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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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mit vielem Ausdruck vor. Sie ahmten den Ton der Goethe'sehen
sehr glücklich nach, hatten aber ihren eigenen Inhalt. Nur Friedrich
Schlegel verzog die Miene und stimmte nicht in den Beifall ein.
Auch Demoiselle Levin selbst, trotz des augenscheinlichen Eifers, den
Bruder zu begünstigen, litt etwas bei dieser Vorlesung und verbarg
zuletzt ihre Ungeduld nicht. Ich erlaubte mir, sie über die Nichtig¬
keit meiner Wahrnehmung heimlich zu befragen. Sie sah mir ehr¬
lich und gerade in's Gesicht und sagte lebhaft: Sie haben recht ge¬
sehen; es ist mein Tod, mir vorlesen zu lassen; ich habe es nie
geliebt, aber oft kann ich's besser aushalten.

Durch Vermehrung des Besuchs -- zwei Spanier, Graf Casa-
Valencia und Chevalier d'Urquijo, beide Diplomaten, waren gekom¬
men, -- ließ der Vorleser sich nicht irren. Aber nach Beendigung
eines Gedichts, welches vielleicht nicht allgemein verständlich gewesen,
verlangte Madame Unzelmann, der Dichter solle doch Komisches und
Witziges mittheilen, dessen er ja den größten Vorrath habe. Der
lieblichen Frau war nicht zu widerstehen, ihrem anmuthigen Gesuche
aber trat Gualtieri mit der ungestümsten Forderung bei. Ich weiß
es ja, liebster Robert, rief er aus, Sie haben auf uns Alle wunder¬
schöne Spitzverse gemacht, auch auf mich ganz allerliebste, thun Sie
mir den Gefallen und lesen Sie die vor, ich will sie hören, ich kann
Alles hören, nur ohne Scheu heraus damit!

Robert las im Stillen für sich einige Blatter, lachte und ent¬
schuldigte sich, es ginge doch nicht. Nur um so? heftiger drang man
in ihn; Alle betheuerten, sie wollten Nichts übel nehmen. Schon
wollte er lesen, da verbat es seine Schwester; sie wolle dergleichen
nicht leiden, sagte sie, es sei ein schlechter Spaß und es verletze ins¬
geheim doch Jeden, sich in seiner Eigenheit verspottet zu sehen, Nie¬
mand dürfe das fordern, Niemand es gewähren. Aber Nichts half.
Die erregte Tadellust wollte ihre Beute. So wurde denn Einiges
gelesen, was großen Beifall erwarb; Schack, die Unzelmann, Schleier¬
macher, Wilhelm von Humboldt kamen ganz leidlich weg, einige an¬
dere Personen weit schlechter. Das Hauptverdienst dieser Verse war,
außer der treffenden Charakteristik, die artige Künstelei, daß die An¬
fangsbuchstaben der Zeilen jedesmal den Namen bildeten. Gualtieri
bestand darauf, sein Akrostichon zu hören. -- Nur Geduld, versetzte


mit vielem Ausdruck vor. Sie ahmten den Ton der Goethe'sehen
sehr glücklich nach, hatten aber ihren eigenen Inhalt. Nur Friedrich
Schlegel verzog die Miene und stimmte nicht in den Beifall ein.
Auch Demoiselle Levin selbst, trotz des augenscheinlichen Eifers, den
Bruder zu begünstigen, litt etwas bei dieser Vorlesung und verbarg
zuletzt ihre Ungeduld nicht. Ich erlaubte mir, sie über die Nichtig¬
keit meiner Wahrnehmung heimlich zu befragen. Sie sah mir ehr¬
lich und gerade in's Gesicht und sagte lebhaft: Sie haben recht ge¬
sehen; es ist mein Tod, mir vorlesen zu lassen; ich habe es nie
geliebt, aber oft kann ich's besser aushalten.

Durch Vermehrung des Besuchs — zwei Spanier, Graf Casa-
Valencia und Chevalier d'Urquijo, beide Diplomaten, waren gekom¬
men, — ließ der Vorleser sich nicht irren. Aber nach Beendigung
eines Gedichts, welches vielleicht nicht allgemein verständlich gewesen,
verlangte Madame Unzelmann, der Dichter solle doch Komisches und
Witziges mittheilen, dessen er ja den größten Vorrath habe. Der
lieblichen Frau war nicht zu widerstehen, ihrem anmuthigen Gesuche
aber trat Gualtieri mit der ungestümsten Forderung bei. Ich weiß
es ja, liebster Robert, rief er aus, Sie haben auf uns Alle wunder¬
schöne Spitzverse gemacht, auch auf mich ganz allerliebste, thun Sie
mir den Gefallen und lesen Sie die vor, ich will sie hören, ich kann
Alles hören, nur ohne Scheu heraus damit!

