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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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kann hier weit mehr sub rosa geben; sie hat die Kunst, anzudeuten
und ahnen zu lassen, weit mehr in ihrer Hand. Zedlitz verletzt mit
seinem Verse, weil sein Stoff zarter ist, als der von ihm gewählte
Vers. Und wo er nicht beleidigt, da wirkt er lächerlich. Seine
Blicke auf das Reich der Vierfüßer, wie Hengst und Stute von
Brunst getrieben werden, sind als Parallelen zur süßen Verirrung
zweier unschuldigen Menschenkinder beides zugleich, anstößig und ko-
misch. Komisch aber wollte Zedlitz nicht wirken.

Alles das trifft, wie ich sage, den einleitenden Theil des Ge-
dichtes. Es beweist mir die Schwierigkeit, in Ton und Farbe un-
schuldig zu sein und unschuldig auf Lesex von heute zu wirken.
Zedlitz fand nicht gleich die Stimmung ; erst im Verlaufe spricht ex
in eigenen Versen, findet er für seinen Stoff Form, Haltung, Kleid
und Harmonie mit seinem Inhalt. Noch die Scene, wo der Wolf
die Prinzessin im Walde findet, nachdem sie das Fräulein geboren,
ist kindisch.


,,Wolf, was ist dein Maul so blutig?
Warum hängt Dein Bauch zur Erde?"

Der Wolf hat nämlich der Prinzessin den Schenkel angefressen.


,,Es hat der Wolf beflissen
Darein mit scharfem Zahn gerissen."

Man wolle nicht entgegnen, dies sei eben der bezweckte Ton
des Kindermärchens. Ein solches hat Zedlitz nicht geben wollen;
der Stoff liegt den Fabeln für Kindex ganz fern. Der Leser, der
diese Partien des Gedichtes unschön findet, hat ganz Recht ; die Rai^
vetät des Vortrags ist Nichts als Nothbehelf. Erst in den spätern
Theilen wird die Dichtung wirklich ein Erzeugniß des Dichters.
Waldsräulein ist von einer Fee bei der Geburt gerettet und wird
von ihr untex der Bedingung, sich nicht vom Gefühl der Liebe hin-
reißen zu lassen, erzogen. Allein das Erbtheil der Sterblichen, in
Liebe zu fühlen, ist auch ihr Loos, und die Fee verstößt sie Nun
irrt sie arm und sreudenleer durch Feld und Wald, kommt zur alten
Rothburga, der Hexe. Deren Sohn, der Köhler Caprus, ein Cretin
wie Caliban oder wie die ähnliche Gestalt in Grillparzer's ,,Wehe dem,
dex lügt", begehrt sie zum Weibe und Waldfräulein flieht vox der
rohen Inbrunst des Ungethüms. Dann wandert sie wieder unstät


kann hier weit mehr sub rosa geben; sie hat die Kunst, anzudeuten
und ahnen zu lassen, weit mehr in ihrer Hand. Zedlitz verletzt mit
seinem Verse, weil sein Stoff zarter ist, als der von ihm gewählte
Vers. Und wo er nicht beleidigt, da wirkt er lächerlich. Seine
Blicke auf das Reich der Vierfüßer, wie Hengst und Stute von
Brunst getrieben werden, sind als Parallelen zur süßen Verirrung
zweier unschuldigen Menschenkinder beides zugleich, anstößig und ko-
misch. Komisch aber wollte Zedlitz nicht wirken.

Alles das trifft, wie ich sage, den einleitenden Theil des Ge-
dichtes. Es beweist mir die Schwierigkeit, in Ton und Farbe un-
schuldig zu sein und unschuldig auf Lesex von heute zu wirken.
Zedlitz fand nicht gleich die Stimmung ; erst im Verlaufe spricht ex
in eigenen Versen, findet er für seinen Stoff Form, Haltung, Kleid
und Harmonie mit seinem Inhalt. Noch die Scene, wo der Wolf
die Prinzessin im Walde findet, nachdem sie das Fräulein geboren,
ist kindisch.


,,Wolf, was ist dein Maul so blutig?
Warum hängt Dein Bauch zur Erde?"

Der Wolf hat nämlich der Prinzessin den Schenkel angefressen.


,,Es hat der Wolf beflissen
Darein mit scharfem Zahn gerissen."

Man wolle nicht entgegnen, dies sei eben der bezweckte Ton
des Kindermärchens. Ein solches hat Zedlitz nicht geben wollen;
der Stoff liegt den Fabeln für Kindex ganz fern. Der Leser, der
diese Partien des Gedichtes unschön findet, hat ganz Recht ; die Rai^
vetät des Vortrags ist Nichts als Nothbehelf. Erst in den spätern
Theilen wird die Dichtung wirklich ein Erzeugniß des Dichters.
Waldsräulein ist von einer Fee bei der Geburt gerettet und wird
von ihr untex der Bedingung, sich nicht vom Gefühl der Liebe hin-
reißen zu lassen, erzogen. Allein das Erbtheil der Sterblichen, in
Liebe zu fühlen, ist auch ihr Loos, und die Fee verstößt sie Nun
irrt sie arm und sreudenleer durch Feld und Wald, kommt zur alten
Rothburga, der Hexe. Deren Sohn, der Köhler Caprus, ein Cretin
wie Caliban oder wie die ähnliche Gestalt in Grillparzer's ,,Wehe dem,
dex lügt", begehrt sie zum Weibe und Waldfräulein flieht vox der
rohen Inbrunst des Ungethüms. Dann wandert sie wieder unstät


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/72>, abgerufen am 23.12.2024.