerzen, Kränkungen, Bekümmernisse und Sorgen bringen sie mir, ihr Bedürf¬ niß nach Unterhaltung führt sie hierher, und glauben sie einmal an¬ derswo eine bessere zu haben, so lassen sie mich gleich. Ich amüsire sie, helfe ihnen, höre sie an, tröste und berichtige sie. Insofern ich das will und muß, weil es in meiner Natur ist, gebe ich mir eine persönliche Satisfaction, aber die Andern empfangen den ganzen Er¬ trag. Ich weiß, die Menschen sind schwach, unterwürfig, lenksam; auch ich könnte sie mir verpflichten und dienstbar machen, blos durch den Anspruch, den ich zeigte. Aber ich verachte den Zwang der Höflichkeiten, die Formen von Freundschaften, die zu gesetzlichen Ti¬ teln von Leistungen werden müssen, denen ich aber keinen Werth beilege, wenn sie nicht ganz frei aus dem reinen Antrieb eines guten Herzens, also wie aus dem Himmel herab kommen. Die An¬ dern aber machen sich diesen meinen Sinn zu Nutzen und haben die Rücksichten nicht, die ihnen nicht aufgezwungen werden. Nur die der geselligen Sitte fordere ich, denn die darf ich nicht erlassen, und wer diese verletzt, mit dem ist es aus bei mir. Mit meinem Besten aber stehe ich unbewaffnet allen Verletzungen da, und wie selten berührt ein Tropfen Balsam die Wunden, deren ich mich nicht erwehren kann. — Soll ich Ihnen noch mehr gestehen? Unter allen den Menschen, die Sie gestern bei mir gesehen, ist nur Einer, der mir eigentlich gefällt, — und diesen haben Sie wohl nicht einmal bemerkt. Ich fühlte zu sehr, daß ich bei diesen Ausbrüchen nur zufällig dastand, und war zu bescheiden, sie zu beantworten. Auch lenkten die Betrachtungen gleich wieder in's Allgemeine, und es kam die bedenk¬ liche Paradorie an den Tag, daß zwischen geistreichen und dummen, gebildeten und verwahrlosten Menschen, ja zwischen tugendhaften und sittenlosen, sofern hierdurch nur eine Thatsache und nicht ein Prin¬ cip bezeichnet werde, im Grunde nur ein geringer Unterschied walte; daß aber der zwischen ursprünglichen, selbständigen und secundären, untergeordneten, ein ungeheuerer, nie zu ermessender, noch zu tilgen¬ der sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/750>, abgerufen am 23.12.2024.