Robert las im Stillen für sich einige Blatter, lachte und ent¬
schuldigte sich, es ginge doch nicht. Nur um so? heftiger drang man
in ihn; Alle betheuerten, sie wollten Nichts übel nehmen. Schon
wollte er lesen, da verbat es seine Schwester; sie wolle dergleichen
nicht leiden, sagte sie, es sei ein schlechter Spaß und es verletze ins¬
geheim doch Jeden, sich in seiner Eigenheit verspottet zu sehen, Nie¬
mand dürfe das fordern, Niemand es gewähren. Aber Nichts half.
Die erregte Tadellust wollte ihre Beute. So wurde denn Einiges
gelesen, was großen Beifall erwarb; Schack, die Unzelmann, Schleier¬
macher, Wilhelm von Humboldt kamen ganz leidlich weg, einige an¬
dere Personen weit schlechter. Das Hauptverdienst dieser Verse war,
außer der treffenden Charakteristik, die artige Künstelei, daß die An¬
fangsbuchstaben der Zeilen jedesmal den Namen bildeten. Gualtieri
bestand darauf, sein Akrostichon zu hören. — Nur Geduld, versetzte


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[0724] mit vielem Ausdruck vor. Sie ahmten den Ton der Goethe'sehen sehr glücklich nach, hatten aber ihren eigenen Inhalt. Nur Friedrich Schlegel verzog die Miene und stimmte nicht in den Beifall ein. Auch Demoiselle Levin selbst, trotz des augenscheinlichen Eifers, den Bruder zu begünstigen, litt etwas bei dieser Vorlesung und verbarg zuletzt ihre Ungeduld nicht. Ich erlaubte mir, sie über die Nichtig¬ keit meiner Wahrnehmung heimlich zu befragen. Sie sah mir ehr¬ lich und gerade in's Gesicht und sagte lebhaft: Sie haben recht ge¬ sehen; es ist mein Tod, mir vorlesen zu lassen; ich habe es nie geliebt, aber oft kann ich's besser aushalten. Durch Vermehrung des Besuchs — zwei Spanier, Graf Casa- Valencia und Chevalier d'Urquijo, beide Diplomaten, waren gekom¬ men, — ließ der Vorleser sich nicht irren. Aber nach Beendigung eines Gedichts, welches vielleicht nicht allgemein verständlich gewesen, verlangte Madame Unzelmann, der Dichter solle doch Komisches und Witziges mittheilen, dessen er ja den größten Vorrath habe. Der lieblichen Frau war nicht zu widerstehen, ihrem anmuthigen Gesuche aber trat Gualtieri mit der ungestümsten Forderung bei. Ich weiß es ja, liebster Robert, rief er aus, Sie haben auf uns Alle wunder¬ schöne Spitzverse gemacht, auch auf mich ganz allerliebste, thun Sie mir den Gefallen und lesen Sie die vor, ich will sie hören, ich kann Alles hören, nur ohne Scheu heraus damit! Robert las im Stillen für sich einige Blatter, lachte und ent¬ schuldigte sich, es ginge doch nicht. Nur um so? heftiger drang man in ihn; Alle betheuerten, sie wollten Nichts übel nehmen. Schon wollte er lesen, da verbat es seine Schwester; sie wolle dergleichen nicht leiden, sagte sie, es sei ein schlechter Spaß und es verletze ins¬ geheim doch Jeden, sich in seiner Eigenheit verspottet zu sehen, Nie¬ mand dürfe das fordern, Niemand es gewähren. Aber Nichts half. Die erregte Tadellust wollte ihre Beute. So wurde denn Einiges gelesen, was großen Beifall erwarb; Schack, die Unzelmann, Schleier¬ macher, Wilhelm von Humboldt kamen ganz leidlich weg, einige an¬ dere Personen weit schlechter. Das Hauptverdienst dieser Verse war, außer der treffenden Charakteristik, die artige Künstelei, daß die An¬ fangsbuchstaben der Zeilen jedesmal den Namen bildeten. Gualtieri bestand darauf, sein Akrostichon zu hören. — Nur Geduld, versetzte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/724>, abgerufen am 23.12.2024.